Wie angekündigt, möchte ich den „Pimp My Stock!“-Stau etwas auflösen, deshalb kommt hier gleich die nächste Folge die bei mir schon im Juni 2013 eintrudelte.
Ich freue mich, nach den teilweise leider sehr verbesserungswürdigen Bildern in einigen letzten Folgen heute ein deutlich höheres fotografisches Level präsentieren zu dürfen.
Sinan Muslu stellt sich am besten selbst vor in seiner Mail:
„Hey,
auf Grund eines „Pimp My Stock“ Eintrages habe ich mich entschieden, auch mal mitzumachen. Damit du nicht in alten Emails kramen musst, stell ich mich sogar noch mal vor 😉
Ich bin 29 Jahre alt, habe Industrie- und Werbefotograf in einem Werbefotostudio gelernt, und bin seit 8 Jahren im Beruf. Nach der Ausbildung habe ich noch eine Ausbildung zum Mediengestalter dran gehangen, und seit drei Jahren arbeite ich selbstständig als Fotograf in unserer eigenen Werbeagentur.
Ich fotografiere mit Canon und Hensel Technik, und mein erstes verkauftes Stockfoto ist glaube ich aus dem Jahr 2003, als ich mich bei photocase angemeldet habe.
Interesse für die Stockfotografie besteht schon immer, und nun ist es endlich so weit, dass ich auch was reißen will. Nicht 100% des Umsatzes mit Stock verdienen, aber wenn ich es schaffe, kleine stetige zusätzliche Einkünfte damit zu generieren, dann wäre ich zufrieden. Denn der Rest ist und wird auch primär die bezahlten Aufträge der Kunden bleiben.
Infos zu mir gibt es auch auf meinem Blog und meiner Tumblr-Seite.
Fotos zur Meinungsbildung findest du im Anhang. Querbeet. Sollten die ungeeignet sein, dann gib kurz Bescheid, aber eigens für Stock produziert sind bislang leider nur die Heidelbeeren, der Rest sind sonstige Arbeiten die mal zwischendurch entstanden sind…
Vielen Dank und viele Grüße,
Sinan“
Fangen wir an:
Die junge Frau im Winter ist ein tolles Stockfoto. Das Portrait ist technisch perfekt umgesetzt und zusätzlich ist als Konzept auch das Thema „Winter“ enthalten und farblich ist alles gut abgestimmt. Kleine Verbesserungsvorschläge habe ich dennoch. Mir ist das Gesicht zu mittig angeordnet. Etwas weiter links wäre deutlich mehr Platz für Textfreiraum vorhanden. Wer ganz perfektionistisch ist, würde vor allem rechts die einzelnen abstehenden Haar retuschieren.
Noch ein Hinweis auf kaum sichtbare Stolperstellen, die man kennen muss, weil man sie sonst garantiert übersieht. Seht ihr die Metallknöpfe auf der linken Seite der Jacke? Dort steht oft noch mal der Markenname des Herstellers drauf. Je nachdem, ob dieser lesbar ist, ist das ein Ablehnungsgrund bei Bildagenturen. Deshalb auf jeden Fall in der 100% Ansicht betrachten und gegebenenfalls kurz mit dem Wischfinger-Werkzeug drüber.
Agenturen sind mit guten Fotos von Wiesen und Landschaften gesättigt und da braucht es schon ein sehr perfektes Bild, um damit überhaupt in die Agentur reinzukommen, geschweige denn Verkäufe zu erzielen. Hier stehen die Chancen tatsächlich sehr gut, denn durch den geschwungenen Verlauf der Wiese, die Wolken mit dem Zoomeffekt und der leichten Überstrahlung rechts erhält das Bild eine Dynamik, die Bewegung und Leben ins Bild bringt. Ich finde, das ist das ein sehr gutes Stockfoto und mir fallen auch keine Verbesserungsvorschläge ein.
Bei diesem Foto eines Cadillacs muss sehr darauf geachtet werden, ob Logos und Markennamen am Auto zu sehen sind. Ist das nicht der Fall, muss der Fotograf recherchieren oder hoffen, dass das Design selbst nicht (mehr) markenrechtlich geschützt ist, das kann ich konkret nicht einschätzen.
Wenn das geklärt ist, können wir uns dem Motiv zuwenden. Technisch wieder einwandfrei fotografiert, brauche ich nur zur Komposition etwas zu sagen. In den meisten Kulturen ist die Leserichtung von links nach rechts, was sich auf de Betrachtung von Fotos auswirkt. Unsere Augen scannen ein Bild von links nach rechts, aber die Ausrichtung des Autos nach links zieht unsere Augen immer wieder zurück.
Probiert es aus: Spiegelt das Bild vertikal, dadurch wird die Betrachtung deutlich harmonischer. Noch besser wäre es jedoch gewesen, den Wagen andersrum zu parken, weil dann der Blick automatisch auf die große graue Fläche gelenkt worden wäre, die einen perfekten Textfreiraum abgibt. Auch unten am Bild hätte man durch eine leichte Anhebung der Perspektive das Unkraut aus dem Bild verbannen können.
Abgesehen von den Punkten ist das Foto trotzdem ein gutes Stockfoto, weil es das Thema Luxus mit den Konzepten „Business“ und „Industrie“ verbindet.
Bei diesem Portrait werden die meisten Bildagenturen sofort bemängeln, dass die Augen der Frau nicht scharf abgebildet sind. Dazu kommt, dass der enge Beschnitt die Beschneidungsmöglichkeiten für Grafiker einschränkt, was sich nachteilig auf Verkäufe auswirken kann. Der Spruch „Werbeträger“ über der Brust lenkt einerseits vom Gesicht ab und die deutsche Sprache ist zugleich eine regionale Beschränkung. Zwar suchen Designer gerne Shirts, auf die sie ihre Templates applizieren können, aber hier müssten sie zusätzlich erst den vorhandenen Text entfernen.
Kirschblüten. Schön. Das ist ein Thema, an dem sich genug Hobbyfotografen – auch erfolgreich – abgearbeitet haben sodass die bestehende Konkurrenz sehr groß ist. Außerdem ist der Himmel überstrahlt, was einigen Agenturen nicht gefallen wird. Im Vergleich zu den anderen Bildern der Einsendung sind hier deshalb die Verkaufschancen deshalb vermutlich am geringsten.
Mann mit Pelz: Mir gefällt der skurrile Stil, aber auch hier gilt, dass der Beschnitt am Kopf die Einsatzmöglichkeiten einschränkt. Die Wangen könnten leicht überstrahlt sein, dass könnte man vielleicht mit der RAW-Datei retten. Ansonsten: Cool. Charaktertypen abseits der 08/15-Modelgesichter werden von Bildagenturen händeringend gesucht.
Leserinnen und Leser, die fleißig meinen Blog oder auch nur die „Pimp My Stock!“-Rubrik lesen, werden sicher sofort erkennen, was ich an dem Foto mit dem Schinkenbrot bemängeln werde? Genau, die Schrift und das Logo. Jeder halbwegs kompetente Designer könnte das Logo bei Bedarf selbst auf das Brettchen montieren, aber umgekehrt gibt es genug Leute, welche das Bild deshalb nicht kaufen werden. Für einen Kundenauftrag wäre das Foto super, als Stockfoto sollte es so universell wie möglich sein, deshalb ohne Logo und Text. Wenn wir uns das Logo (und den winzigen Fussel unten rechts) wegdenken, wüsste ich aber nichts, was ich noch zu bemängeln hätte.
Kommen wir zu den Fotos, die Sinan explizit für Bildagenturen gemacht hat. Das Foto der Heidelbeeren ist sehr gut aus Stockfoto geeignet: Es ist reduziert auf das Wesentliche, hat viel Textfreiraum und der Baumstamm unterstützt das „Natürliche“. Ich hätte noch 2–3 Varianten mit verschiedenen Stoffservietten oder Unterlagen unter der Schale fotografiert.
Bei den Heidelbeeren von oben nimmt der Baumstamm meines Erachtens zu viel Raum ein. Hier bietet sich ein quadratisches Format an. Ansonsten: Top. Mir gefällt auch, dass der Hintergrund ebenfalls einen dezenten Blauton hat.
Wenn wir uns die Fotos von Sinan im Vergleich zu einigen früheren Einsendungen anschauen, wird deutlich, dass eine gute Ausbildung und vor allem Praxiserfahrung auch in der Stockfotografie helfen können.
Ich bin mir sicher, dass Sinan es schafft, in Zukunft ein lukratives Portfolio bei Bildagenturen aufzubauen.
Was sagt ihr? Teilt ihr meine Einschätzung?