Durch den Erfolg der Piratenpartei hat sich die Diskussion über das aktuelle Urheberrecht zugespitzt. Die Spannbreite reicht von der Forderung, das Urheberrecht komplett abzuschaffen, über eine radikale Reform wie sie die AG Urheberrecht der Piraten fordert bis hin zur vehementen Verteidung des Urheberrecht durch Künstler (und *hüstel* durch CDU-Politiker).

Heute will ich einige der bisherigen Debattenbeiträgen verlinken und diskutieren. Denn auch wenn – oder besser: genau weil – ich als Fotoproduzent meine Einnahmen fast komplett durch das Urheberrecht erziele, gibt es sicher einige Punkte, die refomiert werden könnten. Und hier hilft es nichts, die Augen vor der erhitzten Diskussion zu verschließen und auf das Beste zu hoffen.
Einige Autoren haben schon angefangen und selbst Vorschläge in die Debatte eingebracht. Am interessantesten finde ich die folgenden Artikel, die ich jedem zur Information ans Herz lege, auch wenn die Inhalte vielleicht nicht alle erfreuen werden.
- Bertold Seliger fordert im Freitag: „Schneiden wir den Kuchen neu an“. Neben einigen groben inhaltlichen Fehlern wie einer zu kurzen Patentdauer (in Wahrheit 20 statt 15 Jahre) und einem falsch dargestellten GEMA-Verteilungsschlüssel schlägt er fünf spannende Punkte zur Reform vor: Die Schutzdauer der Werke, ein Opt-In-Verfahren, eine automatische Rückübertragung an Urheber von verkauften Rechten, ein neuer Verteilungsschlüssel für Abrechnungssysteme und eine „Fair Use“-Klausel.
- Janosch Schobin schlägt in der tageszeitung im Text „Der Sharer ist die Zukunft“ vor, die momentan illegalen Filesharer komplett zu umarmen und ihr Streben nach Anerkennung und Aufmerksamkeit durch eine Art Schnellballsystem finanziell auszunutzen.
- Keine Lösungsvorschläge aber eine Bestandsaufnahme der bisherigen Probleme bietet heise.de im Text „Urheberrecht: Neuer Gesellschaftsvertrag statt Kontrolle und Strafe?“.
- Ebenfalls im Freitag analysiert Wolfgang Michael die Positionen der Piratenpartei zum Urheberrecht, was ebenfalls sehr hilfreich für eine Diskussion ist.
- Daraufhin ruderte die Piratenpartei etwas zurück und ruft jetzt zu einer „offenen Diskussion“ über das Urheberrecht auf. Im gleichen Text stellt sie auch deutlich die zwölf Eckpunkte ihrer Urheberrecht-Forderungen dar.
Gut, nehmen wir sie beim Wort.
Eine der zentralen Reformforderungen der Piratenpartei (und siehe oben auch von Bertold Seliger) ist die Verkürzung der Schutzdauer urheberrechtlich geschützter Werke. Diese beträgt zur Zeit 70 Jahre und sie soll auf 10 Jahre gekürzt werden. Das halte ich für zu viel. Als häufig benutztes Beispiel werden hier die Erben von Bertolt Brecht herangezogen, die auch lange nach Brechts Tod oft Aufführungen seiner Werke verbieten, wenn ihnen die Interpretation nicht „werkgetreu“ genug ist. Dabei übersehen die Kritiker der Schutzdauer den eigentlichen Sinn dieser Klausel. Wer zu Lebzeiten eine Fabrik aufbaut, kann diese an seine Kinder und Enkel vererben, damit diese durch die harte Arbeit des Fabrikanten abgesichert sind. Bei Künstlern dient diese Schutzdauer der finanziellen Absicherung. Eine Verkürzung auf 50 Jahre könnte ich mittragen, zehn Jahre sind zuwenig.
Eine sehr elegante Idee ist die Opt-In-Variante. Das bedeutet, dass nur die Werke urreberrechtlichen Schutz genießen würden, die aktiv vom Urheber bei einer zentralen Stelle registriert wurden. Damit könnte ich sehr gut leben, unter der Bedingung, dass die Registrierung schnell und einfach geht und keine Kosten anfallen. So würde eine Hürde geschaffen, die viele Hobby-Fotografen davon abhalten würde, alle ihre Urlaubsbilder zu registrieren, aber gleichzeitig niedrig genug ist, dass ernsthaft arbeitende Newcomer-Bands z.B. sich die Registrierung leisten können.
Ein weiterer Punkt in der Debatte ist die sogenannten Kulturflatrate. Analog zum fahrscheinlosen Nahverkehr und dem Grundeinkommen soll mit einer Pauschalabgabe die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken ermöglicht werden. Im Grunde werden damit Abo-Modelle beschrieben. Diesen Ansatz finde ich einerseits begrüßenswert, er hat aber vor allem zwei Schwachstellen. Die erste ist: Abo-Modelle gibt es schon zuhauf, für Musik gibt es z.B. Flatrates von Simfy, Rara, Musicload, Napster oder Spotify und trotzdem wird Musik illegal runtergeladen. Für Fotos gibt es unschlagbar günstige Abo-Modelle von Shutterstock, Fotolia, Depositphotos und so weiter, trotzdem kopieren Internetnutzer fröhlich und ungefragt Fotos, ohne zu bezahlen. Bücher können in Bibliotheken gegen eine Jahresgebühr kostenlos ausgeliehen werden, trotzdem beklagen sie Besucherrückgänge. Nur bei Filmen sieht das Angebot mit iTunes, Lovefilms oder Maxdome deutlich schlechter und teurer aus.
Die zweite Schwachstelle ist aber der Verteilungsschlüssel. Im Grunde begünstigen alle Abo-Modelle einerseits die großen Urheber, also Madonna oder die Rolling Stones bei Musikern, Yuri Arcurs oder Monkeybusiness bei Fotos und so weiter, weil sich die geringen Beträge nur über viel Masse zu einer lukrativen Einnahme addieren und diese Masse haben nur die, welche lange genug im Geschäft waren, um sie produzieren zu können. Andererseits verdienen bisher bei nicht eingelösten Abos (z.B. werden nur 100 von 300 erlaubten Fotos im Monat runtergeladen) nur die Dienste-Vermittler, nicht die Urheber. Mit einer Stärkung von Abo-Modellen würde sich die Schere zwischen Urhebern und Verwertungsgesellschaften also weiter öffnen statt sie zu schließen, was ja auch ein erklärtes Ziel der Piraten ist.
Die von Piraten gerne angeführte Kluft zwischen den „armen“ Künstlern und den „fiesen“ Verwertungsgesellschaften übersieht etwas: Die Mitgliedschaft sowohl in der GEMA als auch in der VG Bild-Kunst oder VG Wort ist freiwillig. Jedem Künstler steht es frei, ob er den Service dieser Gesellschaften nutzen will oder darauf verzichtet. Es sieht so als hätten die Piraten größere Probleme mit der GEMA als die Künstler selbst. Dafür wird notfalls gerne die Nazi-Keule aus dem Sack geholt. Eine Art Verwertungsgesellschaften gibt es auch in der Stockfotografie: Jeder Fotograf könnte selbst seine Fotos anbieten, statt eine Bildagentur zu nutzen, die dafür bis zu 85% der Umsätze für sich behält. Aber wenn die Piratenpartei einen Vorschlag hat, wie die Honorarverteilung gerechter zugunsten der Künstler geregelt werden soll, bin ich ganz Ohr. Ich befürchte nur, dass die international verstreuten Bildagenturen neue deutsche Gesetze nur milde lächelnd aus der Ferne betrachten würden.
Der nächste Punkt ist die geforderte „Fair Use“-Klausel. Die Nutzung von urheberrechtsgeschützten Werken für Wissenschaft, Bildung, Kinder und andere hehre Ziele soll automatisch und ungefragt erlaubt sein, am liebsten natürlich kostenlos. Gegen die automatische Erlaubnis habe ich nichts. Bei der Forderung nach kostenloser Nutzung muss jedoch differenziert werden. Es gibt etliche Beispiele, dass z.B. auch mit der Förderung von Wissenschaft viel Geld verdient werden kann. Aktuelles Beispiel ist der Streit um die Zeitschriftengebühren des Elsevier-Verlags, aber auch Schulbuchverlage wie Westermann verdienen gut. Warum sollten die Urheber ihre Werke kostenlos für solche Zwecke zur Verfügung stellen, wenn nur andere dann daran verdienen?
Der Kern der ganzen Urheberrechtsdiskussion ist aber ein anderer, nur explizit wird er selten genannt. Im Grunde geht es doch darum, dass Nutzer von urheberrechtlich geschützten Werken mehr Rechte bekommen und weniger zahlen sollen. Zumindest ist mir bisher kein Vorschlag aufgefallen, bei dem das Resultat unter dem Strich anders gewesen wäre. Da stellt sich automatisch die Frage, wie die Verluste der Künstler kompensiert werden könnten. Darauf wird jedoch keine Antwort geliefert und stattdessen polemisch auf künstlerische Großverdiener verwiesen, als würden diese repräsentativ für alle Künstler sein.
Welche Rechte machen die Verfechter einer Urheberrechtsreform jedoch geltend? Das Recht auf Bildung, Kunst, Kultur und Wissenschaft? Es gibt genug Geschäftsbereiche, die von dem Urheberrecht leben, ohne auch nur im Geringsten künstlerisch tätig zu sein. Software-Firmen sind ein Beispiel, Dieter Bohlen und seine DSDS-Klone ein anderes und wenn wir ehrlich sind, sind auch die meisten Stockfotos eher gut produzierte Klischees als Avantgarde-Fotokunst. Warum sollten Leute ein Recht bekommen, diese Produkte frei zu nutzen, nur weil sie digital vorliegen?
Philosophisch angehauchte Reformer behaupten ja (auch hier im Blog), dass digital Produkte nur Kopien seien und durch eine möglichst häufige, kostenfreie Weitergabe kein Schaden entstünde. Gerne wird dabei übersehen, dass zur Herstellung dieser digitalen Produkte trotzdem genügend Sachwerte notwendig sind. Bei Fotos beispielsweise Kamera, Objektive, Blitze, Models, Requisiten, Locations und vieles mehr. Mit diesen Kosten wären viele Bilder nicht verkäuflich, wenn die gesamten Kosten mit einem einzigen Verkauf abgedeckt werden müssten. Stattdessen wird das Bild mehrmals verkauft und die Käufer teilen sich sozusagen die notwendigen Kosten. Wer aber wie die Piratenpartei das Recht auf Privatkopien stärken will, meint heutzutage – da ja fast alle Medien digital vorliegen nichts anderes als kostenlose Filme und Musik. Das trifft natürlich die Branchen, die sich an Endverbraucher richten, ins Mark.
Solange diese offenen Fragen nicht geklärt sind, finde ich ein Urheberrecht, so wie es jetzt ist, besser. Das heißt aber nicht, dass im Laufe der Debatte vielleicht spannende Vorschläge aufkommen könnten, mit denen sich auf die Urheber selbst anfreunden können.
Was sagt ihr dazu? Welche Vorschläge findet ihr sinnvoll, welche nicht und warum? Ich bitte aus gegebenem Anlass diesmal ausdrücklich um eine sachliche Diskussion.
