Im Verlag Klaus Wagenbach gibt es seit 2019 mit „Digitale Bildkulturen“ die erste Buchreihe, welche sich systematisch mit digitalen Bildphänomenen beschäftigt.
Das reicht von „Cat Content“ über „TikToK“ und „Videokunst“ bis zur Stockfotografie* . Letzteres Buch mit Thomas Nolte als Autor ist vor einer Woche erschienen (ISBN 978–3803137418). Ich habe es mir für euch angeschaut.
Das Buch ist wie alle Ausgaben der Reihe recht klein (ich habe zum Vergleich mal meine Hand im Bild gelassen) und mit 80 Seiten auch recht dünn.
Wenn da noch die Anmerkungen und das Abbildungsverzeichnis weggelassen werden, bleiben netto ca. 55 Seiten, in denen Thomas Nolte zeigen will, „dass sich aus dem Geschäftsmodell der Stockfotografie eine eigene unverwechselbare Ästhetik ergibt“ (S. 10–11).
Gedanklich teilt sich das Buch grob in drei Abschnitte.
Erstens die Entstehung der Stockfotografie, welche sich mit der Kapitelüberschrift „Stockfotografie als Adoptivkind des Neoliberalismus“ gut zusammenfassen lässt.
Zweitens dem Einfluss der Stockfotografie in der Meme-Kultur, im Buch exemplarisch vor allem am „Distracted Boyfriend“- und „Hide the Pain Harold“-Meme dargestellt.
Drittens der Zuarbeit der Stockfotografie-Branche für die aufkommenden KI-Unternehmen:
„Der Eintritt der Stockfotografie in die digitale Sphäre geht dabei nicht spurlos an ihr vorüber. Vielmehr wird sie von der Dynamik des Internets erfasst: So treiben die Sozialen Medien mit den klischeehaften Darstellungen der Stockfotografie ihren Schabernack, und Unternehmen machen sich die digitalisierten Bilddatenbanken der Stockfotografie zunutze, um ihre künstlichen Intelligenzen (KI) zu trainieren. Damit nehmen Stockfotos in der digitalen Bildkultur eine Scharnierfunktion ein: Sie dienen als Grundlage für eine gerade erst anbrechende Ära von KI-generierten Bildern, in denen sich die Ästhetik der Stockfotografie fortsetzt, ja vielleicht sogar prägend wird.“ (S. 11)
Solche prägnanten Zusammenfassungen der Stockfotografie-Entwicklung gibt es einige im Buch. Zur Kommerzialisierung heißt es zum Beispiel:
„Die Einbindung der Microstockfotografie führte zu den schon häufiger beschriebenen Effekten des Plattformkapitalismus: Die Produktionskosten werden auf die Produzent*innen abgewälzt, wodurch sich die Preise für die Kund*innen senken lassen. Den Hauptteil der Gewinne streichen die Plattformbetreiber ein, während die Produzent*innen nur noch in Ausnahmefällen von ihrer Arbeit leben können.“ (S. 18)
Interessant ist meiner Ansicht nach auch die Erwiderung im Buch auf den häufigen Vorwurf, Stockfotos würden die mit ihrer Darstellung die Gesellschaft beeinflussen. Laut Nolte bieten Stockfotos vielmehr eine Vielzahl an möglichen Gesellschaftsentwürfen an, aus denen sich die Käufer dann ihre bevorzugte Version aussuchen:
„Dadurch machen Stockfotos sichtbar, was eine Gesellschaft als „normal“ betrachtet.“ (S. 42)
Die Diskussionen um den negativen Einfluss der KI auf die Stockfotobranche sind im Buch kurz und knackig zusammengefasst und mit etwas Mühe kann trotzdem sogar ein kleiner Hoffnungsschimmer herausgelesen werden:
„Ein Alleinstellungsmerkmal der Stockfotografie ist, dass sie immer wieder neue Bildformeln entwickelt, mit denen sie auf gegenwärtige Ereignisse verweist. Zwar lässt sich ein Bild wie das des auf dem Heizkörper stehenden Sparschweins ohne Probleme mit einem Bildgenerator erstellen, die konzeptionelle Idee hierfür bedarf aber weiterhin der menschlichen Erfindung. Eine Überlebenschance der Stockfotografie liegt also in ihrer konzeptionellen Arbeit.“ (S. 61)
Hier unterschätzt der Autor jedoch vielleicht die Entwicklungen auf dem Gebiet der generativen Text-KIs. Als Beispiel habe ich einfach mal ChatGPT gefragt, wie das im Buch aufgegriffene Thema „Energiekrise“ visuell konzeptionell umgesetzt werden könnte.
Abgesehen davon liefert das Buch einen kurzen Überblick über den geschichtlichen Werdegang der Stockfotografie mitsamt einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Einordnung.
Stockfotograf*innen werden im Buch sicher keine konkreten Handlungsempfehlungen finden, aber in der Lage sein, über ihre berufliche Position etwas zu reflektieren.
- Thomas Nolte (Autor)
Letzte Aktualisierung am 27.04.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API
Was soll das Gemecker zur Buchgröße?
Wichtig sind die Fakten!
Bin selbst schon in dem Alter, wo ich
wegen meiner aufgebrauchten Augen Großschrift bevorzuge.
Übrigens: Papier ist sehr teuer geworden,
die Buchpreise sind knapp kaltuliert.
Information ist nicht nur im Web NICHT gratis…
Mit dem Begriff „Plattformkapitalismus“ hat es der Autor genau auf den Punkt gebracht,um welches Geschäftsmodell es sich in der heutigen Zeit handelt! Sehr zu empfehlen,besonders für Neueinsteiger in die Stockphotographie.
Also weder Fisch noch Fleisch. Weder ein richtiger Ratgeber für die Praxis, noch ein theoretischer Schinken mit Fokus auf Fotografie selbst.
Klingt nach einem Buch, welches man auch als PDF für 2,99 hätte im Web anbieten können.
Ob die Stockfotografie trotz dem aktuellen KI-Fortschritt tatsächlich langfristig überleben kann, ist sehr fraglich.
Du hast ja mit ChatGPT selbst ein gutes Beispiel dargelegt, dass die KI bereits jetzt sehr spannende konzeptionelle Ideen liefern kann. Wenn die KI-Bildergeneratoren ähnlich nachziehen werden (Adobe forscht auf dem Gebiet extrem viel, siehe deren Research Publications), wovon ich ausgehe, wird es tatsächlich für die Masse eng werden.
Die KI-Bildgeneratoren der Stockagenturen (Wirestock, Adobe, Istock, etc.) sind ja schon jetzt extrem günstig kalkuliert.
Generischen Content kann ich mir langfristig nicht als wirtschaftlich rentabel vorstellen, es sei denn man hebelt über hunderttausende Bilder.
Eher weiterhin sehr aufwendig, detailreich und professionell manuell erstellte Grafiken wie Banner, MockUp-Vorlagen, etc., also eher Nischen.
Ich glaube jetzt nicht unbedingt dass sich dass Buch für Neueinstiger in die Stockfotografie eignet.
Der Begriff „Plattformkapitalismus“ wird ja eher negativ gesehen.
Wobei der Kapitalismus unseren Wohlstand erst ermöglicht hat. Die negativen Folgen durch Gier werden aber ebenfalls dem Kapitalismus zugeschoben. Die Microstock Agenturen haben es tausenden von Menschen ermöglicht ihr Hobby als Nebenberuf, oder sogar hauptberuflich auszuüben. Was ich mal positiv sehen würde.
Die Microstock Agenturen würde ich in Zukunft als Technologie Unternehmen sehen.
Bei Adobe triff der Begriff Technologie Unternehmen bereits zu. Mit KI werden aber sowohl Getty images als auch Shutterstock die Transformation in ein Technologie Unternehmen schaffen müssen. Die anderen Agenturen sind eher zu klein um eigenständig was großes aufzustellen.
Wenn man aber sieht wie sowohl Getty Images als auch Shutterstock teilweise dilettantisch agieren dann kann man Zweifel haben ob die eine große Zukunft haben.
Interessant wird ob Microsoft mit den gewaltigen Investitionen in KI den Einstieg in den Bildermarkt noch mal wagt.
Derzeit plant Microsoft mit OpenAI ein Rechenzentrum um 100 Milliarden USD. Wenn man da nochmal eine Milliarde drauf legt dann baut man eine Platform die sowohl GettyImages als auch Shutterstock das Wasser abgräbt.
Würde man die Stockfotografie mit dem Automarkt vergleichen dann sind wird derzeit bei der Transformation vom Verbrenner zum Elektroauto, wobei als Mittelweg der Hybrid Antrieb gesehen werden kann. Also noch Anbieter die KI und klassischen Content produzieren.
Die klassischen Makrostock Agenturen würde ich eher als Oldtimer bezeichnen. Wobei Spezialisten bei den Oldtimern auch sehr gut verdienen können.