Die Firma icons8 hat gerade etwas Bahnbrechendes gemacht: Sie hat 100.000 durch künstliche Intelligenz erstellte Portraits kostenfrei zur Nutzung bereit gestellt.
Die künstliche Intelligenz brauchte etwas zum „Trainieren“, um zu erkennen, wann ein Ergebnis menschlich genug aussah und wann nicht. Dafür hat die Firma nach eigenen Angaben innerhalb von drei Jahren 29.000 Portraits von 69 Models aufgenommen.
Die fertigen computergenerierten Fotos werden auf der Webseite https://generated.photos/ kostenfrei zum Download und zur Nutzung angeboten im Format 1024x1024 Pixel, also 1 Megapixel. Bei den 100.000 Bildern sind einige dabei, die erkennbar „fake“ sind, weil der Computer seltsame Artefakte an komischen Stellen generiert hat und oft sind bei langen Haaren die Enden falsch, wie wenn man wild in Photoshop mit dem Klonstempel Amok gelaufen wäre oder das Verflüssigen-Tool nicht richtig beherrscht.

Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass viele der Bilder nicht mehr von einem echten Foto zu unterscheiden sind. Geplant ist in Zukunft sogar eine Art Tool, mit der Nutzer (vermutlich gegen Gebühr) auf Knopfdruck sich selbst Portraits generieren und dabei Kriterien wie Geschlecht, Alter, Stimmung, Blickwinkel etc. selbst beeinflussen können.
In diesem Video stellt sich das Projekt kurz selbst vor:
Hier als Beispiel einige Bilder von https://generated.photos, die tatsächlich so realistisch sind, dass kaum vorstellbar ist, dass sie keine Fotos sind (Klicken zum Vergrößern):
Wer ebenfalls mal stöbern will, kann die Webseite https://100k-faces.glitch.me/ aufrufen. Bei jedem neuen Laden der Seite wird zufällig eins der 100.000 Gesichter gezeigt.
Wie dürfen die Bilder genutzt werden?
Laut der Webseite dürfen die Bilder für jegliche („whatever“) Nutzung verwendet werden, zum Beispiel für Präsentationen, Projekte, Mock-Ups, Avatare auf Webseiten, Newsletter, Arbeitsblätter etc., vorausgesetzt, es wird ein Link auf deren Webseite gesetzt. Konkreter erklärt es der Chefdesigner bei icons8, Konstantin Zhabinskiy hier:
„If you plan to use photo on your website, set a link to Generated Photos on all pages where you use our content. If you use it on most pages, a link in your footer is fine. Desktop and Mobile apps should have a link in the About dialog or Settings. Also, please credit our work in your App Store or Google Play description (something like „Photos by Generated Photos“ is fine).“
In den kleingedruckten Nutzungsbedingungen auf der Seite steht unter Punkt 3.2 jedoch, dass keine „kommerzielle Nutzung“ erlaubt sei und generell viele Einschränkungen gelten, wie zum Beispiel dass die Lizenz seitens der Betreiber jederzeit entzogen werden kann und dann jedes Material, egal ob digital oder gedruckt, zerstört werden muss:

Das widerspricht sich jedoch mit den öffentlichen Äußerungen der Firma, weshalb ich per Email um eine Stellungnahme gebeten habe, auf die ich leider noch keine Antwort habe.
In deren FAQ wird darauf hingewiesen, dass das Verfassen von Nutzungsrechten für Produkte künstlicher Intelligenz eine Neuheit ist, weshalb sie sich das Ändern dieser Nutzungsbedingungen jederzeit vorbehalten. Wenn man kurz darüber nachdenkt, ist es logisch: Mit welchem Recht sollte jemand das Urheberrecht an Werken beanspruchen, die er nicht selbst geschaffen hat? Das wird noch Stoff für juristische Auseinandersetzungen liefern.
Andere Projekte mit künstlichen Personenbildern
Die Webseite generated.photo ist weder die einzige noch die erste Seite, die künstlich erzeugte Gesichter präsentiert. So gibt es seit einer Weile die Seite www.thispersondoesnotexist.com, welche das gleiche GAN („Generative Adversarial Network“)-Modell als Grundlage wie generated.photo nutzt. Hier eine sehr ausführliche Erklärung, wie diese GAN funktionieren.
Eine andere Webseite ist www.artificialtalent.co, bei der Modefotos gegen Bezahlung mit künstlich erzeugten Gesichtern „aufgehübscht“ werden können, um mehr Kleidung zu verkaufen.
Eine große Sammlung solcher AI-basierten Webseiten, nicht nur für Personenbilder, liefert diese Webseite.
Was bedeuten diese Projekt für die Stockfotografie?
Kurzfristig sind sie noch keine Bedrohung für Stockfotografen. Erstens funktioniert diese Technik aktuell nur bei Portraits und die Auflösung ist mit 1 MP etwas beschränkt. Der Ausschuss ist, wie man beim Durchblättern der 100.000 Bilder sehen kann, noch ziemlich groß, auch wenn erstaunliche Ergebnisse darunter sind. Außerdem ist nur eine private Nutzung erlaubt, weshalb Werbetreibende weiterhin auf Stockmaterial zurückgreifen müssen.
Mittelfristig sehe ich jedoch durchaus die Möglichkeit, dass ein Teil der Nutzung zu den computergenerierten Bildern abwandert. Erstens sind diese künstlichen Intelligenzen schnell lernfähig, was zu exponentiell besser werdenden Ergebnissen und steigenden Bildauflösungen führen sollte. Die Technik wurde immerhin erst 2014 vorgestellt und kann nun schon glaubwürdige Gesichter generieren.
Außerdem funktioniert die Technik nicht nur bei Menschen, auch Landschaften lassen sich so digital erzeugen, wie diese interaktive Demo von Nvidia zeigt. Selbst für Inneneinrichtungen gibt es schon eine Webseite, bei der Leute ein Foto ihrer Wohnung hochladen können und die AI richtet diese virtuell neu ein.
Die Gefahr für Stockfotografen besteht darin, dass ihre Bilder oft sehr generisch und austauschbar sind, beides also Attribute, welche perfekt für computergenerierte Ansätze sind.
No Model Release, no problem?
Wie bei etlichen neuen Technologien zeigen sich Gefahren leider erst, wenn diese eine Weile im Einsatz sind. Deshalb betonen einige Forscher aus diesem Gebiet, dass die ethische Komponente nicht unterschätzt werden darf. Das heißt im Klartext: Die erzeugten Bilder basieren auf echten Fotos: Wird die AI nur mit schönen, kaukasischen jungen Gesichtern trainiert, werden auch die Ergebnisse schön, jung und weiß sein. Nur wer genügend Diversität im Ausgangsmaterial hat, kann diese auch vom Computer erzeugen lassen.
Eine weitere, bisher nicht erwähnte Gefahr, sehe ich in den Persönlichkeitsrechten. Klar, die abgebildeten Personen haben keine Persönlichkeitsrechte. Wer sich eine Weile durch die Beispiele klickt, wird jedoch merken, dass ihm etliche Gesichter irgendwie bekannt und vertraut vorkommen. Es kann ja sein, dass der Computer Gesichter generiert, die in echt lebenden Menschen wie aus dem Gesicht geschnitten aussehen. Sollten diese Menschen dann nicht das Persönlichkeitsrecht an den AI-Bildern haben, wenn sie mit denen verwechselt werden können?
Man könnte den Vergleich zu eineiigen Zwillingen ziehen: Hat der eine das Recht, dem anderen abzusprechen, für bestimmte Produkte oder Meinungen zu werben?
Generell ist das Missbrauchspotential dieser Technik sehr hoch, man denke nur an ausgedachte Testimonials, gefälschte Social Media Accounts und so weiter. Vor allem in Kombination mit anderen Techniken wie „Deep Fakes“, bei der Videos Gesichter anderer Personen erhalten oder Adobe #VoCo, wo Stimmen anderer Personen manipuliert werden können, ergeben sich viele Möglichkeiten, die sehr dazu geeignet sind, das Vertrauen von Menschen in digitale Inhalte zu untergraben. Wie so oft sind Pornos Vorreiter dieser neuen Technologie: Schon heute gibt es einige Webseiten, auf der Gesichter von Berühmtheiten in Pornofilme montiert werden.
Was sagt ihr zu dieser Entwicklung?