Vor einer Weile erhielt ich einen Anruf einen Studenten am Institut für Soziologie der Universität Münster. Er wollte mir einige Fragen stellen über die Bildsprache in Bildagenturen. Da ich selbst Politik studiert habe und in meiner Studienzeit viel Medienanalysen betrieben habe, redeten wir eine Weile.
Jetzt ist das Ergebnis fertig: Eine Seminararbeit von Raphael Lavoie-Brand mit dem Titel „Die Macht der Stockfotografie“. Ich empfehle euch aus mehreren Gründen, diese Arbeit zu lesen.
Zum einen gibt es kaum wissenschaftliche Studien zur Stockfotografie. Es gibt entweder oft wirtschaftliche Abhandlungen (Umsätze, Gewinne, Marketing, etc.) oder technische Analysen (Wie betreibe ich eine Bildagentur oder einen Online-Foto-Shop etc.). Zwar gibt es auch Bildanalysen, aber diese beziehen sich meist auf die gesamte Fotografie, meist mit dem Schwerpunkt Familienfotos oder Kunstfotos.
Zum anderen lassen sich selbst Arbeiten mit Titeln wie „Das Menschenbild in Bildarchiven“* (2006) zu unhaltbaren Behaupten hinreißen wie: „Spannungen und Konflikte innerhalb der Familie werden weder von Amateurfotografen noch von der Stockfotografie festgehalten“ (S.31). Immerhin bezog sich die Untersuchung nur auf den kleinen Teil der Bildagenturen in der Schweiz.
Die oben verlinkte Arbeit hingegen beschäftigt sich anhand der Bildkonzepte „Arbeit“ und „Reichtum“ mit der Frage, ob Stockfotografie dazu beiträgt, den herrschenden Status Quo zu stützen oder auch alternative Denkmodelle zulässt. Wer beruflich Stockfotos macht, sollte deshalb ab und zu reflektieren, wie seine Arbeit in der Gesellschaft verankert ist. Beispielsweise musste ich mit einer Freundin darüber diskutieren, ob das Cover meines Buches „Stockfotografie“* sexistisch sei und ob ich mit der Auswahl meiner Models gängige Schönheitsideale stützen würde. Das sind berechtigte Einwände, die ich nicht vollständig widerlegen kann. Zwar versuche ich auch, alternative Bildkonzepte wie den putzenden Mann, Travestie oder starke, selbstbewußte Frauen in meinen Bildern zu haben, aber diese Motive werden weniger gekauft und sichern deswegen nicht mein Einkommen.
Aber um zu erkennen, welche Faktoren dazu führen, dass ein Fotograf bestimmte Themen so und nicht anders umsetzt, sind wissenschaftliche Analysen wie „Die Macht der Stockfotografie“ sehr lehrreich. Da sie von jemandem geschrieben ist, der nicht aus der Branche kommt, enthält sie trotz des stimmigen Unterbaus einige Makel. So wird bemängelt, dass alle Fotos zum Thema „Arbeit“ ausschließlich die klassische Erwerbsarbeit thematisieren, vor allem die Bürotätigkeit (ihr wisst schon, die klassischen Fotos mit Geschäftsleuten in Anzügen an Schreibtischen).
Dabei ist das auch ein Suchproblem. Wer zum Beispiel nach „Hausarbeit“ bei Getty Images sucht, erhält über 3000 Treffer, die sowohl Freud als auch Leiden von Hausfrauen und ‑männern zeigen. Oder wer nach „volunteer“ (Freiwilliger, wegen ehrenamtlicher Arbeit) bei istockphoto oder Fotolia sucht, erhält ebenfalls mehrere tausend Treffer. Aber das ist nichts im Vergleich zu den hunderttausenden Fotos der Erwerbsarbeit.
Ähnliches gilt für das Konzept „Reichtum“. Es wird in der Studie beklagt, dass Reichtum auf die monetäre Dimension beschränkt sei und auf den Fotos vor allem Geldscheine, Goldbarren, Münzen, Sparschweine, Schmuck und so weiter abgebildet seien. Hier liegt das Problem in den Assoziationsketten. Zwar gibt es Leute, die ihre gesunden, glücklichen Kinder oder eine Katze als Haustier als Reichtum sehen, aber Fotografen würden von Bildagenturen zurecht abgestraft werden, wenn sie „Reichtum“ bei ihren Kinder- und Katzenfotos mit angeben würden. Diese Assoziationsleistung müssen Bildnutzer selbst vollbringen und das machen auch viele. Eine Untersuchung dazu ist jedoch aufwändiger.
Ebenfalls bemängelt wird bei den Suchergebnissen zum Wort „Reichtum“, dass die Schattenseiten fehlten. Auch hier gilt jedoch, dass eine Suche nach dem Begriff „Armut“ bessere Treffer gebracht hätte. Aber die Gewichtung ist weiterhin stark ungleich verteilt: Über 25.000 Bilder bei Reichtum, unter 4.000 Bilder zur Armut. Und selbst da gibt es vor allem einschlägige fünf Klischees: Leere Hosentaschen, leeres oder kaputtes Sparschwein, leere Hände, Slums oder Obdachlose, Penner und Bettler.
Selbst wer kein Interesse an theoretischen Hintergründen der Stockfotografie hat, kann mit solchen Arbeiten einige Nischen entdecken, die es sich fotografisch zu füllen lohnen würde. Fotos vom Ehrenamt zum Beispiel oder das Thema „Zwangsarbeit“ illustrieren: Da hat selbst Getty Images nur fünf Fotos parat.
Was sagt ihr zu der Studie? Welchen Aspekten stimmt ihr zu, was seht ihr anders?
* Affiliate-Link (Ich erhalte bei Kauf eine kleine Provision, ihr zahlt nicht mehr)
Hat der Autor auch untersucht (durch Befragungen oder ähnliches) warum Bildlieferanten weniger die Schattenseiten liefern? Mich würde interessieren, ob meine These stimmt, dass „Alles-ist-super“ Motive eher angenommen werden als das Gegenteil.
Wenn ich jemanden über Stockfotografie erzähle, rollen die meisten mit den Augen und sagen etwas wie: „das ist doch nicht das wirkliche Leben“ usw.
Das Problem das sich meiner Meinung nach einem Stock-Fotografen hier stellt ist, ob es sich lohnt aufwändig ein bestimmtes Thema _authentisch_ umzusetzen, wenn die Annahmequote und Nachfrage am Markt ungewiss ist.
Vielen Dank Herr Kneschke, dass sie meine Arbeit in Ihrem Blog diskutieren. Ihre ausfuehrliche Eroerterung der Staerken und Schwaechen der Studie ist sehr hilfreich, um die Perspektive der Praxis zu haben. Ihre Kritik, dass die verwendeten Suchbegriffe „Arbeit“ und „Reichtum“ nicht ausreichend sind, um ein vollstaendiges Verstaendnis der Darstellung dieser Konzepte in der Stockphotographie, ist berechtigt und wird in zukuenftige methodologische Ueberlegungen einfliessen.
Zum obigen Blogeintrag: Die Arbeit konzentriert sich nicht auf die Marktlogik von Angebot und Nachfrage. Vielmehr geht es um eine Problematisierung der Macht der Stockphotographie. Folgendes Zitat gibt eine gute Uebersicht der Fragen, die ich behandelt habe:
„Welche Macht haben Bilder heute? Der Beitrag versucht auf diese zunächst allgemein formulierte Frage mit dem Beispiel der Stockfotografie zu antworten. Die explorativ untersuchte Dimension der Macht ist ideeller Natur. Es handelt sich also nicht um die Fragen, wie umfangreich die Verwendung von Stockbildern ist oder welche ökonomische Macht die Stock-Bildagenturen haben. Vielmehr wurde in Analogie mit dem fiktiven Konzept des Neusprechs von Georges Orwell in seinem Roman 1984 eine Hypothese entwickelt, welche die Bildsprache anstatt der Schriftsprache beziehungsweise der gesprochenen Sprache als Gegenstand hat. Demzufolge wird anhand der Repräsentation der Konzepte „Arbeit“ und „Reichtum“ überprüft, ob die Stockfotografie Macht ausübt, indem sie ideelle Denkhorizonte ausblendet. Unmittelbar damit verbunden ist auch die Frage nach den Freiräumen in der Stockfotografie: Wird der Eigensinn des Fotografen komplett ausgeschaltet? Gibt es noch Spielräume in denen „subversive“ Bilder verbreitet werden können? Welche Schlussfolgerungen können aus der Analyse der Stockfotografie-Industrie in Bezug auf diese Spielräume gezogen werden?“
Gute und schlechte Werbung oder Zeitschriften unterscheiden sich auch in der Bildauswahl. Wenn man als Layouter mal ausgetretene Pfade verlässt ist das ein Weg zum Erfolg. Die Leute sind es doch leid immer die gleichen Bürohengste zu sehen von denen man niemals einen Gebrauchtwagen kaufen würde. Die Agenturen sind voll mit guten Bildern. Die Layouter und Werber brauchen einfach nur frische Ideen
Ein elesenswerte Arbeit, die erstens recht gut geschrieben ist und zweitens einen Einstieg die Thematik typische Bildästhetik bzw. Stockbildkultur in Stockagenturen versucht. Das ist gut gelungen, aber ganz sicher noch sehr ausbaufähig. (Es ist eine Seminararbeit, sollte dabei nicht vergessen werden keine Magister- und Doktorarbeit). Es werden interessante Fragen gestellt leider nicht zufriedenstellend beantwortet, aber das wäre wohl tatsächlich ein Forschungsthema. Grundsätzlich möchte ich wzei Dinge anmerken: 1. Leider führt der Autor hauptsächlich die großen Microstockagenturen als Beispiele an, erwähnt aber nicht, dass es noch eine Reihe anderer Agenturen gibt, welche sich durch alternative Bildkonzepte dem Stockmainstream zu widersetzen zu versuchen. 2. Die zentrale Frage der Macht der Stockfotografie wird gestellt aber kaum verfolgt, geschweige denn beantwortet. Ist aber nicht vielmehr so, dass Agenturen zuallererst dem Markt folgen – und ihn eben nicht prägen? Bedienen sie nicht die Bedürfnisse der Layouter, Designter etc., welxche wiederum unsere Bedürfnisse bedienen? Fragen über Fragen:-) Eine sehr lesenswerte Arbeit zu einen interessanten Thema – das wäre doch was für den Studienabschluß, oder? LG, Kai
Mein Interesse daran, Bilder über Microstock zu verkaufen lag nicht nur darin begründet, dass ich gerne Fotografiere, sondern dass ich in meiner Arbeit als Grafik-Designer nie das finde, was ich fachlich für meine Kunden benötige.
Leider musste ich aber ganz schnell die Erfahrung machen, dass sich der ganze Aufwand nicht nur wegen der jämmerlichen Bezahlungssysteme nicht lohnt, sondern weil die Agentur anscheinend willkürlich und ohne Betrachtung auf die Einzigartigkeit bzw. inhaltlich richtige Bestimmung der Bildmotive keine Rücksicht nimmt, und viel zu viel „Gutes“ (aus meiner Sicht) ablehnt. Was auch dazu führt, dass viel zu viel Arbeit meinerseits für umsonst war (als Motiv-Suchender und als ‑Lieferant)! Das Oberflächliche und Austauschbare gewinnt, die Medien und Macher verlieren ;D
Hallo zusammen,
für die Macht eines Bildes ist es unerheblich, ob es Stock ist oder nicht. Wenn die Bildinformation klar und deutlich ist, fragt eh keiner mehr nach. Speziell über die Wirkung von Fotos verfasste ich einen Artikel. Thema: „Die Macht des Bildes“, nachzulesen hier: http://blog.foto-dg.de/die-macht-des-bildes
Grundsätzlich halte ich den Begriff „Stock“ für zwiespältig. Denn hier wird die Wertigkeit eines Fotos festgelegt (alá 1,– Euro), nicht jedoch die Bildwirkung.
Herzliche Grüße
Dieter
@Dieter: Da muss ich widersprechen: Der Begriff „Stock“ sagt überhaupt nichts über den Wert eines Fotos aus, der kann von paar Cent bis zu vielen hundert Euro alles sein. „Stock“ heißt nur, dass das Foto vor der geplanten Nutzung schon existiert.