Gast-​Geschichte: Al Quaida™ von Andreas Eschbach

Wenn ich nicht gera­de foto­gra­fie­re, lese ich sehr gern. Mit Abstand mein Lieblingsautor ist dabei Terry Pratchett mit sei­ner Scheibenwelt-​Saga, gefolgt von Klassikern wie Mark Twain, Erich Fried, aber auch Autoren wie T.C. Boyle, John Scalzi und Andreas Eschbach. Von letz­te­rem habe ich den Großteil sei­ner Romane mit Vergnügen gele­sen und mei­ne letz­te Lektüre von ihm war sein Kurzgeschichten-​Band „Eine unbe­rühr­te Welt“*.

Darin befin­det sich auch die Kurzgeschichte „Al QuaidaTM“, wel­che ich sehr gelun­gen fand. Sie kann auf meh­re­ren Ebenen gele­sen wer­den, als Medienkritik oder als Kommentar zum Umgang mit dem Markenrecht. Vor allem letz­te­res fand ich span­nend, weil das ein Punkt ist, der uns Stockfotografen bei der täg­li­chen Arbeit eben­falls oft berührt, wenn wir unzäh­li­ge Logos, Markennamen und erkenn­ba­re Elemente aus unse­ren Bildern retu­schie­ren müs­sen, bevor wir sie zur Lizenzierung anbie­ten können.

Deshalb habe ich den Autor kon­tak­tiert, um die Geschichte für euch – sozu­sa­gen als Weihnachtsgeschenk zum Lesen – zu lizenzieren.

Ich wün­sche euch viel Spaß beim Lesen, fro­he Weihnachten, erhol­sa­me Feiertage und einen guten Rutsch uns Neue Jahr!

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Al QuaidaTM (Andreas Eschbach)

Der »meist­ge­such­tes­te Terroristenführer«, wie ihn man­che Zeitungen eben­so gern wie gram­ma­ti­ka­lisch falsch bezeich­ne­ten, hielt sich nicht wirk­lich in einer unzu­gäng­li­chen Höhle an einem unbe­kann­ten Ort ver­steckt, wie besag­te Zeitungen hart­nä­ckig kol­por­tier­ten. Bei dem Unterschlupf Usama Bin Ladens han­del­te es sich viel­mehr um ein klei­nes Gehöft im stei­ni­gen Niemandsland des Hindukusch, um das her­um Ziegen gras­ten – oder es jeden­falls ver­such­ten – und über dem sich ein wei­ter Himmel von unglaub­li­chem Blau spann­te. Und zumin­dest den Geheimdiensten war die­ser Aufenthaltsort auch nicht ganz so unbe­kannt, wie der Öffentlichkeit gegen­über behaup­tet wur­de. In ganz Afghanistan und Pakistan zusam­men gab es kein Anwesen, auf dem so vie­le Hirten so weni­ge Ziegen hüte­ten – das fiel sogar auf Satellitenbildern auf.

Die Hirten waren in Wirklichkeit natür­lich Wachen, und die kamen eines Tages auf­ge­regt an. Da sei ein Mann, ein ame­ri­kan­ski, und er wol­le den sheikh sprechen!

»Kennen wir ihn?«, frag­te Usama Bin Laden und strich sich nach­denk­lich durch den lan­gen Bart.

»Nein, sheikh. Ein Fremder.«

Der Terroristenführer mit den sanf­ten Augen über­leg­te einen Moment, dann befahl er: »Bringt ihn her. Bleibt an der Tür ste­hen. Wenn ich mich an den Turban fas­se, hier­her« – er zeig­te die Stelle –, »dann erschießt ihn sofort.«

Es wür­de wohl nicht nötig wer­den. Der Mann sah harm­los aus und wirk­te in sei­nem anthra­zit­far­be­nen drei­tei­li­gen Anzug und mit dem dün­nen Aktenkoffer in der Hand aus­ge­spro­chen deplat­ziert in die­ser Gegend der Welt. Er schien eine erheb­li­che Strecke zu Fuß zurück­ge­legt zu haben, jeden­falls waren sei­ne Schuhe stau­big und zer­kratzt, sein Hemd durch­ge­schwitzt, der Kragen ver­färbt und der Anzug an eini­gen Stellen eingerissen.

»Guten Tag, Scheich«, begrüß­te er den Terroristenführer mit einer knap­pen Verbeugung. Sein schwar­zes, geschei­tel­tes Haar kleb­te ihm am Kopf, das jun­gen­haf­te Gesicht wirk­te matt. Er griff in sei­ne Brusttasche (was die Zeigefinger der Wachen an der Tür ner­vös zucken ließ) und brach­te eine Visitenkarte zum Vorschein. »Gestatten Sie? Mein Name ist Waits. Eduard Earnest Waits. Ich bin Rechtsanwalt.«

Usama Bin Laden stu­dier­te die Karte. »Aus Boston, USA.«

»So ist es. Studium in Washington, danach Partner einer New Yorker Sozietät, seit eini­gen Jahren allei­ni­ger Inhaber einer Kanzlei, die sich auf Marken- und Urheberrecht spe­zia­li­siert hat – und dies, wie ich in aller Bescheidenheit hin­zu­fü­gen möch­te, über­aus erfolgreich.«

»Marken- und Urheberrecht«, wie­der­hol­te der Terroristenführer mit nicht gerin­ger Verwunderung. Beinahe hät­te er sich am Kopf gekratzt, unter­ließ es aber recht­zei­tig, weil ihn der Mann zu neu­gie­rig gemacht hat­te, als dass er ein Missverständnis hät­te ris­kie­ren wol­len. »Und was führt Sie dann hier­her, wenn ich fra­gen darf?«

»Ja. Das wür­de ich Ihnen gern erklä­ren. Wenn ich mich vielleicht –«

»Selbstverständlich«, nick­te der Mann mit dem Turban hoheits­voll und deu­te­te ein­la­dend auf die Teppiche vor sich. »Nehmen Sie bit­te Platz.«

»Danke.« Der Anwalt ließ sich merk­lich unge­übt auf den Boden nie­der, zog sei­nen Koffer neben sich und öff­ne­te ihn, was die Wachen ein wei­te­res Mal die Waffen heben ließ. Doch der ame­ri­kan­ski zog nur eini­ge mit bun­ten Diagrammen bedruck­te Papiere her­aus. »Um gleich zum Kern der Sache zu kom­men: Meines Erachtens ist Ihnen, Scheich, nicht in vol­lem Umfang klar, wie viel Geld die Medien über­all auf der Welt mit Ihrem Namen ver­die­nen. Hier habe ich eine Statistik von Absatzzahlen, Einschaltquoten und Werbeeinnahmen, auf­ge­glie­dert danach, ob Ihr Name oder die Bezeichnung al-​Qaida in den Schlagzeilen auf­taucht oder nicht.« Er leg­te das Blatt vor den Terroristenführer hin. »Bitte sehr. Wie Sie sehen, bewir­ken Sie Gewinnsteigerungen von bis zu fünf­zig Prozent. Ohne dass Sie etwas davon hät­ten, wohlgemerkt!«

Usama – der Vorname bedeu­te­te so viel wie »der Löwe« – Bin Laden nick­te. »Das ist der ver­ach­tungs­wür­di­ge Kapitalismus, wie er im Land des Satans gepflegt wird.«

»Kapitalismus, genau.« Der Anwalt nick­te eben­falls. »Was ich Ihnen drin­gend raten möch­te, ist, die Markenrechte an Ihrem Namen sowie an dem von Ihnen popu­lär gemach­ten Begriff al-​Qaida zu erwer­ben. Das wür­de Ihnen ermöglichen –«

Der Terroristenführer hob die Hand. »Sind Sie nur gekom­men, um mir die­sen Vorschlag zu unterbreiten?«

Der Anwalt nick­te. »In der Tat.«

»Dann haben Sie eine gro­ße Mühe ver­ge­bens auf sich genommen.«

»Vielleicht«, erwi­der­te der Mann, »soll­ten Sie mich erst ein­mal aus­re­den las­sen. Es geht nur vor­der­grün­dig um Geld. Sollten Sie, Scheich, geneigt sein, mei­nen Ausführungen noch eini­ge Minuten Ihr Ohr zu lei­hen, wer­den Sie erken­nen, dass es sich beim ame­ri­ka­ni­schen Rechtssystem im Grunde um die wir­kungs­volls­te Waffe han­delt, die es gibt.«

Bei dem Wort »Waffe« hoben sich die aus­drucks­vol­len Augenbrauen des Terroristenführers. Er strich sich mit gespreiz­ten Fingern durch den Bart und sag­te schließ­lich: »Sprechen Sie weiter.«

»Beginnen wir«, erläu­ter­te der Anwalt, sei­ne Ausführungen mit spar­sa­men Gesten unter­strei­chend, »mit Ihrem Namen. Faktisch – und das ist in Fragen des Wettbewerbsrechts von ent­schei­den­der Bedeutung – ist Ihr Name heu­te ein Markenzeichen von hoher Prägungskraft, ver­gleich­bar mit Namen wie Walt Disney, McDonald’s oder Hewlett-​Packard. All dies sind als Markenzeichen ein­ge­tra­ge­ne Namen, die seit­her von Dritten nicht oder nur ein­ge­schränkt ver­wen­det wer­den dür­fen. Bei dem Begriff ›al-​Qaida‹ wird sich mit Aussicht auf Erfolg argu­men­tie­ren las­sen, dass es sich hier­bei um Ihr geis­ti­ges Eigentum han­delt, mit­hin also die Bestimmungen des inter­na­tio­nal gül­ti­gen Urheberrechts zur Anwendung kom­men müs­sen. Sowohl das Wettbewerbswie auch das Urheberrecht – und damit sind wir bei dem Punkt, der für Ihre Anliegen von Interesse ist – erlau­ben es, sich gegen miss­bräuch­li­che Benutzung geschütz­ter Begriffe zur Wehr zu set­zen. Konkret wür­den wir mit Abmahnungen und straf­be­wehr­ten Unterlassungserklärungen gegen alle vor­ge­hen, die die dann Ihnen marken- und urhe­ber­recht­lich gehö­ren­den Begriffe in ent­stel­len­dem, her­ab­wür­di­gen­dem oder sonst­wie zu bean­stan­den­dem Sinne ver­wen­den. Wir wür­den die not­wen­di­gen Prozesse durch­fech­ten, um Schadensersatzzahlungen, Strafgebühren und eben die Unterlassung der­ar­ti­ger Äußerungen zu erreichen.«

»Das hie­ße, wenn jemand etwas über uns und unse­re Absichten berich­tet, das uns nicht gefällt –?«

»Kriegt er einen Prozess an den Hals, dass ihm schwarz vor Augen wird.«

»Das wür­de funktionieren?«

»Ohne Zweifel.« Der Anwalt spreiz­te die Finger. »Was Ihren Namen anbe­langt, ist offen­sicht­lich, dass er von Medien in Gewinnerzielungsabsicht ver­wen­det wird. Zeitungen und Fernsehsender sind schließ­lich kom­mer­zi­el­le Unternehmen und daher kom­mer­zi­el­len Regeln unter­wor­fen. Es ist aller­dings nötig, deren Einhaltung ein­zu­kla­gen – von selbst geschieht es nicht.«

»Und was ist mit dem in Ihrem Land angeb­lich so hoch geschätz­ten«, begann Usama Bin Laden und ver­zog das Gesicht zu einem Ausdruck des Abscheus, »Recht auf freie Meinungsäußerung?«

Der Anwalt unter­zog den Zustand sei­ner Fingernägel einer ein­ge­hen­den Betrachtung. »Nun, ich gebe zu, frü­her wäre das ein Problem gewe­sen. Aber inzwi­schen hat sich in die­ser Hinsicht sehr viel sehr grund­le­gend gewan­delt. Das Markenrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung haben mit­ein­an­der gerun­gen, und das Markenrecht ist dabei, zu gewinnen.«

Der Terroristenführer ließ sich das alles durch den Kopf gehen. »Was ist Ihr Interesse dar­an?«, frag­te er schließ­lich. »Ich mei­ne, was hät­ten Sie davon?«

»Ich arbei­te auf Provisionsbasis. Üblicherweise erhal­te ich drei­ßig Prozent von allen erstrit­te­nen Entschädigungszahlungen.«

Der Mann mit dem Turban strich sich durch den Bart. »Zehn Prozent«, erwi­der­te er.

»Fünfundzwanzig«, schlug der Anwalt vor. »Bedenken Sie, ich muss die Gehälter mei­ner Mitarbeiter bezah­len. Das sind alles hoch­qua­li­fi­zier­te Experten mit ent­spre­chend hoch dotier­ten Anstellungsverträgen.«

»Fünfzehn Prozent«, hielt der Mann mit dem Turban dage­gen. »Wenn das Geschäft so pro­fi­ta­bel ist, wie Sie sagen, machen Sie trotz­dem einen guten Schnitt.«

Sie einig­ten sich schließ­lich auf acht­zehn Prozent. Während Usama Bin Laden die Vollmacht aus­füll­te und unter­schrieb, frag­te er: »Warum machen Sie das? Sie sind doch Amerikaner?«

»In ers­ter Linie«, erwi­der­te Eduard E. Waits, »bin ich Anwalt.«

* * *

Die Kanzlei Eduard E. Waits & Partners bean­trag­te die Eintragung der Namen ›Usama Bin Laden‹ (in allen Schreibweisen der Transkription aus dem Arabischen) sowie ›al-​Qaida‹ (dito, was die Schreibweisen anbe­lang­te) als Markenzeichen im wett­be­werbs­recht­li­chen Sinne.

Die Anträge wur­den abge­lehnt. Daraufhin klag­te die Kanzlei Eduard E. Waits & Partners, sehr zur Erheiterung diver­ser Kommentatoren und Leitartikler füh­ren­der Tageszeitungen.

Doch die USA waren ein Land, in dem man einer Frau Schadensersatz in Millionenhöhe zuge­spro­chen hat­te, weil sie sich sel­ber hei­ßen Kaffee über die Hose geleert hat­te, in dem flüch­ten­de Verbrecher die sie ver­fol­gen­den Polizisten mit Erfolg ver­klagt hat­ten, weil die­se sie unsanft zu Boden gewor­fen hat­ten, und in dem Richter Klägern Glauben geschenkt hat­ten, die beteu­er­ten, nicht gewusst zu haben, dass Rauchen schäd­lich für die Gesundheit sei: War zu irgend­ei­nem Zeitpunkt ernst­haft zu befürch­ten, dass in einem sol­chen Land die Klage eines welt­weit gesuch­ten Terroristenführers auf Eintragung sei­nes Namens als Markenzeichen schei­tern wür­de? Natürlich nicht. Das Verfahren ging durch sämt­li­che Instanzen, und jedes Mal gab das Gericht der Kanzlei Eduard E. Waits & Partners recht. Den Schlussstrich zog eine Entscheidung des Supreme Court: Der Antrag sei rech­tens, ihm sei stattzugeben.

Ein Kommentator mein­te, nun sei wohl damit zu rech­nen, dass mas­sen­haft T‑Shirts, Kaffeetassen und Bettwäsche mit dem Konterfei des bär­ti­gen Hasspredigers auf den Markt kämen, und er sei gespannt auf die Reaktion des ame­ri­ka­ni­schen Verbrauchers darauf.

Ein Late-​Night-​Showstar pro­phe­zei­te, nun wür­den die Erben Che Guevaras auch vor ame­ri­ka­ni­sche Gerichte zie­hen und im Nachhinein Lizenzgebühren in Millionenhöhe für die zahl­lo­sen Plakate des bär­ti­gen Revoluzzers ver­lan­gen, die seit den Sechzigern die Wände von Studentenbuden geziert hatten.

Sie irr­ten sich beide.

* * *

Kurz dar­auf kam es zu dem Anschlag auf die U‑Bahn von Kopenhagen. In der Station Christianshavn explo­dier­ten zwei Bomben, meh­re­re Dutzend Menschen star­ben, vie­le Hundert wur­den ver­letzt, und auf Überwachungsvideos iden­ti­fi­zier­te man Angehörige einer isla­mis­ti­schen Terrorzelle als Urheber des Attentats. Reporter aus aller Welt drän­gel­ten sich in dem viel zu klei­nen Presseraum der däni­schen Staatsanwaltschaft, jede sich öff­nen­de Tür auf den Fluren davor zog ein Blitzlichtgewitter nach sich, und eine Flut von E‑Mails und Telefonaten spül­te die aktu­ells­ten Nachrichten in die Redaktionen von Zeitungen und Fernsehsendern über­all auf dem Planeten.

Nachrichten, in denen die Bezeichnungen ›al-​Qaida‹ und ›Usama Bin Laden‹ frei­zü­gig ver­wen­det wur­den, wie man sich den­ken konnte.

Auch Eduard E. Waits dach­te sich das. Deswegen klin­gel­te er auf die ers­te Meldung hin sein gesam­tes Kanzleipersonal aus dem Bett und eine Hundertschaft Richter dazu, und inner­halb weni­ger Stunden gin­gen bei allen nam­haf­ten Zeitungen, Sendern und sons­ti­gen Medien einst­wei­li­ge Verfügungen ein, wonach jeg­li­che Berichterstattung über den Anschlag von Kopenhagen zu unter­las­sen sei, inso­weit dar­in mit Gewinnerzielungsabsicht Gebrauch von besag­ten mar­ken­recht­lich geschütz­ten Bezeichnungen gemacht wer­de, unter Androhung von Ordnungsgeldern sowie Ordnungshaft in schwe­ren Fällen.

Die Reaktionen dar­auf fie­len unter­schied­lich aus. Manche Zeitungen brach­ten vor­sichts­hal­ber erst ein­mal nur neu­tral gehal­te­ne Berichte, ande­re Medien igno­rier­ten die Verfügungen und räum­ten mit groß auf­ge­mach­ten Berichten ab. Die Inhaber der Letzteren waren es, die sich kurz dar­auf vor Gericht wie­der­fan­den und mit detail­lier­ten Aufstellungen kon­fron­tiert sahen, wie viel Gewinn sie mit der wider­recht­li­chen Verwendung geschütz­ter Markenzeichen erzielt hat­ten: Der Vergleich mit den Absatzzahlen und Einschaltquoten jener Zeitungen und Sender, die den vor­sichts­hal­ber erlas­se­nen einst­wei­li­gen Verfügungen gefolgt waren, ermög­lich­te eine über­zeu­gen­de Vergleichsrechnung. So folg­ten die Gerichte in den meis­ten Fällen den Anträgen der kla­gen­den Partei und ver­ur­teil­ten die beklag­ten Medien zur nach­träg­li­chen Zahlung von Lizenzgebühren und dar­über hin­aus zu Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das Marken- und Urheberrecht sowie Zuwiderhandlung gegen eine rechts­gül­ti­ge einst­wei­li­ge Verfügung.

Die betrof­fe­nen Zeitungen und Sender reagier­ten dar­auf­hin damit, nicht mehr über den Terroranschlag zu berich­ten, son­dern statt­des­sen über das Tun und Treiben der Kanzlei E. E. Waits & Partners. »Der Anwalt des Teufels« lau­te­te die Schlagzeile einer Illustrierten, in der es Eduard E. Waits auf die Titelseite schaffte.

Doch wie sich kurz dar­auf her­aus­stell­te – die Reporter hat­ten ver­ges­sen, dies zu recher­chie­ren –, hat­te sich Waits in klu­ger Voraussicht auch der Markenrechte an sei­nem eige­nen Namen ver­si­chert und ver­klag­te die betref­fen­den Zeitschriften und Fernsehmagazine sei­ner­seits wegen uner­laub­ter Verwendung, miss­bräuch­li­cher und dis­kri­mi­nie­ren­der Darstellung und so wei­ter. Die Anklageschrift umfass­te sechs­hun­dert Seiten, und die beklag­ten Parteien gin­gen mit Pauken und Trompeten ein zwei­tes Mal unter.

Als die nächs­te Bombe hoch­ging, geschah dies irgend­wo in England. Genaueres erfuhr die Öffentlichkeit aber nicht mehr, denn im Handumdrehen waren in allen Redaktionen wie­der einst­wei­li­ge Verfügungen eingetroffen.

Und das war nur der Anfang.

* * *

Der Chefredakteur des SVENSKA DAGBLADET schau­te noch ein­mal unauf­fäl­lig auf sei­nen Notizblock, als der jun­ge Reporter her­ein­kam, schüch­tern grüß­te und artig die Tür hin­ter sich zumach­te. Sven Söderström hieß er. Hatte vor drei Wochen ange­fan­gen, frisch von der Journalistenschule. Höchste Zeit, ihm das bei­zu­brin­gen, was sie an den Schulen offen­bar ver­säumt hatten.

»Es geht um den Artikel für die mor­gi­ge Ausgabe«, erklär­te er dem blon­den jun­gen Mann, der ihn mit kanin­chen­haf­tem Blick ansah. »Über die Explosion in Malmö, die Sie als Terroranschlag beschreiben –«

»Ja. Ist Fakt. Ganz ohne Zweifel«, nick­te der jun­ge Mann hef­tig. Er glüh­te förm­lich vor Begeisterung. »Der ers­te Terroranschlag seit lan­gem. Eine Sensation! Wenn wir damit auf­ma­chen, ist die mor­gi­ge Auflage im Nu ausverkauft –«

»Eins nach dem ande­ren«, unter­brach ihn der Chefredakteur. »Darf ich fra­gen, wie Sie zu der Annahme kom­men, dass es sich um eine Bombe handelte?«

»Ich habe mit den Leuten von der Spurensicherung gespro­chen. Die sagen, dar­an bestehe kein Zweifel.«

»Hmm«, mach­te der Chefredakteur. »Und was ver­an­lasst Sie, zu schrei­ben, es sei ein Terroranschlag?«

»Die Polizei hat ein ent­spre­chen­des Bekennerschreiben erhal­ten. Der Anschlag galt einem islam­kri­ti­schen Regisseur. Der war aller­dings gar nicht da; er nimmt in den USA gera­de einen Filmpreis ent­ge­gen. Hätten die Täter übri­gens aus dem Internet erfah­ren können.«

»Hmm«, mach­te der Chefredakteur wie­der. Schade, er hat­te gehofft … Es war immer schwer, einem jun­gen, auf­stre­ben­den Kollegen die Illusionen über ihren Beruf neh­men zu müs­sen. Insbesondere in letz­ter Zeit.

»Die Sache ist die«, begann er wider­stre­bend, »dass unser Haus seit gerau­mer Zeit die Linie ver­folgt, grund­sätz­lich nicht mehr über Terroranschläge zu berich­ten. Die Explosion: Ja. Dass es eine Bombe war: Eventuell. Aber dass Terroristen dahin­ter­ste­cken: No way. Terroristen kom­men in unse­rem Blatt nicht mehr vor.«

Dem jun­gen Reporter fie­len fast die Augen aus dem Kopf. »Wie bit­te? Wieso das denn?«

Der Chefredakteur seufz­te. »Das letz­te Mal, als wir über Terrorismus berich­tet haben – das war vor Ihrer Zeit, ich weiß nicht, ob Sie es mit­be­kom­men haben …«

»Die Artikelserie über al-​Qaida? Zum Jahrestag des 11. September? Klar. Kenne ich. Habe ich aufbewahrt.«

Der Chefredakteur seufz­te ein zwei­tes Mal. »Nun – wir hat­ten nicht beach­tet, dass ›Usama Bin Laden‹ und ›al-​Qaida‹ damals schon in den USA ein­ge­tra­ge­ne Marken waren. Was uns das an Strafen, Gerichtskosten, Anwaltshonoraren und Lizenzgebühren gekos­tet hat, wol­len Sie nicht wis­sen, glau­ben Sie mir.«

»Sie mei­nen, Sie muss­ten Gegendarstellungen brin­gen?« Der jun­ge Reporter schnapp­te nach Luft. »Von Usama Bin Laden?«

»Keine Gegendarstellungen.« Der Chefredakteur schüt­tel­te betrübt das Haupt. »Das wäre ja Presserecht. Nein – wir durf­ten über­haupt nichts brin­gen. Das ist Markenrecht. Das neue jedenfalls.«

»Aber …« Sein jun­ges Gegenüber ver­stand die Welt nicht mehr. »Aber das ist doch ame­ri­ka­ni­sches Recht! Was geht uns das an?«

Der Chefredakteur schob die Ausdrucke des Artikels wie­der zusam­men. »Ich woll­te es erst auch nicht glau­ben, aber in den letz­ten Jahren ist es anschei­nend üblich gewor­den, dass irgend­wel­che Länder sich anma­ßen, ihr Recht auf der gan­zen Welt durch­zu­set­zen. Jedenfalls hat mich der Herausgeber ange­ru­fen und zur Schnecke gemacht, und er wie­der­um ist vom Premierminister ange­ru­fen und zur Schnecke gemacht wor­den, und des­halb« – er reich­te die Papiere über den Tisch – »wird kein Artikel über Terrorismus mehr in die­sem Blatt erschei­nen, solan­ge ich auf mein Gehalt ange­wie­sen bin.«

»Aber das ist ja …« Der jun­ge Mann war blass vor Entrüstung. Ach, die Jugend und ihre Ideale! So war er auch ein­mal gewe­sen. »Und was ist mit der Pressefreiheit? Unserem Informationsauftrag? Der Presse als vier­ter Gewalt?«

»Ich schla­ge vor, Sie den­ken jetzt erst ein­mal dar­über nach, inwie­weit Sie auch auf Ihr Gehalt ange­wie­sen sind«, ent­geg­ne­te der Chefredakteur. »Und dann schrei­ben Sie den Artikel noch ein­mal. Und das alles bis sieb­zehn Uhr, wenn möglich.«

Der jun­ge Mann schluck­te. Sven Söderström war den Unterlagen zufol­ge frisch ver­hei­ra­tet und hat­te einen fünf Monate alten Sohn. »Aber was soll ich denn schrei­ben über die Hintergründe der Tat?«, frag­te er schließlich.

»Schreiben Sie ein­fach«, riet ihm der Chefredakteur, »dass der Täter ver­mut­lich geis­tes­ge­stört war.« Er ver­zog das Gesicht. »Das ist ja zumin­dest nicht falsch.«

* * *

Einige Monate spä­ter erhielt Eduard E. Waits einen Anruf des Terroristenführers, über eine Telefonleitung von bemer­kens­wert guter Qualität, wenn man bedach­te, über wie vie­le Satelliten und Zwischenschaltungen sie gehen musste.

»Mister Bin Laden!«, rief der Anwalt. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie die Gelder erhal­ten?« Er hat­te den kom­pli­zier­ten Finanznetzwerken der Terrororganisation inzwi­schen einen drei­stel­li­gen Millionenbetrag an Entschädigungszahlungen anvertraut.

»Ja, ja, das hat alles funk­tio­niert. Deswegen rufe ich nicht an; Geld haben wir sowie­so mehr als genug«, erklär­te der Anrufer. »Es geht um das, was Sie tun. Ich habe gehört, dass Sie neu­er­dings auch Zeitungen ver­kla­gen, wenn die bloß das Wort ›Terror‹ oder ›Anschlag‹ verwenden –«

»Richtig. Das ist not­wen­dig, um Ihre Marke zu schüt­zen«, bestä­tig­te der Anwalt. »Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie auf­ge­weicht wird, wie man sagt, und ver­lo­ren geht. In Ihrem Fall ist es so, dass Sie als welt­weit füh­ren­de Terrororganisation als haupt­säch­li­che gestal­te­ri­sche Kraft die­ser Art Unternehmungen zu betrach­ten sind, sodass hier bereits das Urheberrecht grei­fen muss, um Ihre Investitionen in die­ses Gebiet und Ihr geis­ti­ges Eigentum an den zugrun­de lie­gen­den Konzepten und Verfahrensweisen zu schüt­zen. Oder ein­fach gesagt: Wenn es Sie und Ihre Organisation nicht gäbe, wären Terroranschläge aller Art viel weni­ger berich­tens­wert und damit gewinn­stei­gernd, als sie es heu­te sind – unab­hän­gig davon, ob ein Anschlag im Einzelfall von Ihren Leuten aus­ge­führt wur­de oder nicht.«

»Das ist ver­rückt«, sag­te der Mann am ande­ren Ende der Leitung.

»Das ist ame­ri­ka­ni­sches Recht«, erwi­der­te Edward E. Waits.

»Hören Sie, so habe ich mir das nicht vor­ge­stellt«, kam es aus dem Hörer. »Die meis­ten Zeitungen und Fernsehsender wagen es inzwi­schen über­haupt nicht mehr, über die Hintergründe unse­rer Aktionen zu berich­ten. Das macht alles sinn­los. Was bringt es, Dutzende von Leuten in die Luft zu spren­gen, wenn nach­her nie­mand davon erfährt?«

»Wieso? Man erfährt es doch. ›Explosion in Kandahar tötet 23 Menschen.‹ Ich habe die Zeitung vor mir liegen.«

»Ja, aber da steht nicht, dass es ein Anschlag war«, heul­te die wei­che Stimme des Terroristenführers auf. »Wer das liest, muss ja den­ken, es sei ein­fach eine Gasleitung explo­diert oder so was.«

»Ich kann den Zeitungen nicht vor­schrei­ben, was sie berich­ten sol­len. Ich bin schon froh, dass ich ihnen bestimm­te Berichte ver­bie­ten kann.«

Die Stimme im Telefon mur­mel­te etwas, das wie ein ara­bi­scher Fluch klang. »Sie ver­ste­hen nicht. Für uns … Gotteskrieger ist die Presse ein Verbündeter. Wir füh­ren Anschläge aus, um Angst und Schrecken zu ver­brei­ten – aber für die­se Verbreitung sind wir auf die Medien ange­wie­sen! Wenn die Medien es auf­grund Ihrer Aktivitäten gar nicht mehr wagen, zu berich­ten, dann funk­tio­niert das alles nicht mehr. Ein Bombenattentat, über das nicht berich­tet wird …« Er rang nach Worten. »Das ist, als hät­te es über­haupt nicht statt­ge­fun­den. Da kann man das Bombenwerfen genau­so gut sein lassen!«

Ein Beobachter die­ses Telefonats hät­te den Anflug eines Lächelns gese­hen, das über Eduard E. Waits’ Gesicht husch­te. Für einen win­zi­gen Moment. Dann fuhr der Anwalt fort: »Nun, wenn Sie das sagen …«

»Ich brau­che die west­li­chen Medien. Al-​Jazeerah und ein paar Blätter in Palästina, Syrien und so wei­ter berich­ten wie gehabt, ja. Aber auf CNN kommt nichts mehr! Das beein­druckt die Jugend nicht! Wenn das so wei­ter geht, krie­gen wir ernst­haf­te Nachwuchsprobleme!«

»Ich ver­ste­he«, sag­te Eduard E. Waits.

»Sie müs­sen auf­hö­ren mit all dem«, ver­lang­te der Mann am ande­ren Ende der Telefonverbindung. »Sofort. Unsere Abmachung ist ab sofort null und nichtig.«

Eduard E. Waits hob die Augenbrauen und erklär­te förm­lich: »Sie wer­den ver­ste­hen, dass ich ein mir erteil­tes Mandat nicht auf Grund eines Telefonanrufs been­den kann. Ich kann ja nicht davon aus­ge­hen, dass Sie tat­säch­lich der sind, der Sie zu sein behaupten.«

»Sie wis­sen genau, dass ich es bin. Wer sonst wüss­te über alles Bescheid?«

»Sie miss­ver­ste­hen mich, Mister Bin Laden. Das liegt nicht in mei­nem Ermessen. Ich bin, was die dies­be­züg­li­che Vorgehensweise anbe­langt, an die Standesregeln mei­nes Berufes gebun­den. Würde ich tun, was Sie ver­lan­gen, wür­de ich mich des Vertrauensmissbrauchs schul­dig machen und mei­ne Zulassung als Anwalt verlieren.«

»Aber Sie müs­sen damit aufhören!«

»Das kann ich tun, aber ich fürch­te, dazu müss­ten Sie sich in mei­ne Kanzlei bemü­hen, um die Vollmacht hier vor Zeugen zu widerrufen.«

»Sie wis­sen genau, dass das unmög­lich ist. Man wür­de mich sofort verhaften.«

»Ich gebe zu, das ist ein Problem. Aber immer­hin wäre ich danach nicht mehr ver­pflich­tet, die Berichterstattung über Ihre Festnahme, Ihren Prozess und Ihre Hinrichtung, zu der es ver­mut­lich kom­men wür­de, gericht­lich unter­sa­gen zu lassen.«

»Das ist doch Unsinn. Sie müs­sen wie­der zu mir kommen.«

»Ich fürch­te, das wird sich so schnell nicht ein­rich­ten las­sen. Sie müs­sen ver­ste­hen – dazu habe ich auf­grund Ihres Mandats ein­fach viel zu viel zu tun.«

* * *

Einige Wochen spä­ter betrat ein bär­ti­ger Mann, der sech­zig Jahre oder älter sein moch­te und einen Anzug paki­sta­ni­scher Machart trug, das Büro der Kanzlei E. E. Waits & Partners. Er wies ein umfang­rei­ches Schreiben vor, das ihn als bevoll­mäch­tig­ten Abgesandten Usama Bin Ladens aus­wies, berech­tigt, in sei­nem Namen zu spre­chen und Abmachungen zu treffen.

Rechtsanwalt Eduard E. Waits prüf­te die Dokumente genau. Es hat­te alles sei­ne Richtigkeit. Also emp­fing er den Besucher in sei­nem gro­ßen, reprä­sen­ta­tiv ein­ge­rich­te­ten Büro, in dem der Blick aus zwei gro­ßen Fenstern weit über die City von Boston ging. An einer Wand prang­te ein in Gold gerahm­tes Porträt eines Mannes, der Eduard E. Waits ähn­lich sah, aber etwas älter war. Die gegen­über­lie­gen­de Wand wur­de von einem dun­kel­blau­en Vorhang ver­bor­gen. Hinter dem wuch­ti­gen Ledersessel des Anwalts hin­gen Urkunden, Sportabzeichen und ein abge­nutz­ter Baseball-Schläger.

Der grei­se Mann nahm in dem ange­bo­te­nen Sessel Platz und erklär­te ohne Umschweife: »Sie wis­sen, wes­we­gen ich kom­me. Scheich Usama Bin Laden hat mich beauf­tragt und bevoll­mäch­tigt, die Vereinbarung, die zwi­schen ihm und Ihnen getrof­fen wur­de, zu widerrufen.«

Eduard Earnest Waits fal­te­te die Hände. »Das habe ich mir gedacht.«

»Ich soll Ihnen außer­dem aus­rich­ten«, fuhr der Besucher fort, »dass Scheich Usama Bin Laden das Gefühl hat, von Ihnen hin­ter­gan­gen wor­den zu sein. Er glaubt, dass Sie ihm Ihren Plan ein­zig und allein des­halb unter­brei­tet haben, um Geld zu verdienen.«

Eduard Earnest Waits nick­te gelas­sen. »Auch das habe ich mir gedacht.«

»Ich soll Ihnen dar­über hin­aus sagen, dass …« Der alte Mann zöger­te. »Sind wir hier unter uns?«

Eduard Earnest Waits nick­te wie­der. »Sie kön­nen ganz offen spre­chen. Nichts, was in die­sem Raum gespro­chen wird, ver­lässt ihn. Alles ande­re wäre ein Verstoß gegen die anwalt­li­che Schweigepflicht.«

»Gut«, sag­te der Besucher. »Also – ich soll Ihnen sagen, dass Ihr Verhalten unwür­dig ist und geahn­det wer­den wird.«

Eduard Earnest Waits nick­te ein drit­tes Mal. »Ich will eben­falls ganz offen mit Ihnen spre­chen. Erstens: Ich wer­de Ihren Besuch igno­rie­ren und wei­ter­ma­chen wie bisher –«

»Aber –«, begehr­te der Besucher auf.

»Zweitens«, fuhr Eduard Earnest Waits fort, »irrt sich Ihr Auftraggeber, was mei­ne Motive anbelangt.«

Er stand auf und zog den Wandvorhang bei­sei­te. Dahinter hing ein gerahm­tes Foto, das das bren­nen­de World Trade Center zeigte.

»Im Jahre 2001«, fuhr er fort, »gehör­te ich der Sozietät Wayne, Miller and Partners an, die ihren Sitz im 99. Stockwerk des Gebäudes hat­te, das Sie hier bren­nen sehen. Mein Bruder – des­sen Porträt Sie hier drü­ben sehen – gehör­te eben­falls die­ser Sozietät an. Die meis­ten Partner waren mei­ne Freunde. Ich war der Einzige, der am Morgen des 11. September nicht im Büro war. Ein Termin beim Zahnarzt hat mir das Leben gerettet.«

»Oh«, sag­te der Besucher leise.

»Nach die­sem Tag«, fuhr Eduard E. Waits fort, »tat ich mehr oder weni­ger das­sel­be wie unser dama­li­ger Präsident – ich beschloss, den Terror zu bekämp­fen. Doch wäh­rend unser Präsident sich, wie wir heu­te wis­sen, unwirk­sa­mer Mittel bedien­te und ungang­ba­re Wege beschritt, such­te ich nach einer ande­ren Strategie.«

Er kehr­te hin­ter sei­nen Schreibtisch zurück. »Zunächst beweg­ten sich mei­ne Vorstellungen eher in kon­ven­tio­nel­len Bahnen – Rechtsbeistand für Terroropfer, Beschlagnahme von finan­zi­el­len Mitteln und der­glei­chen –, doch dann kam es zu dem Anschlag von Madrid. Hunderte Tote. Ein Massaker.« Er lehn­te sich zurück. »Und ich bekam davon über­haupt nichts mit.«

Der bär­ti­ge Pakistani schnapp­te nach Luft. »Was? Aber wie ist das –?«

»Ich befand mich damals auf einem zwei­wö­chi­gen Urlaub in den Rocky Mountains. Nur ich, ein Rucksack, ein Gewehr und end­lo­se Wälder. Ich muss­te vor einem Bären aus­rei­ßen, ver­lief mich mehr­mals und trank Wasser aus Wildbächen. Und als ich zurück in die Zivilisation kam, stell­te ich fest, dass ich einen Terroranschlag ver­passt hat­te.« Der Anwalt fal­te­te die Hände. »Weil mich kei­ner­lei Nachrichten erreicht hat­ten. Erstaunlich, nicht wahr? Ich begann, mich zu fra­gen, was wohl aus dem Terrorismus wer­den wür­de, wenn alle Zeitungen, Fernsehsender und so wei­ter über­ein­kä­men, nicht mehr dar­über zu berichten.«

Der grei­se Mann im Besuchersessel hör­te ihm schwei­gend zu, mit Augen, in denen Angst stand. Angst vor dem Zorn sei­nes Auftraggebers, vermutlich.

»Eine illu­so­ri­sche Vorstellung, dach­te ich zunächst«, fuhr Eduard E. Waits fort. »Auf frei­wil­li­ger Basis nie­mals zu errei­chen. Doch muss­te es denn auf frei­wil­li­ger Basis gesche­hen?« Er lächel­te kalt. »Als ich Mister Bin Laden gegen­über sag­te, das ame­ri­ka­ni­sche Rechtssystem sei die wir­kungs­volls­te Waffe, die es gibt, hat er ein­fach nicht ver­stan­den, dass ich von Anfang an vor­hat­te, sie gegen ihn zu rich­ten. Das ist alles.«

© 2007 Andreas Eschbach

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5 Gedanken zu „Gast-​Geschichte: Al Quaida™ von Andreas Eschbach“

  1. Eine unglaub­lich gute (Short-) Story, die in bes­ter Tradition (z. B. Roald Dahl) schwar­zem bri­ti­schen Humors steht. Vielen Dank für die­se net­te Weihnachtsüberraschung!

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