Ein Buch für Grafiker in einem Blog für Fotografen?
Was sich beim ersten Lesen leicht fehlplatziert anhört, passt umso besser, je länger ich darüber nachdenke. Deswegen habe ich mich auch entschieden, das Buch „Grafik und Gestaltung. Das umfassende Handbuch“* von Markus Wäger hier im Blog vorzustellen, obwohl ich eigentlich eins der Fotobücher* des Autoren rezensieren wollte.

„Umfassendes Handbuch“ wird der knapp zwei Kilo schwere Wälzer im Untertitel genannt und der Verlag übertreibt hier nicht. Auf 620 Seiten erklärt der freie Grafikdesigner aus Österreich alles, was zum Thema „Grafik und Gestaltung“ wichtig ist. Neben einem Grundsatz-Kapitel mit verschiedenen – elementar wichtigen – Gestaltungsgesetzen sind das vor allem die Oberthemen Form, Farbe, Bild, Schrift und Textsatz, die im Buch behandelt werden. Danach folgen Kapitel über Gestaltungsraster, Corporate Design und die Druckvorstufe.
Klingt für Fotografen erst mal nicht so hilfreich? Im Gegenteil.
Ich gehe davon aus, dass die meisten Fotografen, welche meinen Blog lesen, schon etwas Erfahrung im Umgang mit ihrer Kamera haben und dafür keine Hilfestellung benötigen. Was einigen technisch versierten Fotografen jedoch manchmal fehlt, ist ein tieferes Verständnis für die Gestaltungsregeln, die ein gutes von einem perfekten Foto unterscheiden. Damit meine ich nicht nur die „Goldener Schnitt“-Regel und was Fotografen mit absichtlich gesetzter Schärfentiefe bewirken können. Das wird im Buch aber auch besprochen. Eine gute Gelegenheit, kurz näher auf das Kapitel 4 einzugehen, welches sich mit Bildern und Fotos beschäftigt, denn da habe ich im Gegensatz zur Typographie und den unterschiedlichen Druckverfahren als Fotograf mehr Ahnung.
Markus Wäger erklärt im Bild-Kapitel mit vielen anschaulichen Beispielen, warum Menschen und Blicke auf Fotos wichtig sind, wie verschiedene Anschnitte dem gleichen Bild ganz andere Wirkungen verleihen können, was Farben im Bild verändern und so weiter. Auch wenn der Bereich über „Gestaltungsregeln“ nur ca. 30 Seiten des Buchs ausmacht, kann ich diesen Teil uneingeschränkt als hilfreiche Fortsetzung des Gestaltungskapitel meines eigenen Buchs „Stockfotografie“* empfehlen.
Die Teile – nein, eigentlich das ganze Buch – ergänzen sich auch deshalb wunderbar, weil Markus Wäger von der „anderen Seite“ kommt. Damit meine ich, dass ich mein Buch als Fotoproduzent geschrieben habe, also als Hersteller von Stockfotos, während Markus als Grafikdesigner eher auf der Kundenseite steht und genau diese Fotos für seine Arbeit braucht und kauft. Deswegen muss ich bei fast jeder Seite seines Buches schmunzeln, weil fast alle Fotos im Buch bei Bildagenturen gekauft wurden und die „Positiv/Negativ“-Beispiele dadurch für Stockfotografen doppelt hilfreich sind. Außerdem betone ich immer wieder, dass es wichtig ist, sich als Stockfotograf in seine Kunden hineindenken zu können. Wer lernt, worauf Grafikdesigner achten müssen, macht fast automatisch Fotos, welche für die Kunden nützlicher sind.
Während das Bild-Kapitel für Stockfotografen eher eine Auffrischung sein wird, sind die anderen Kapitel das, was das Buch auch für Stockfotografen wertvoll macht. Die klassischen Gestaltungsregeln in Bildern und die verschiedenen (Wechsel-)Wirkungen von Farben gelten ja nicht nur für Zeichnungen oder Grafiken, sondern eben auch für Fotos, werden in diesem Buch aber in einer Klarheit bebildert, wie ich sie in Fotobüchern kaum angetroffen habe.
Der Schriftteil ist nicht ganz so spannend für Fotografen, aber spätestens, wenn ein Stockfotograf Foto- und Textelemente in einem Bild kombinieren will, wie ich es hier* oder hier* gemacht habe, wird etwas Wissen über Typographie sehr nützlich, weil das dann den Unterschied macht, ob sich das Bild verkauft oder nicht. Wer nicht weiß, was „Serifen“ sind und wozu diese nützlich sind, wird schon Schwierigkeiten haben, sich für die passende Schriftart zu entscheiden. Aber auch wer die Wirkungen von Laufweiten oder Zeilenabstand nicht kennt, kann ein Bild dadurch kaputtmachen. Das gleiche gilt auch für Illustratoren, welche mit Text arbeiten oder für 3D-Artists, welche in ihre Stockfotos wie hier* Schriften einbauen. Auch ganz praktische Anwendungsprobleme, wie die Frage, ob und wie man verschiedene Schriften mischen kann, werden beantwortet.
Und wer sich als Fotograf denkt, er sei kreativ genug, um auch seine Visitenkarten, Werbeflyer und Briefköpfe selbst gestalten zu können, lernt im „Corporate Design“-Kapitel, dass mehr dazugehört, als ein Auge oder eine Kamera als Logo neben seinem Namen zu platzieren, um ein angenehm einheitliches Erscheinungsbild zu kreieren.
Kurz: Ein empfehlenswertes Buch für Stockfotografen, weil es eben etwas fachfremder ist, aber durch die anschaulichen Beispielbilder, die klare Strukturierung und die leicht humorvollen Texte trotzdem auch für Nicht-Grafikdesigner verständlich und lehrreich ist. Das Buch „Grafik und Gestaltung“* ist bei Galileo Design erschienen und kostet 39.90 Euro im Hardcover-Einband.
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