In meinem Postfach landete wieder eine Mail mit einer Frage, die ich in ähnlicher Form schon mehrmals gestellt bekam. Deswegen möchte ich mich ihr heute widmen.
Hier die Mail:
„Hallo Robert,
gerne verfolge ich deine Blog und besitze auch dein Buch.
Ich habe dennoch mal eine Frage an dich. Und zwar soll ich demnächst ein Baby fotografieren und würde die Bilder natürlich auch gerne bei Bildagenturen nutzen, dafür brauche ich ja den Model Release (MR). Wie gehst du bei Eltern vor, um den zu bekommen? Wie machst du denen das schmackhaft? Ich traue mich da ja schon gar nicht zu fragen, weil das so ein heikles Thema ist. „Äh, kann ich die Bilder eures Kindes verwenden, um sie weiter zu verkaufen, im Internet?“. Da wird doch jeder stutzig. Ich traue mich einfach nicht an das Thema heran, würde mich auch nicht trauen, so was zu fragen, da würde ich mich schämen.
Wie kann ich diese Scham abwerfen bzw. wie kann ich Eltern nahebringen, dass es nichts Schlimmes ist, wenn Bilder von den Kindern verkauft werden? Mir ist klar, dass jeder mit „nein“ antworten würde oder sogar von einem Fotoshooting absehen würde, wenn ich mit so einem MR daher komme.
Vielleicht kannst du mal erklären, wie du das so machst. In deinem Buch steht zwar, wie und wo man die Models findet, aber nicht genau, wie man denen den MR näherbringt bzw. ausfüllen lässt.
So, jetzt bin ich gespannt auf deine Antwort und danke dir schon im Voraus für die Mühe und die Zeit die du dir dafür nimmst.
Viele Grüße,
Rita“

Beim Leser der Email habe ich gemerkt, dass ich etwas betriebsblind geworden bin. Ich habe bisher fast 20 Kinder fotografiert und diese Scham habe ich kaum gespürt. Das hat mehrere Gründe. Zum einen lege ich großen Wert auf Transparenz, das heißt, ich möchte sicherstellen, dass alle Models verstehen, was für Fotos ich mache, wie Stockfotografie grundsätzlich funktioniert und wo die Bilder erscheinen könnten bzw. welche Nutzungen verboten sind. Das unterscheidet sich bei Kindern nicht von Erwachsenen, außer das ich es meist nicht (nur) dem Model, sondern auch den beiden Eltern erkläre.
Natürlich ist es schon vorgekommen, dass ich einige Kinder nicht fotografieren durfte, weil die Eltern damit nicht einverstanden waren. In der Praxis hatte ich manchmal den Fall, dass bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern das Persönlichkeitsrecht des Kindes benutzt wurde, um dem Elternteil, welches gerne Fotos von sich mit dem Kind haben wollte, nachträglich „eins auszuwischen“. Deshalb lege ich auch viel Wert darauf, dass beide Eltern den Modelvertrag für das Kind unterschreiben. Wenn ein Elternteil aus Sorge um das Kind abgelehnt hat, lag das oft auch daran, dass ich wegen der getrennt lebenden Eltern nicht mit der Person sprechen konnte, um die Nutzung genauer zu erklären. Aber in jedem Fall respektiere ich dann den Wunsch und verzichte auf ein Fotoshooting.
Im Hinterkopf behalten sollte man vor allem zwei Dinge: Die Angst der Eltern und die Vorteile eines Fotoshootings.
Bei Eltern kursiert manchmal der Gedanke im Kopf, dass Fotos der eigenen Kinder im Internet „böse“ seien. Weil sich dort „Irre“ und „Perverse“ rumtreiben könnten. Ein befreundeter Fotograf hatte kürzlich dagegen argumentiert: „Die Irren fahren ja auch Auto, deswegen verzichte ich trotzdem nicht darauf…“
Ich denke auch, dass es viel gefährlicher ist, Fotos der eigenen Kinder bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, wo diese Bilder noch mit persönlichen Angaben wie Alter, Wohnort, Schule oder ähnliches verknüpft werden könnten. Dann wäre eventuell wirklich die Gefahr gegeben, jemand könne auf den Gedanken kommen, das Kind zu entführen oder Schlimmeres. Bei den Kinderfotos in Bildagenturen jedoch bleibt das Kind für die Betrachter und Käufer anonym. Einige Agenturen verbieten sogar, Kinderfotos mit potenziell gefährlichen Begriffen wie „nackt, sexy, etc.“ zu verschlagworten.
Wenn der Fotograf ängstlich und schüchtern bei den Eltern einen Vertrag ansprechen will, spüren diese schnell, dass dem Fotografen dabei unwohl ist und malen sich die Gründe dafür in den düstersten Farben aus.
Deshalb empfehle ich generell jedem Stockfotografen, mit gutem Beispiel voranzugehen und selbst einige Fotos der eigenen Kinder anzubieten oder – falls keine vorhanden sind – einfach Selbstportraits zu machen. In wenigen Jahren sehen die Kinder sowieso ganz anders aus und sind kaum wiederzuerkennen. Ich habe auch einige Selbstportraits in den Agenturen und es zeigt meinen Models, dass ich keine Angst habe, mein Gesicht auf diese Art zur Schau zu stellen.
Der zweite Punkt ist, dass die Eltern und das Kind Vorteile von einem Fotoshooting haben. Die Eltern sparen das Geld für einen Portraitfotografen, was bei 10–20 Bildern schnell mehrere hundert Euro kosten kann. Bei mir bekommen die Eltern oft sogar deutlich mehr Fotos kostenlos. Manchmal bezahle ich die Kindermodels auch zusätzlich, je nachdem, wer wen gefragt hat.
Hier sind wir bei einem weiteren Punkt. Die meisten Kinder habe ich auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern fotografiert. Das heißt, diese wussten, dass ich Fotograf bin, kannten meist auch meine Bilder und haben gefragt, ob ich auch Kinderfotos oder Familienfotos machen könne. Meist habe ich das bejaht unter der Bedingung, dass ich diese Fotos wie mein anderen Fotos auch bei den Bildagenturen verkaufen darf. Mein Vertrag ist auch öffentlich auf meiner Webseite einsehbar; die Eltern haben also im Voraus genug Zeit, sich damit vertraut zu machen.
Nach diesen Überlegungen habe ich Rita gefragt, wie denn bei ihr der Kontakt zustande gekommen ist und was sie sich vorgestellt hat:
„Hallo Robert,
ich wollte schon so 30 Euro für die Bilder haben, weil ich die auf CD brenne und die Bilder bearbeiten muss. Es sind dann aber auch wirklich viele Bilder die ich meistens mache und der Bearbeitungsaufwand ist groß.
Ich wüsste ja gar nicht, ob die Bilder sich bei den Bildagenturen verkaufen lassen oder nicht. Ich weiß nur, dass Menschenbilder eben gern genommen werden. Wohin die gehen, wenn sie verkauft werden oder was für einen Nutzen das Model davon hat, damit hab ich mich noch nie auseinandergesetzt.
Eine Mami hat mich einfach gebeten, ein paar Bilder von ihrer acht Monate alten Tochter zu machen und ich hab zugesagt, es zu tun. Dabei dachte ich, ich könnte auch gleich fragen ob sie mir den MR ausfüllen. Ich will halt meinen Bildbestand mal aufstocken und das geht nicht nur mit Blümchen und Bienchen…weißt du ja auch. Ich brauche bestimmte Dinge, die keiner sonst hat.
Ich hab einfach Hemmungen, die Eltern danach zu fragen, weiß auch nicht, wieso und wie man diese Hemmungen loswerden kann. Die Mama der Kleinen hat mit mir mal einen VHS-Fotokurs mitgemacht und weiß sicherlich, was solche Fotoshootings mit Kindern kosten. Da sind 30 Euro ein Spott dagegen.
Machst du nur noch Fotos mit MR, damit du die Bilder alle verwenden kannst und wenn ja, wie hast du die Überwindung hinter dich gebracht, danach zu fragen, bzw. den Leuten Stift und Zettel in die Hand zu drücken und alles zu erklären?
Ich würde ja auch meine eigenen Kinder nehmen (bisher nur Hände und Füße), aber mein Ex-Mann hat leider was dagegen, die Kinder so öffentlich zu zeigen. Deswegen denke ich immer, andere Eltern würden auch so verklemmt denken und so vorsichtig sein. Einerseits könnt ich die Eltern auch verstehen, wenn sie „nein“ sagen.
Schönen Abend noch und viele Grüße,
Rita“
Die Ursache der Angst, nach einem Vertrag zu fragen, lässt sich am Ex-Mann schnell festmachen.
Wichtiger scheint mir noch ein anderer Punkt: Auch wenn Bildagenturen gerne Hobbyfotografen aufnehmen, bleibt die Stockfotografie trotzdem ein Geschäftsmodell. Dazu gehört für die teilnehmenden Fotografen auch, betriebswirtschaftlich denken zu müssen, um langfristig erfolgreich zu sein. Dazu gehört, sich das Verständnis zu erarbeiten, was mit den Bildern geschehen kann und die Bereitschaft, Investitionen zu tätigen.
Ich würde zum Beispiel kein Geld für die Fotos nehmen, zumal 30 Euro eh nicht den Stundenlohn wert wären. Stattdessen würde ich sagen: „Hör zu, ich mache dir die Bilder kostenlos, aber dafür darf ich die bei Bildagenturen verkaufen. Dazu wird dieser Vertrag hier abgeschlossen…“ Ob sich die Bilder verkaufen, ist allein das Risiko des Fotografen und es sollte ihn motivieren, möglichst gut zu arbeiten. Im Falle eines Misserfolges sollte analysiert werden, was beim nächsten Mal anders laufen muss, damit sich die Fotos verkaufen.
Fotografen, die sich jedoch eher auf Portraits und Auftragsarbeiten spezialisiert haben, machen es manchmal so, dass sie für die Unterschrift zu einem Modelvertrag einen Rabatt auf den normalen Preis geben. Zum Beispiel könnte ein Kinder-Portrait-Shooting mit 20–30 Bildern statt 300 Euro nur noch 200 Euro kosten.
Wenn sich die professionelle Einstellung auch so auf die eigene Webseite etc. auswirkt, dass Personen sofort erkennen, dass der Fotograf mit seiner Arbeit Geld verdienen will, dann muss man sich auch nicht mehr schämen, Geld zu verlangen bzw. stattdessen Veröffentlichungsrechte.
Welche Erfahrungen habt ihr mit der Kinderfotografie gemacht? Was für Tipps würdet ihr Rita geben?
