Neues Geschäftsmodell? Foto-​Lotterie für Fotografen (aka „working on spec“)

Im September 2008 hat­te ich einem Mailwechsel mit dem Betreiber der Webseite microshooting.de, in dem er mich von den Vorzügen sei­nes Geschäftsmodells über­zeu­gen woll­te. Vor kur­zem bekam ich eini­ge Mails von Blog-​Lesern, was ich denn von der Webseite FocalPop.com hal­ten wür­de. Nachdem ich sie mir ange­schaut habe und die­se ein ähn­li­ches Geschäftsmodell wie microshooting.de betreibt, möch­te ich genau­er erklä­ren, was das für Fotografen bedeutet.

Screenshot der Startseite von FocalPop
Screenshot der Startseite von FocalPop

Beide Webseiten arbei­ten nach dem „Working For Spec“-Prinzip.

Das bedeu­tet: Ein Kunde kann einen Auftrag, in unse­rem Fall ent­we­der die Suche nach einem Foto oder einer Illustration online plat­zie­ren und ange­ben, wie viel er dafür zah­len möch­te. Registrierte Fotografen und Designer kön­nen sich die­se Gesuche durch­le­sen und die gewünsch­ten Bilder aus ihrem Archiv suchen oder dafür neu pro­du­zie­ren. Der Kunde bekommt die fer­ti­gen Ergebnisse unver­bind­lich zur Ansicht und kann ent­schei­den, ob er wel­che davon zum vor­her ange­ge­be­nen Preis kau­fen möch­te oder nicht. Für Designwünsche wie Logoentwürfe oder Webseitengestaltung gibt es eben­falls eine „Work For Spec“-Seite namens CrowdSpring.

Das Spec in Working for Spec steht des­halb für Speculation oder zu deutsch Spekulation. Ein Fotograf, der dar­an teil­nimmt, weil nicht, ob er für sei­ne Arbeit ent­lohnt wird oder ob er „umsonst“ gear­bei­tet hat. Verständlicherweise gin­gen schnell Grafiker und ande­re Berufsgruppen auf die Barrikaden, da sie nicht an einer Lotterie teil­neh­men wol­len, bei der unklar ist, ob sie für ihre Mühen Geld sehen wer­den. Stockfotografen weren sich jetzt am Kopf krat­zen und fra­gen, was dar­an so anders als am Geschäftsmodell der Stockfotografie sein soll? Hier eine Übersicht der Vor- und der Nachteile des Geschäftsmodells, auch im Vergleich zur Stockfotografie.

Vorteile

  • Die aus­ge­schrie­be­nen Honorare der bei­den oben genann­ten Webseiten lie­gen deut­lich höher als Microstock-​Preise, teil­wei­se auch etwas über Macrostock-​Preisen. Bei microshooting.de war der Minimalpreis 300 Euro, bei FocalPop lie­gen die bis­he­ri­gen Gebote zwi­schen 70 und 200 US-Dollar.
  • Die Provisionen für den Gewinner-​Fotografen sind eben­falls deut­lich höher als bei vie­len Bildagenturen. Während vie­le Microstock-​Agenturen die Fotografen mi 20–50% abspei­sen, zahl­te microshooting.de 80% aus, FocalPop gibt 70% Provision an den Fotografen weiter.
  • Die freie Zeit von Fotografen zwi­schen Aufträgen kann pro­duk­tiv genutzt wer­den und die lau­fen­den Fixkosten (Studiomiete, etc.) kön­nen so bes­ser kom­pen­siert werden.
  • Je nach­dem, ob der Kunde Exklusivität wünscht, kann der Fotograf unter Umständen ein auf das Gesuch pas­sen­de Foto aus sei­nem Archiv ver­wen­den und hat so kei­nen Aufwand.

Nachteile

  • Die aus­ge­schrie­be­nen Honorare sind in der Regel nied­ri­ger als wenn der Kunde direkt mit einem Fotografen ver­han­deln würde.
  • Der Fotograf kann nie sicher sein, ob er für sei­ne Arbeit ent­lohnt wird. Es kann auch vor­kom­men, dass kei­ner der betei­lig­ten Künstler Geld erhält, weil dem Kunden alle Entwürfe nicht zusagen.
  • Je nach­dem, wel­che Exklusivität der Kunde wünscht, kann der Fotograf nicht auf sein Archiv zurück­grei­fen, son­dern muss eine kon­kre­te Bildidee umsetzen.
  • Die freie Studiozeit kann ein Fotograf bes­ser nut­zen, indem er uni­ver­sell nutz­ba­re Motive im Studio foto­gra­fiert, statt ein bestimm­tes Motiv, wel­ches unter Umständen nicht gebraucht wird.
  • Je leich­ter das gesuch­te Motiv umzu­set­zen ist, des­to mehr Fotografen betei­li­gen sich an dem „Bieter-​Wettkampf“, je kom­ple­xer das Motiv, des­to grö­ßer ist das Risiko, dass der Kunde nicht zufrie­den ist. Beide Faktoren erhö­hen die Wahrscheinlichkeit, dass das Foto eines Fotografen gekauft wird.
  • Zehn ähn­li­che und wei­te­re Gründe gegen „Work for Spec“ führt die Webseite der Kampagne „No!Spec“ hier an.

Der größ­te Unterschied zwi­schen „Work for Spec“ und Stockfotografie ist, dass Stockfotografen mög­lichst viel­sei­tig nutz­ba­re Bilder pro­du­zie­ren, bei denen sie unter dem Strich mit einem gewis­sen, kal­ku­lier­ba­ren Umsatz rech­nen kön­nen. Bei den oben genann­ten Webseiten hin­ge­gen sind die Gesuche teil­wei­se so kon­kret, dass es es im fast unmög­lich ist, sol­che Motive im Voraus zu foto­gra­fie­ren und die­se hin­ter­her auch so spe­zi­ell sein kön­nen, dass sie für Bildagenturen wenig inter­es­sant sind. Hier mal zwei Beispiele von ech­ten Anfragen bei microshooting.de:

Beschreibung Frau:
Junge Frau, 20–25 jah­re, süd­ame­ri­ka­ni­scher, ras­si­ger Typ mit dunk­len, lan­gen Haaren, hübsch & sexy, schö­ne Beine, offe­ner, freund­li­cher Gesichtsausdruck, eher „süß“ (auf kei­nen Fall „Vamp“ oder agres­siv verführerisch).
Dress:
leich­te Bekleiduung: Hot Pants (Jeans) oder kur­zes Kleid (Rock) in typisch-​südländischem Kleidungsstil
Postion:
Frontal ste­hend, schma­ler Stand, in Tanzbewegung“

oder

Junger männ­li­cher Metzger, dun­kel­haa­rig und sport­lich, wei­ße (evtl. schwar­ze) Metzger-​Kleidung (modern), Accessoires (Knöpfe, Halstuch) nicht in Blau oder Gelb, unse­re Hausfarben sind Rot (HKS 14) und Grün (HKS 57), ohne Uhr oder Schmuck.
Er weißt auf etwas hin, prä­sen­tiert etwas, ähn­lich wie unser Vorgänger (s. Bild), schaut den Kunden an. Ohne Hintergrund (Freisteller)“

Wie ihr oben seht, hal­ten sich die Vor- und Nachteile unge­fähr die Waage. Trotzdem pro­gnos­ti­zier­te ich bei mei­nem ein­gangs erwähn­ten Mailwechsel, dass die­ses Konzept kei­ne Zukunft haben wür­de. Nach rund einem Jahr Geschäftsbetrieb kün­dig­te microshooting.de im September 2009 die Einstellung des Portals an.

Meine Argumente sind heu­te die glei­chen wie damals: Wer rela­tiv gene­ri­sche Motive sucht, die Fotografen leicht lie­fern könn­ten, fin­det die­se mitt­ler­wei­le schnel­ler und bil­li­ger bei Bildagenturen. Je kom­ple­xer das gewünsch­te Motiv ist, des­to weni­ger sind die Fotografen bereit, das Risiko der Produktion auf sich zu neh­men und des­to gerin­ger ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Fotograf das Bild im Falle einer Ablehnung durch den Kunden ander­wei­tig nut­zen kann. Dazu kommt, dass vie­le Bildagenturen selbst eine Art „Work For Spec“ anbie­ten, indem sie Bildsuchern erlau­ben, unver­bind­li­che Suchanfragen an Fotografen schi­cken zu las­sen, wie das die Agenturen Panthermedia, ImagePoint und eini­ge ande­re erlau­ben. Die eben beschrie­be­nen Phänomene las­sen sich dort gut beobachten.

Einen Vorteil gibt es jedoch für Stockfotografen, den ich noch nicht erwähnt habe. Die Anfragen auf den genann­ten Webseiten sind nicht fik­tiv, son­dern echt. Das heißt, der Fotograf bekommt kos­ten­los Kundenwünsche frei Haus gelie­fert und gewinnt dadurch einen Eindruck, wel­che Motive bis­her bei den Bildagenturen nicht oder nur schwer zu fin­den sind.

Was sagt ihr zu die­sem Geschäftsmodell? Habt ihr kon­kre­te Erfahrungen mit den genann­ten Webseiten machen können?

7 Gedanken zu „Neues Geschäftsmodell? Foto-​Lotterie für Fotografen (aka „working on spec“)“

  1. Hallo Robert!

    In dei­nem Artikel sprichst du wie­der ein „heis­ses“ Thema an.

    Ich habe gera­de vor kur­zem ein „work for spec“-Portal aus­pro­biert um einen Werbebanner gestal­ten zu las­sen. Die Idee dahin­ter war, mög­lichst unter­schied­li­che Entwürfe zu bekom­men – natür­lich spiel­te auch das Budget eine Rolle. Schlussendlich haben wir für einen Flash-​Banner (Master) mit 5 unter­schied­li­chen Formaten 600,- Euro bezahlt. Die Qualität war sehr gut und mit der erfolg­rei­chen Designerin kann ich mir in Zukunft eine Zusammenarbeit auf direk­tem Weg vorstellen 😉

    Eine ähn­li­che Vorgangsweise könn­te ich mir auch bei Fotos vor­stel­len – die unver­bind­li­chen Suchanfragen von Panthermedia bzw. ImagePoint kann­te ich nicht … wie funk­tio­niert das genau??

    Weitere (mög­li­che) Vorteile von „work for spec“-Portale für Auftragnehmer:
    + Chance für Nachwuchsfotografen Referenzen zu sammeln
    + Aus gewon­ne­nen Ausschreibungen kön­nen fixe Geschäftsbeziehungen entstehen
    + Zumindest bei eini­gen Aufträgen kann man gleich eine Serie Stockfotos mit produzieren

  2. Danke für Deinen Erfahrungsbericht aus Käuferseite. Die Suchanfragen funk­tio­nie­ren so: Der Kunde schickt der Bildagentur, meist über ein Formular auf deren Webseite die Beschreibung des gesuch­ten Fotos, die dann an alle inter­es­sier­ten Fotografen der Agentur wei­ter­ge­lei­tet wird. Diese kön­nen dann ent­schei­den, ob sie in ihrem Archiv das gewünsch­te Motiv vor­rä­tig haben oder es pro­du­zie­ren wol­len, um es danach zur Bildagentur hoch­zu­la­den und dem Kunden anzu­bie­ten. Unabhängig davon, ob der Kunde das Bild dann zu den übli­chen Agenturpreisen kauft oder nicht wird es in den Agenturbestand auf­ge­nom­men und kann auch von ande­ren gekauft werden.

  3. Hmm. Klar ist aber auch, dass die­se Webseiten den Beruf des Grafikers oder Designers zer­stö­ren. Das fin­de ich etwas scha­de, denn ich woll­te eigent­lich genau die­se Richtung ein­schla­gen (habe 09 mein Abi gemacht). Aber in Zukunft wird es dann wohl so aus­se­hen, dass alle Firmen sich kei­nen teu­ren Designer mehr leis­ten, son­dern ihre Ausschreibungen ins Netz stel­len, wo Studenten und Hobby-​Designer für einen Hungerlohn die­se Jobs aus­füh­ren. Der Designer, der auch auf einen anstän­di­gen Gehalt ange­wie­sen ist, schaut in die Röhre.
    Oder sehe ich das zu schwarz?

  4. Ich den­ke, die­se „work on spec“ sei­ten wer­den den Beruf des Grafikers genau so zer­stö­ren wie die Microstock-​Webseiten den des Fotografen. Nämlich nicht. Sie wer­den die Berufe eher verändern.

  5. @iMax
    Ich arbei­te bei einer Firma mit über 1.000 Angestellen. Aufträge über sol­che Portale sind eher die Ausnahme. Wir enga­gie­ren durch­aus auch gut bezahl­te Agenturen bzw. Grafiker 😉

    Andererseits weiß ich, dass oft Agenturen ihre Grafiker auch ausbeuten.

    Was ich in mei­nem ers­ten Kommentar viel­leicht nicht erwähnt habe:
    Hätte ich einen ver­läss­li­chen Designer mit akzep­ta­blem Preis/​Leistungsverhältnis gekannt – hät­te wahr­schein­lich die­ser den Auftrag bekommen.

    Und wie schon geschrie­ben, bestehen sehr gute Chancen für die Designerin, die den Wettbewerb gewon­nen hat, in Zukunft direkt Aufträge von uns zu bekommen.

  6. Alles Banane.
    Wird durch den öffent­li­chen Aufruf zur Produktion eines Motivs nicht die Idee bereits im Vorfeld zer­stört bzw. vom Auftraggeber selbst ver­ra­ten? Also z. B. wird „ein Mann im Anzug mit Banane in der Hand“ gesucht, ste­hen ein paar Wochen spä­ter in den Microstock-​Agenturen neue Bilder mit den Schlagworten: Mann, Anzug, Banane,… zum Ausverkauf?!
    Und somit kauft und pro­du­ziert plötz­lich die Konkurrenz des ach so „krea­ti­ven“ Auftraggebers glei­che, aus­tausch­ba­re Bananen-Motive.
    Die Aufgabe des ech­ten Kreativen wird zukünf­tig also noch wert­vol­ler, und kei­nes­falls zer­stört ;D

  7. Schließe mich ane­mo an,

    Die krea­ti­ven wer­den in Zukunft gesucht die das Handwerk per­fekt beherr­schen (weil sie viel­leicht schon vie­le Aufträge absol­viert haben) und vor Kreativität und Innovation sprudeln.

    Ich selbst kom­me an Aufträge durch unse­re Internet oder Facebook Seite, viel mehr aber durch „Mund zu Mund Propaganda „.
    Aber auch bei uns gilt, wenn das Produkt nicht gefällt, dann muss es auch nicht gekauft werden.

Kommentare sind geschlossen.