Wenn Leute hören, dass jemand ein Fotograf ist, denken sie zuerst an Papparazi. Das kommt vermutlich davon, dass im Schatten der ganzen Stars und Sternchen auch die unermüdlich flackernden Blitzlichter der Fotografenmeute zu sehen sind und eher erfolgreiche „Abschüsse“ eines Paparazzo die Titelseiten der Boulevardblätter schmücken als – sagen wir – ein Stockfoto.
Einer derjenigen, die heimlich in Hollywood auf der Lauer liegen, um die Gier nach neuen und möglichst exklusiven Bildern der Prominenten zu befriedigen, ist der deutsche Fotograf Hans Paul. In seinem Buch „Erwischt“* (ISBN 978–3936994742) schreibt er, wie seine Arbeitstage aussehen, um die beliebten Fotos zu bekommen, die mehrere zehntausend Euro wert sein können.
Ich muss zugeben, dass ich beim Lesen des Buchs ständig ein mulmiges Gefühl im Magen hatte. Es fängt damit an, wie Hans Paul ein Erlebnis gleich zu Beginn seiner Laufbahn begann, damals noch kein Paparazzo, sondern als „Enthüllungsjournalist“. Er fotografierte – vermutlich unbemerkt – ein sechzehnjähriges Mädchen, was auf den Strich ging und verkaufte die Geschichte. Später las er im Kölner Express, dass sich das Mädchen umgebracht hatte. Sein Kommentar:
„Ich sah das Foto in der Zeitung. Ich kannte sie. Es war genau das Foto, das ich den Zeitungen verkauft hatte. Zum ersten Mal machte ich mir Gedanken darüber, was ich mit meinen Reportagen so anrichten konnte. Sie könnte noch leben. Dieser Schock verfolgt mich bis heute.“
Etwas später versuchte er, der Neuen Revue eine Enthüllungsgeschichte von leidenden Hunden im Tierheim zu verkaufen. Dabei versuchte die Zeitung, ihn selbst reinzulegen und eine Geschichte so zu biegen, dass kaum etwas Wahres dran bleibt, sie aber viel interessanter wird. Konsequenzen scheinen beide Erlebnisse nicht gehabt zu haben, denn sie hielten Hans Paul nicht davon ab, das heimliche Ablichten von Personen, auch wenn sie es nicht wollen, zu seinem Lebensunterhalt zu machen.
Bis hierhin war ich ob seiner Gedankenlosigkeit eher irritiert. Auf Seite 39 wurde ich das erste Mal wütend. Hans Paul arbeitet mittlerweile als Papparazo und sollte Fotos von Liane „Lee“ Wiegelmann machen, die Gründungsmitglied der Band Tic Tac Toe war, weil ihr Mann sich aufgehängt hatte. Er mischte sich unter die trauernden Fans und ging so vor:
„Lees Freunde nahmen mich mit zu sich nach hause und gaben mir bereitwillig alle Fotos, auf denen der Verstorbene und Lee zu sehen waren. Noch konnten sie nicht ahnen, dass die Bilder satte Honorare wert waren. Bis zum Mittag hatte ich reichlich Material eingesammelt. Inzwischen war eine große Schar von Reportern eingetroffen. Sie klingelten bei Lees Verwandten und boten Geld für Interviews und Fotos. ‚Schrecklich‘, dachte ich, ‚die Medienvertreter merken nicht, dass diese Menschen noch unter Schock stehen und wollen sie schon interviewen‘. Noch tate sie mir leid, als sie dann aber hörten, dass die Journalisten hohe Geldsummen für die Interviews und Fotos boten, kamen sie aufgeregt zu mir und forderten ziemlich energisch ihr Material zurück. Ich erklärte ihnen, dass die Fotos schon in den Redaktionen seien.“
Diese Masche finde ich dann doch unverschämt. Ecklig wird es, als er einige Seiten später erzählt, wie er sieben Müllsäcke klaut, die vor dem Haus von Michael Schumacher stehen, sie auf einem Autobahnparkplatz durchwühlt und mit den Fotos vom Inhalt Geld verdient. Dann beschließt er, nach Hollywood zu ziehen, weil dort die internationalen Stars wohnen, deren Fotos weltweit verkäuflich sind, nicht nur in Deutschland.
Hans Paul hat Recht, wenn er schreibt, dass sich viele Prominente Fotos wünschen, weil sie im Gespräch bleiben müssen, um gut zu verdienen. Auf der anderen Seite listet Paul jedoch viele Beispiele auf, bei denen er heimlich fotografieren muss, weil er genau weiß, dass die Person keine Fotos duldet.Was ist das für ein Job, wo man ständig mit Leuten „arbeitet“, die nicht kooperieren wollen? Und wenn der Ehemann der Schauspielerin Courtney Cox, David Arquette, die Paparazzi anschreit: „Ihr ruiniert mein Leben“, ist sein lapidarer Kommentar nur: „Kannten wir schon alles“.
Ebenfalls irritierend fand ich den Umgang des Fotografen mit den Bildagenturen. Anstatt diese direkt mit Laptop und WLAN zu beliefern, trifft er sich mit Agenten, denen er seine Speicherkarten gibt, damit diese die wiederum an Agenturen vermitteln. Oft klingt es so, als könne er nur hoffen, dass gute Summen dabei herausspringen. Aber wenn bezahlt wird, dann werde ich glatt neidisch. Vier- bis fünfstellige Summen sind für eine Fotoserie drin, bzw. waren es, bevor jeder Passant mit seinem Handy fotografieren konnte.
Ein weiterer Punkt der Verwunderung ist die Sorglosigkeit, mit der ohne jede Erlaubnis fotografiert wird. Zwar schreibt er ab und zu, dass irgendwo Hausrecht herrsche und er deshalb nicht fotografieren dürfe oder bei einigen Prominenten wegen anwesender Kinder auf den „Abschuss“ (wie er es nennt) verzichtet, aber meistens wird einfach die Kamera auf die Promis gehalten, abgedrückt, was der Kameramotor hergibt und die Ergebnisse ohne Gewissensbisse verkauft. Kein Wort zum Beispiel zu den Caroline-Urteilen, die vor allem die Paparazzi-Fotos einschränken sollen. Aber ich gebe zu: Etwas Neid ist auch dabei, wo ich als Stockfotograf für jedes noch so winzige Logo entweder eine Erlaubnis brauche oder Photoshop bemühen muss.
Das Buch ist in viele winzige Episoden aufgeteilt, die ca. eine halbe bis ganze Seite lang und oft mit den dazugehörigem Foto garniert sind. Ab der Hälfte des Buches überkam mich Langeweile, weil sich das Schema der Geschichten ähnelt: „Bekam einen Tipp von X, dass sich Promi Y an Ort Z aufhält, ich rase los, mache auf Art Q Fotos, trotze dabei Problem V und verdiente €“.
Inhaltlich eignet sich das Buch mehr für Boulevard-Junkies, denn fotografisch gibt es höchstens zu lesen, ob er nun sein 300er, 400er oder 500er-Objektiv benutzt oder ob er Gegenlicht hat oder nicht. Auch schreibt er häufig von seinen kleinen Mini-Kameras, die als Radio oder ähnliches getarnt sind. Davon hätte ich gerne Fotos gesehen. Unterm Strich habe ich durch das Buch trotz der offensichtlichen Mängel einen besseren Einblick in die Arbeits- und vor allem Denkweise eines Papparazo bekommen. Wer wissen will, wie Paparrazi ticken, kann es lesen, wer selbst einer werden will, wird kaum Tipps im Buch finden.
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