Microstock-Bildagenturen haben die Stockfotografie in den letzten zehn Jahren massiv umgekrempelt.
Das betrifft aber nicht nur die Preise, sondern auch die Bildsprache und die Arbeitsweise. Die Technikaffinität der Microstock-Agenturen brachten sie auch einige Errungenschaften ins Spiel: Noch nie zuvor war es Fotografen so einfach möglich, zu sehen, welche ihrer Bilder sich am besten verkauften, sie konnten Trends erkennen, darauf reagieren, diese wiederum analysieren und so weiter.
Leider gibt es eine sehr dunkle Schattenseite dieser Errungenschaft: Da die Downloadzahlen lange nicht nur dem jeweiligen Fotografen vorlagen, sondern öffentlich auf der Webseite von allen anderen Leuten, sowie Kunden als auch anderen Fotografen, eingesehen werden können, entwickelten sich die „Copycats“. So nenne ich die Leute, die schamlos die Bilder anderer Fotografen kopieren und damit Geld verdienen.
Ich rede hier nicht von der einen oder anderen Bildidee, die wahrscheinlich die meisten Fotografen im Portfolio haben, die sie irgendwo anders mal gesehen und nachgeahmt haben. Das liegt in der Natur der Sache, weil Microstock-Motive nun mal sehr generisch und austauschbar sind.
Nein, Copycats sind für mich Leute, die systematisch Portfolios fremder Fotografen durchstöbern, nach Downloads sortieren und versuchen, die fremden Bestseller so identisch wie möglich nachzumachen, bis hin zur Kleidung der Models oder der Anordnung im Bild. Copycats sind Leute, die nicht ein Bild eines Fotografen kopieren, sondern gleich das komplette Shooting. Copycats sind Leute, bei denen der Großteil des Portofolios aus geklauten Bildideen besteht. Eine besonders radikale Gruppe von Copycats kopiert bei einigen Fotografen nicht nur die Bestseller, sondern vorsorglich die meisten der neuen Bilder mit dem Wissen, dass der beklaute Fotograf ein sehr gutes Gespür für Trends, Motive und Bestseller hat.
Ich bin nicht frei von Schuld und es lassen sich bei mir einige Motive finden, die andere vor mir sehr ähnlich umgesetzt haben. Andersrum bin ich als öffentlich bekannte Person auch davon betroffen, dass Fotografen oder Fotografinnen meine erfolgreichsten Shootings als Blaupause für ihre eigenen Shootings nehmen, inklusive Keywords und allem. Die betreffenden Leute wissen meist sehr gut, dass sie gemeint sind. Ich hatte mich vor paar Jahren mal via Twitter beschwert, dass ein von mir nicht genannter Fotograf bei einem Motiv meine Keywords 1:1 übernommen habe. Von meinen über tausend Followern meldete sich ausgerechnet genau der betroffene Fotograf und fragte via Privatnachricht: „Du meinst nicht etwa mich, oder?“
Was bedeuten die Copycats nun für die Stockfotografie?
Die Sicht der beklauten Fotografen
Meist haben die beklauten Fotografen einen unschätzbaren Vorteil: Sie haben das Original und sie sind die ersten mit diesem Motiv. Wenn sich ein Bild erst mal zum Besteller entwickelt hat, ist es schwer, das Original „vom Thron zu stoßen“. Besonders ärgerlich sind die Kopien aber, wenn sich aus irgendwelchen Gründen die Kopien besser verkaufen als das Original und bei den Suchergebnissen vor dem Original angezeigt werden.Das passiert immer öfter, weil die Suchalgorithmen vieler Bildagenturen mittlerweile neue Werke bevorzugen und die späteren Kopien deshalb gegenüber dem Original bevorzugt angezeigt werden. Noch ärgerlicher ist es, dass die Copycats einen Bestseller mit einem originellen Konzept nicht nur 1x kopieren, sondern gleich 10–20 ähnliche Varianten auf den Markt schmeißen (auch hier war ich kurz versucht, Beispiele zu zeigen…). Das führt dann dazu, dass das Original in dem Meer der ähnlichen Kopien visuell untergeht.
Einige Fotografen, die regelmäßig von den gleichen Leuten beklaut werden, haben es sich „aus Rache“ angewöhnt, neue Motive von den Copycats, welche noch nicht im eigenen Portfolio sind, zu kopieren. Das biblische Prinzip von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ verfehlt jedoch öfters das Ziel, weil die neu kopierten Bilder dann meist auf Kopien anderer Fotografen beruhen.
Zu kompliziert? Ein anonymisiertes Beispiel aus der Praxis: Fotograf A macht Bild 1. Fotograf C(opycat) kopiert das Bild. Fotograf A kopiert aus Rache das Bild 2 aus dem Portfolio des Fotografen C. Fotograf B beschwert sich, dass Fotograf A sein Motiv kopiert habe. Daraufhin stellt sich heraus, dass auch Bild 2 eine Kopie war aus dem Portfolio von Fotograf B.
Rechtlich gesehen ist es leider schwer, gegen solche Kopien anzugehen, weil „nachgestellte Fotos“ im Gegensatz zu „identischen Fotos“ nicht automatisch einen Urheberrechtsverstoß bedeuten. Da kommt es darauf an, wie ähnlich sich Kopie und Original sehen und ist meist eine Auslegungssache des Gerichts. Wenn die Copycats dann noch in einem anderen Land sitzen oder die Kontaktdaten nicht mal bekannt sind, weil die Bildagentur diese nicht preisgeben will, sieht der juristische Weg noch viel steiniger aus.
Manchmal sind die Copycats auch so schnell, dass sie dem Original-Urheber die Chance auf eigene Varianten verbauen. Wenn ein Original-Konzept zum Bestseller wird und es schnell von 4–5 Copycats nicht nur einmal, sondern in zig Varianten kopiert wird, kann es passieren, dass eine Variante des Original-Fotografs wegen „zuviel Ähnlichkeit“ oder „davon haben wir schon genug Motive“ abgelehnt wird.
Die Sicht der Copycats
Trendrecherche ist anstrengend. Außerdem ist Microstock nur lukrativ, wenn genügend Bilder verkauft werden. Warum also das Risiko eingehen, selbst Nische zu suchen, zu finden und zu besetzen? Copycats können das andere Fotografen machen lassen kann und dann bequem jeden Monat deren aktuelle Bestseller kopieren. Ist ja egal, wenn die Kopie nur ein Zehntel Umsatz macht. Wenn der Bestseller sich 1000x verkauft hat, wären das immer noch 100 Verkäufe, welche die Arbeit an einem Bild lohnend machen.
Es ist außerdem enorm zeitsparend: Copycats sparen nicht nur die Zeit, herauszufinden, welche Motive sich gut verkaufen lassen, auch bei der Erstellung der Kopie wird Zeit gespart, weil der Original-Urheber sich schon die Gedanken um effektvolle Farbkombinationen, wirksame Komposition etc. gemacht hat. Die richtig frechen Copycats laden sich – vor allem bei Vektoren – die Originale auf illegalen Warez-Seiten runter und kopieren dann die Farbverläufe oder andere aufwändig erstelle Muster 1:1 in die Kopie rein, um noch mehr Zeit zu sparen. Außerdem ist es bei Vektorgrafiken viel leichter als bei Fotos, herauszufinden, wie das Original „gebaut“ wurde, weil die Elemente in der originalen Vektordatei ja einzeln auseinandergenommen werden können.
Andere Copycats schleimen sich vorher sogar bei den zu kopierenden Fotografen ein, fragen nach dessen Ausrüstung, Technik und Arbeitsweise, bis sie nicht nur die Motive, sondern auch die Art der Umsetzung fast identisch kopieren können. Ja, auch diese Fälle hatte ich schon.
Die Sicht der Kunden
Einige Kunden legen Wert darauf, dass sie Bilder kaufen, die noch nicht zu sehr „verbraucht“ wurden und orientieren sich beim Kauf an niedrigen Downloadzahlen. Wenn sie eine Kopie mit wenigen Downloads kaufen, ärgern sie sich vermutlich, wenn sie das Original entdecken, was schon die hundertfachen Downloads hat. Außerdem verstopfen fast identische Kopien die Suchergebnisse bei den Bildagenturen und führen zur Frust bei der Bildersuche, wenn man sich durch sehr viele, sehr ähnliche Bilder wühlen muss, die vielleicht auch noch unterschiedliche Preise habe, weil einige Leute exklusiv sind und andere nicht – egal, ob jetzt Original-Urheber oder die Copycats.
Rechtlich gesehen ist die Lage auch heikel: Sollte ein Gericht feststellen, dass die Copycat mit einer Kopie das Urheberrecht eines anderen Fotografen verletzt hat, hätte der Bildkunde das Foto unrechtmäßig erworben und dürfte es nicht mehr benutzen.
Die Sicht der Agenturen
Ich habe den Eindruck, dass Agenturen relativ wenig gegen Copycats unternehmen. Das mag an der rechtlichen Problematik liegen, weil die Abgrenzung zwischen „Kopie“ und „Imitation“ schwierig ist, aber liegt vielleicht auch daran, dass ein größeres Gesamtportfolio der Agentur zugute kommt. Welcher Fotograf genau den Download eines Kunden bekommt, ist der Agentur ja meist egal. Außerdem werden es eh immer mehr, auch immer mehr ähnliche Bilder, warum also ein großes Fass aufmachen?

Wenn sich ein Fotograf beschwert, erhält er – wenn überhaupt – eine Antwort wie diese, welche Fotolia zum Beispiel noch im Oktober 2013 standardmäßig rausschickte:
„Sehr geehrtes […],
natürlich haben wir Verständnis für Ihre Reaktion auf das „Kopieren“ einiger Ihrer Dateien. Dass sich daraus jedoch nicht zwingend ein Urheberrechtsverstoß ableiten lässt, möchten wir Ihnen durch nähere Betrachtung des zentralen „Werk“-Begriffs im Urheberrecht verständlich machen. Maßgebend ist insoweit, ob das von Ihnen erstellte Original überhaupt diesen weitgehenden Schutz genießt.
Denn ein urheberrechtlich geschütztes Werk muss eine gewisse Gestaltungshöhe aufweisen. Das Merkmal der Gestaltungshöhe bezieht sich auf den Grad der Individualität, den ein geistiges Erzeugnis besitzen muss, um eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des Urhebergesetzes zu sein. Hierdurch sollen einfache Alltagserzeugnisse ausgesondert werden. Die Rechtsprechung bestimmt den Grad der Individualität durch einen Vergleich zwischen dem zu beurteilenden Original mitsamt seiner prägenden Gestaltungsmerkmale und der Gesamtheit der vorbekannten Gestaltungen.
Grds. können auch Werbegrafiken Urheberrechtsschutz genießen. Künstlerisch individuell gestaltete Werbung in Prospekten oder Anzeigen kann als Werk geschützt sein. Schlichte Alltagswerbegrafik ist allerdings nicht umfasst. Die Schutzfähigkeit fehlt auch dann, wenn es sich lediglich um eine gelungene, originelle Darstellung handelt, die aber den Bereich der Durchschnittsgestaltung nicht übersteigt.
Ohne dabei eine Wertung hinsichtlich Qualität oder künstlerischem Gehalt der betroffenen Bildinhalte vornehmen zu wollen, müssen wir unsere ernstlichen Zweifel zum Ausdruck bringen, ob Ihre Originale tatsächlich den beschriebenen urheberrechtlichen Schutz genießen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Fotolia in derartigen Zweifelsfällen nicht tätig werden kann. Der Nutzen und die Kurzlebigkeit insbesondere von Werbegrafiken steht außer Verhältnis zu dem erforderlichen Arbeitsaufwand, den eine Prüfung und Verfolgung solcher Entlehnungen erfordern würde.
Wir möchten Ihnen abschließend raten, das „Kopieren“ ihrer Bilder als Kompliment aufzufassen und als Ansporn zu gebrauchen, handwerklich bessere und thematisch vorausschauendere Bildinhalte als die Konkurrenz zu gestalten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Fotolia Team“ (Quelle: Fotolia-Forum)
Besonders der letzte Absatz verdient hier Beachtung.
Langsam scheinen die Microstock-Agenturen aber zu merken, dass das öffentliche Anzeigen von Downloadzahlen kontraproduktiv sein kann. Das Hauptärgernis werden hier sehr wahrscheinlich die Konkurrenten sein, welche fleißig und regelmäßig die Downloadzahlen bestimmter Dateien oder Portfolios notieren, um diese Daten extrapolieren zu lassen und damit Rückschlüsse auf die Umsätze einer Agentur schließen können.
Jedenfalls sind einige Microstock-Agenturen dazu übergegangen, die Downloadzahlen nicht mehr anzuzeigen. iStock hatte die Zahlen vor paar Jahren erst sehr grob gerundet und jetzt im Zuge des Design-Relaunchs komplett von der Suchergebnis-Seite getilgt. Auch Fotolia hatte vor paar Wochen komplett die öffentliche Anzeige der Downloads beendet, worüber sich bei mir ironischerweise mehr Fotografen als Kunden beschwert haben.
Mostphotos hat nach Beschwerde einiger Fotografen im November 2013 ebenfalls die Download-Anzeige abgeschafft und 123rf hatte das schon im Juni 2007 beendet. Andere Agenturen wie Shutterstock hatten diese Informationen noch nie angezeigt.
Was sagt ihr?
Wie geht ihr mit Copycats um? Ignorieren, rächen, melden?