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OLG-​Urteil: Motivschutz und die Grenzen der Nachstellung eines Bildes

Vor ziem­lich genau zehn Jahren habe ich die­sen aus­führ­li­chen Artikel über das Problem mit „Copycats“ in der Stockfotografie geschrieben.

Darin beschrei­be ich die unfai­ren Vorteile, wel­che sich Mitbewerber ver­schaf­fen, wenn sie sys­te­ma­tisch Besteller-​Bilder ande­rer Fotografen kopie­ren und wie schwer es ist, dage­gen vorzugehen:

Rechtlich gese­hen ist es lei­der schwer, gegen sol­che Kopien anzu­ge­hen, weil „nach­ge­stell­te Fotos“ im Gegensatz zu „iden­ti­schen Fotos“ nicht auto­ma­tisch einen Urheberrechtsverstoß bedeu­ten. Da kommt es dar­auf an, wie ähn­lich sich Kopie und Original sehen und ist meist eine Auslegungssache des Gerichts.“

(Auszug aus dem zitier­ten Blogartikel)

Die Grenzen zwi­schen Inspiration und Plagiat sind auch schwer zu grei­fen, wes­halb sich in der Stockfotografie-​Szene meist der Gedanke durch­ge­setzt hat, dass wir alle irgend­wo irgend­wann von jeman­dem kopie­ren und eben­so kopiert wer­den. Das gehö­re irgend­wie dazu, vor allem, weil sich die gut ver­kau­fen­den Themen kaum ändern und so wenig Spielraum für Ausweichmöglichkeiten bleibt, wenn mensch die­se Motive abde­cken möch­te („Business-​Handshake“, anyone?).

So muss ich als durch mei­nen Blog und mei­ne Publikationen beson­ders in der Öffentlichkeit ste­hen­der Stockproduzent meist zäh­ne­knir­schend hin­neh­men, wenn sich ande­re aus mei­nem gro­ßen Bilderfundus mehr oder weni­ger detail­ge­nau bedie­nen als Inspirationsquelle.

Das Bild und die Kopie

Manchmal gibt es aber Motive, auf die unser Team beson­ders stolz ist, weil sie eben noch nicht hun­dert­fach vor­han­den sind, vor allem, wenn die­se sich dann auch noch sehr gut verkaufen.

Als Beispiel hier die­ses 3D-​Rendering mei­nes 3D-​Grafikers von einem schwe­ben­den Sofa, seit November 2015 im Adobe Stock Portfolio (damals noch Fotolia):

Unser Original-​3D-​Rendering…

Ich rieb mir nicht schlecht die Augen, als ich im Februar 2020 im Adobe Stock Portfolio des Fotografen Rafael Classen die­ses Bild sah:

…und das Bild von Classen

Es ist das glei­che Sofa, die glei­che Topfpflanze, der glei­che Beistelltisch, und die glei­che Korkenlampe. Selbst die Kissen, wel­che beim Sofa (ein 3D-​Modell der Firma Evermotion, u.a. aus die­sem Set) brav auf dem Sofa plat­ziert waren, wur­den in fast iden­ti­scher Kombination genutzt. Auch die Farbwahl ist sehr ähn­lich, die Gemeinsamkeiten bei­der Bilder sind auf den ers­ten Blick grö­ßer als die Unterschiede.

Das Bild von Classen unter­schei­det sich in mar­gi­na­len Details: Der Fußboden ist zum Beispiel dunk­ler mit ande­rem Muster, die Fernbedienung ist ein ande­res Modell und das Bild hat weni­ger Vignettierung und ein ande­res Seitenverhältnis.

Herr Classen hat­te schon vor­her eini­ge Bilder in sei­nem Portfolio, wel­che mei­nen Bildern (und denen ande­rer Kollegen) mei­ner Ansicht nach auf­fäl­lig ähn­lich sahen, aber hier woll­te ich doch eine Grenze ziehen.

Ich mel­de­te die Kopie via DMCA-​Formular an Adobe Stock, wel­che die­se dar­auf­hin sperr­te, bis der Anbieter Widerspruch ein­leg­te. Nach den Regeln von Adobe müss­te ich nun nach­wei­sen, dass mei­ne Meldung recht­lich nach­voll­zieh­bar sei, sonst wür­de die Kopie wie­der in den Verkauf kommen.

Also for­der­te ich durch mei­nen Anwalt in einer Abmahnung die Abgabe einer Unterlassungserklärung, was Classen ablehn­te. Daraufhin reich­ten wir im April 2020 Klage wegen Urheberrechtsverletzung ein.

Kurz dar­auf reich­te Classen eine Widerklage gegen mich wegen Urheberrechtsverletzung ein, weil er der Ansicht war, ich hät­te fünf sei­ner Bilder kopiert.

Die Gerichtsentscheidungen:
1. LG München

Vor dem Landgericht München wur­de unse­re Klage (und auch die Widerklage) im Dezember 2021 abge­wie­sen. Hauptsächlich mit der Begründung, alle Werke sei­en nicht durch das Urheberrecht geschützt, weil es nach §72 UrhG weder ein Lichtbild (aka „Foto) noch ein Werk nach §2 UrhG sei:

Inwiefern ein licht­bild­ähn­li­cher Schutz auch für Computerbilder bzw. Computeranimationen sowie mit Hilfe der Digitaltechnik ver­än­der­te oder neu­kom­po­nier­te Bilder gewährt wird, ist umstrit­ten (Dreier/​Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 72, Rn. 7, 8 m.w.N.; ver­nei­nend KG, GRUR 2020, 280). Ausgangspunkt der vor­zu­neh­men­den Auslegung des § 72 UrhG ist der Wortlaut der Norm, wonach maß­geb­lich auf den Schaffensvorgang und nicht auf das Ergebnis des Schaffensprozesses abge­stellt wird. Dementsprechend kann für die Beantwortung der Frage, was unter „Erzeugnissen, die ähn­lich wie Lichtbilder her­ge­stellt wer­den“ zu ver­ste­hen ist. allein das Ergebnis des Herstellungsverfahrens letzt­lich nicht maß­geb­lich sein. Erforderlich ist nach dem Wortlaut der Norm viel­mehr, dass ein ähn­li­ches Herstellungsverfahren wie bei der Erstellung von Lichtbildern ange­wandt wird. Insoweit kommt es jedoch nicht ent­schei­dend auf den Schaffensvorgang aus Sicht des Anwenders der Technik, son­dern auf die Vergleichbarkeit der tech­ni­schen Prozesse an. Für die Ähnlichkeit der Prozesse spricht, dass bei der Erstellung einer Computergrafik auch Gegenstände zunächst räum­lich in ganz bestimm­ter Weise zuein­an­der ange­ord­net, eine bestimm­te Farbwahl getrof­fen und sodann gege­be­nen­falls über Art, Anzahl und Position der Lichtquellen ent­schie­den wird. Dies genügt jedoch nicht, um von einem licht­bild­ähn­li­chen Erzeugnis aus­zu­ge­hen. Zentrales Argument für die Privilegierung der Lichtbilder war der Einsatz der Technik der Fotografie. Im Fokus steht dabei die tech­ni­sche und nicht die schöp­fe­ri­sche Leistung. Charakteristische Merkmale der Fotografie sind aber zum einen der Einsatz von strah­len­der Energie und zum ande­ren die Abbildung eines im Moment der Bilderschaffung vor­han­de­nen, kör­per­li­chen Gegenstands (OLG Köln, GRUR-​RR 2010, 141, 142; KG, GRUR 2020, 280, 284; BeckOK UrhR/​Lauber-​Rönsberg, 32. Ed. 15.9.2021 , UrhG, § 72, Rn. 33).

Beide Merkmale erfüllt das streit­ge­gen­ständ­li­che Rendering indes nicht. Es han­delt sich hier­bei gera­de nicht um eine unter Einsatz strah­len­der Energie erzeug­te selbst­stän­di­ge Abbildung der Wirklichkeit, son­dern viel­mehr um eine mit­tels elek­tro­ni­scher Befehle erzeug­te Abbildung von vir­tu­el­len Gegenständen.“

aus dem Urteil des LG München vom 3.12.2021

Angesichts der moder­nen Technik, die schon jahr­zehn­te­lang Einzug in die Bildproduktion gehal­ten hat­te, woll­ten wir nicht so recht glau­ben, dass wir kei­ne Urheberrechte an unse­rem Bild hät­ten, nur weil es kein Foto, son­dern ein 3D-​Rendering sei.

Deshalb leg­ten wir Berufung gegen das Urteil ein. Auch Rafael Classen leg­te Berufung wegen sei­ner abge­wie­se­nen Widerklage ein.

2. OLG München

Wie wir gehofft hat­ten, betrach­te­te das Oberlandgericht München den Fall dif­fe­ren­zier­ter und fäll­te am 29.6.2023 ein Urteil zu unse­ren Gunsten (OLG München, Aktenzeichen 29 U 256/​22).

Erstens wur­de aner­kannt, dass auch 3D-​Renderings Urheberschutz genie­ßen kön­nen, wenn sie eine gewis­se künst­le­ri­sche Leistung erken­nen las­sen. Ausführlicher wird die­ser Aspekt in die­sem Blogpost auf der Webseite mei­nes Anwalts zitiert.

Zweitens legt das OLG München aus­führ­lich dar, unter wel­chen Bedingungen nicht nur direk­te Kopien eines Originals, son­dern auch Varianten davon schutz­fä­hig sein können:

[…] Ist die Veränderung der benutz­ten Vorlage indes­sen so weit­rei­chend, dass die Nachbildung über eine eige­ne schöp­fe­ri­sche Ausdruckskraft ver­fügt und die ent­lehn­ten eigen­per­sön­li­chen Züge des Originals ange­sichts der Eigenart der Nachbildung ver­blas­sen, liegt kei­ne Bearbeitung oder ande­re Umgestaltung i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG […], son­dern ein selbst­stän­di­ges Werk vor, das in frei­er Benutzung des Werks eines ande­ren geschaf­fen wor­den ist und das […] ohne Zustimmung des Urhebers des benutz­ten Werks ver­öf­fent­licht und ver­wer­tet wer­den darf.“

Genau die­se Bedingung sei in unse­rem Fall aber nicht erfüllt worden:

Bei einem Vergleich des Gesamteindrucks der bei­den Gestaltungen zeigt sich, dass die­ser auch im Rendering des Beklagten durch eben­die­se Elemente, das impuls­be­ding­te Abheben, die Wellenform, den Hintergrundkontrast und – in etwas gerin­ge­rem Maße – durch den Schattenwurf bestimmt wer­den. Gerade die wel­len­för­mi­ge Ausrichtung der Einzelelemente mit ihren ein­zel­nen Drehrichtungen und Neigungswinkeln ist prak­tisch iden­tisch zum klä­ge­ri­schen Rendering und erzeugt in glei­cher Weise den Eindruck eines kurz nach dem Abheben der Dinge erfolg­ten Schnappschusses, wobei auch der Kontrast der größ­ten­teils hel­len Elemente vor einem ähn­li­chen Blauton im Hintergrund die Wirkung ver­stärkt. Die Unterschiede der Gestaltungen, die vor allem durch einen dunk­le­ren Boden mit stär­ke­rer Zeichnung der Bohlen sowie den sich stär­ker auf der Wand als auf dem Boden abzeich­nen­den Schattenwurf bestimmt wer­den, prä­gen den Gesamteindruck beim Rendering der Beklagten dage­gen nicht so nach­drück­lich, dass die sich auf­drän­gen­den und ins Auge ste­chen­den Übereinstimmungen in ihrer Gesamtwirkung ver­blas­sen wür­den.
Da durch den stark über­ein­stim­men­den Gesamteindruck bei­der Renderings die ursprüng­li­che klä­ge­ri­sche Gestaltung beim Rendering des Beklagten deut­lich wie­der­zu­er­ken­nen ist, greift des­sen Gestaltung in den Schutzbereich des älte­ren klä­ge­ri­schen Werkes ein.“

3. Die Widerklage

Rafael Classen behaup­tet in sei­ner Widerklage, ich hät­te mit die­sen fünf Werken sei­ne Urheberrechte ver­letzt, weil er fast iden­ti­sche Bilder vor­her erstellt hätte:

Großes wei­ßes Fragezeichen vor gel­ber Wand mit Textfreiraum als FAQ Konzept
Kontakt und Kommunikation Symbole vor gel­ber Wand als Hintergrund
Leute auf Messe unter einem lee­ren Werbeplakat oder Werbebanner
Viele anony­me ver­schwom­me­ne Leute gehen im Einkaufszentrum einkaufen
Anonyme unschar­fe Menschenmenge unter­wegs auf einer Business Messe

Bei den bei­den gel­ben 3D-​Renderings mit den Icons an der Wand lehn­te das Oberlandgericht München die Berufung der Widerklage mit Verweis auf die zu gerin­ge Schöpfungshöhe ab:

Bezüglich der Renderings des Beklagten […] ist dem Landgericht dar­in zu fol­gen, dass die­se nicht die nöti­ge Gestaltungshöhe im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG auf­wei­sen und daher kei­nen Werkschutz im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 UrhG genießen.

Es han­delt sich jeweils um im Schriftverkehr übli­che Zeichen in einer übli­chen Schrifttype, die im wei­tes­ten Sinne mit Kommunikation zu tun haben, wofür wie­der­um die Wahl der Farbe Gelb und des kon­kre­ten Farbtons wegen der Assoziation zu Postdienstleistungen beson­ders nahe­lie­gend erscheint. Der durch das Anlehnen an einer Wand, den Schattenwurf und die Spiegelung auf dem Boden ent­ste­hen­de räum­li­che Eindruck ist eben­falls im Bereich von Logos und in der Werbegrafik hin­läng­lich geläu­fig und hebt die bei­den Gestaltungen nicht vom Alltäglichen und hand­werk­lich Üblichen ab.“

Bei den drei Fotos der Kölner Messe sei zwar die Schöpfungshöhe erreicht, aber unbe­rech­tig­te Kopien sei­en mei­ne Fotos nicht:

Auch sofern man in den Aufnahmen des Beklagten blo­ße Lichtbilder nach § 72 UrhG erbli­cken wür­de, fehl­te es an einer Verletzung, da die­se nach dem oben Gesagten kei­nen Motivschutz gegen nicht­iden­ti­sche oder nicht nahe­zu iden­ti­sche Gestaltungen genie­ßen, so dass es sogar jeder­mann frei­steht, das glei­che vor­ge­ge­be­ne Motiv vom sel­ben Standort und unter den­sel­ben Lichtverhältnissen noch ein­mal aufzunehmen.“

Richtungsweisende Entscheidung

Mit dem Urteil des OLG München haben wir nun die ers­te Entscheidung seit lan­gem, die sich aus­führ­lich mit dem Motivschutz von 3D-​Renderings und Fotos befasst.

Ob Motive nach­ge­stellt wer­den dür­fen, hängt dem­nach von vie­len Faktoren ab, die im Einzelfall geprüft wer­den müs­sen. Eine Urheberrechtsverletzung liegt in der Regel dann vor, wenn die den Gesamteindruck prä­gen­den Gestaltungselemente des Originals auch in der Kopie vorliegen.

Weitere Termine

Auch wenn die­se Klage erle­digt ist, gibt es wei­te­re Gerichtstermine mit Herr Classen. Am Mittwoch, den 8.5.2024 fin­det vor dem Landgericht Düsseldorf der Gütetermin und Verhandlungstermin wegen „Folgeansprüchen aus Wettbewerbsrechtsverletzung durch Veröffentlichungen eines Mitbewerbers und daten­schutz­recht­li­cher Auskunft“. Die Einstweilige Verfügung in die­sem Zusammenhang hat er bis­her größ­ten­teils ver­lo­ren, inso­fern bin ich auch da zuversichtlich.