Der Begriff „Reverse Engineering“ bedeutet, ein fertiges Produkt so zu untersuchen, dass erkannt werden kann, wie es hergestellt wurde.
Das funktioniert auch in der Fotografie. Immer wieder sehe ich tolle Fotos und denke mir: „Wie machen die das nur“? Es gibt zwei Möglichkeiten, es – zumindest halbwegs – herauszufinden.

1. Die Schatten
In welche Richtung fallen die Schatten? Das Hauptlicht kommt immer aus der entgegengesetzten Richtung.
Ist der Übergang zwischen Licht und Schatten hart oder weich? Je weicher der Schatten, desto größer und näher ist die Lichtquelle, die genutzt wurde.
2. Die Augen
Die nächste Möglichkeit ist, sich vor allem bei Portraitaufnahmen die Augen genau anzuschauen. Gerne mache ich das bei den Kosmetik-Werbungen in Zeitschriften, wo die Frauengesichter schön groß abgebildet sind und auch professionell ausgeleuchtet werden. Hier mal einige Beispiele aus Werbefotos, was anhand der Reflexionen der Blitze in den Augen erkannt werden kann. Ein Klick auf die unteren Augen vergrößert das Bild.
Bei diesem Foto kommt das Licht aus einer rechteckigen Softbox von rechts. Die Softbox steht relativ dicht. Das ist an der Größe der Reflexion in den Augen zu erkennen. So entsteht ein weiches Licht und leichten Schatten.
Hier ist der Fotograf deutlich zu sehen. Er steht direkt vor dem Model und hinter ihm steht eine große Octobox als Lichtquelle, wahrscheinlich 150cm oder 200cm Durchmesser. So wird ein ganz weiches, komplett schattenfreies Licht erzeugt.
Auch dieses Foto scheint mit einer Octobox gemacht worden zu sein. Der Indiz sind die Kanten der Lichtquelle, die das Licht eher achteckig als rund aussehen lassen. Diesmal ist der Blitz etwass über dem Model und die Octobox kleiner, vielleicht 100cm. Das Licht bleibt weich, aber die Konturen sind etwas verstärkt.
Ein weiteres Beispiel eines Octobox-Reflexes im Auge des Models. Die Box ist wieder größer (oder näher dran) und diesmal kommt das Licht von oben rechts.
Hier kam wieder eine Softbox zum Einsatz. Im Gegensatz zum ersten Foto kommt das Licht direkt von vorn und nicht von der Seite. Da hier der Fotograf nicht im Auge zu sehen ist, sondern nur ein schwarzer Fleck mit dünnen schwarzen Linien nach unten, liegt die Vermutung nahe, dass die Kamera auf einem Stativ steht – und der Fotograf sie vielleicht per Kabelauslösung am Computer steuert und sich auf dem Monitor gleich das Ergebnis anschauen kann).

Bei diesem Foto wurden zwei quadratische Softboxen benutzt. Das Hauptlicht kommt leicht erhöht von rechts, das Aufhelllicht direkt von der anderen linken Seite. Die Schatten wirken dann etwas härter, aber sehr hell.
Nun kommen wir zu einem komplexeren Aufbau mit drei Lichtquellen. Als Hauptlicht dient eine Oxtobox frontal von oben, während links und schräg vor dem Model zwei rechteckige Softboxen zum Aufhellen platziert sind. Das erzeugt eine komplett schattenfreie Ausleuchtung.
In dem Auge auf diesem Foto ist eine helle, runde Lichtquelle ohne sichtbaren Blitz in der Mutte zu sehen, so daß ich vermute, dass ein Beauty-Dish zum Einsatz kam. Es könnte aber auch eine kleine Octobox sein. Der schmale Streifen darunter lässt auf einen Reflektor schließen, der unter das Gesicht des Models gehalten wurde, um das Licht vom oben platzierten Blitz zurückzuwerfen.

Auch dieser Aufbau ist komplizierter. Der Fotograf ist im Auge sichtbar. Die Lichtquelle hinter ihm ist im Vergleich zu den anderen Lichtern viel geringer, sodaß es vielleicht keine aktive Lichtquelle ist, sondern vielleicht nur ein Fenster. Bei den hellen Lichtpunkten bin ich mir auch nicht sicher, was als Lichtformer genutzt wurde.

So, nun dürft ihr mitraten. Bei diesem Foto stehe ich vor einem Rätsel. Die Form sieht einzeln stark nach einem Ringblitz aus, aber so viele? In dieser Anordnung? Auch die Intensität der Lichtquellen ist in der unteren Reihe unterschiedlich und scheint noch mal reflektiert zu werden. Was für Licht könnte der Fotograf benutzt haben?

Zur Abwechslung noch mal was Leichtes: Hier wurde ein Ringblitz direkt von vorne genommen. Der sorgtebenfalls für eine schattenfreie Ausleuchtung mit einem speziellen Look, weil die Lichtstärke nach hinten schnell abnimmt.

Bei Portraits mit Sonnenbrillen werden auch gerne Ringblitze genutzt wegen der coolen Form der Reflexion. Das sieht dann zum Beispiel wie oben aus.
3. Zuschauen und Fragen
Eine weitere, oft ignorierte Möglichkeit, die Beleuchtung bei Fotos zu lernen, ist Zuschauen. Es gibt genug Workshops, Seminare, Präsentationen, Live-Shootings und mehr, wo man Fotografen bei der Arbeit zuschauen kann. Ich hatte letzte Woche die Ehre, Joe McNally zuzusehen, wie er nach und nach seine berühmten Blitzorgien aufbaut, inklusive farbigen Gels und einiger Reflektoren.
Wenn das nicht geht, kann man Fotografen auch mal fragen, wie sie ihre Fotos ausleuchten.
Wie habt ihr mehr über Beleuchtung gelernt? Was sind Eure bevorzugten Blitzaufbauten? Gerne mit Beispielfotos oder Skizzen in den Kommentaren.
