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Stockfotografie-​Interview mit Jonathan Ross (Fotograf) Teil 1

Wieder habe ich kei­ne Mühen gescheut, um Euch ein infor­ma­ti­ves Interview bie­ten zu kön­nen. Ich leh­ne mich sicher nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaup­te, dass dies hier das ers­te deutsch­spra­chi­ge Interview mit Jonathan Ross ist. Nein, ich mei­ne nicht den bri­ti­schen Moderator oder den aus­tra­li­schen Football-​Spieler, son­dern den Stockfotografen aus Seattle und Gründer der Bildagentur Blend Images. Zusammen mit sei­ner Frau Amy betreibt er die Fotoproduktionsfirma „Andersen Ross“.

Jonathan Ross

Ich freue mich wirk­lich sehr, dass Jonathan sich die Zeit genom­men hat, auf mei­ne Fragen aus­führ­lich zu ant­wor­ten, da er zum einen sehr offen spricht und auch Praxiserfahrungen in den Marktbereichen RM, RF und Microstock hat. Das Interview ist so lang gewor­den, dass ich es in zwei Teilen veröffentliche.

Was hast Du vor Deiner Fotografen-​Karriere gemacht?

Ich war Lagerarbeiter, ein Telefonmastenkletterer für das Kabelfernsehen und eine Aushilfe für einen Elektriker. Ich war ent­schlos­sen, ein „Arbeiterklasse-​Amerikaner“ zu sein, obwohl ich hin­ter den Kulissen von Theatern auf­ge­zo­gen wur­de, da mein Vater Regisseur war. Du kannst Deine Wurzeln nicht ver­leug­nen, des­halb beleg­te ich mei­nen ers­ten Fotokurs im College 1981. Aber erst 1987 ent­schied ich, die Fotografie ernst zu neh­men und schrieb mich in ein Programm für pro­fes­sio­nel­le Fotografie ein. Ich traf mei­ne Ehefrau in der Fotoschule und inner­halb eines Jahres nach unse­rem Abschluss öff­ne­ten wir unser ers­tes klei­nes Studio. Es war eine bes­se­re Garage, die pas­send „Luftschutzbunker“ genannt wur­de, da es ein Betonblock ohne Fenster war. Dort hat­te ich mein ers­tes Shooting mit einer ein­zi­gen Lichtquelle, gefil­tert durch ein Bettlaken, das von zwei Pfosten gehal­ten wur­de, die in Farbeimern zemen­tiert waren. Wir müs­sen alle irgend­wo anfan­gen… 🙂 Wir hat­ten 10.000 US-​Dollar gespart, um durch har­te Zeiten zu kom­men und mei­ne Frau begann sogar wie­der in einem Modeladen zu arbei­ten, damir wir ein Auskommen hat­ten, bis unse­rer Kundenstamm groß genug war.

Wie begann Dein Interesse an der Fotografie?

In mei­ner ers­ten Fotoklasse 1981 hat­te ich einen groß­ar­ti­gen Lehrer, Chris Simons, der ein super Motivator war. Er unter­rich­tet dort immer noch neue Schüler. Ich war 28, als ich am College wie­der mit der Fotografie anfing und muss­te etwas wäh­len und dabei blei­ben. Ich lieb­te Fotografie, also sag­te ich mir, als ich die Ausbildung begann, „das ist es und ich blei­be dabei“. Da ich unter Schauspielern auf­ge­wach­sen war, erkann­te ich, dass nur die Erfolg hat­ten, die ein­fach bestän­dig dabei blie­ben. Einige waren in weni­gen Jahren berühmt, ande­re brauch­ten zwan­zig, aber jeder, der dabei blieb, schaff­te es irgend­wann. Hartnäckigkeit und Arbeitsethik. In der Fotoschule geriet ich wie­der an einen Meister des Unterrichtens, Barton Atterberry, und er nahm mich unter sei­ne Fittiche. Wir blie­ben gute Freunde bis er letz­tes Jahr ver­starb. Er war ein Art Center-​Graduierter vor lan­ger Zeit. Meine Frau und ich haben ein Stipendium-​Programm die­ses Jahr unter sei­nem Namen gestar­tet für auf­stre­ben­de Fotografie-Talente.

Seit wann arbei­test Du als pro­fes­sio­nel­ler Fotograf?

Wir fin­gen wir fast zwan­zig Jahren an, als wir den „Luftschutzbunker“ 1990 eröffneten. 🙂

Was ließ euch ent­schei­den, Stockfotografie pro­fes­sio­nell zu betreiben?

Wir began­nen mit Werbefotografie und hat­ten das pure Glück, dass sich das Zentrum der Stockfotografie in unse­rer Heimatstadt Seattle ansie­del­te. Wir fin­gen mit Photodisc an, weil ein ande­rer Fotograf, den wir kann­ten, sag­te, dass da gutes Geld zu machen wäre. Dann zog Getty Images dazu und Corbis war auch in der Nachbarschaft. Wir began­nen eini­ge Nachforschungen und Entwicklungen in Sachen Stockfotografie, da wir nicht unse­ren gesam­ten Kundenstamm ver­lie­ren woll­ten, denn wir uns in zehn Jahren auf­ge­baut hat­ten. Nach sechs Monaten, in denen wir gute Zahlen mit Stockfotografie erziel­ten, erkann­ten wir, dass es eine groß­ar­ti­ge Möglichkeit war. Innerhalb eines Jahres lie­ßen wir alle unse­re Kunden lie­gen und foto­gra­fier­ten aus­schließ­lich Stockfotografie und haben seit­dem nie mehr zurück­ge­se­hen. Die Entscheidung wur­de auch durch unse­re Kinder beein­flusst, für die ich mehr Zeit haben woll­te. Studioarbeit wird von den Kunden bestimmt, Stockarbeit von mir.

Foto von Jonathan Ross

Mit was für einer Ausrüstung arbei­test Du?

Mit allem unter der Sonne, ein­schließ­lich der Sonne :-). Ich habe vie­le ver­schie­de­ne Lichtmöglichkeiten für diver­se Anlässe und Orte.

Was ist Dein liebs­tes Werkzeug?

Ich den­ke, das wären dann mein Computer und Photoshop. Ohne die wäre mein Arbeitsablauf viel zeit­auf­wän­di­ger. Das Internet gehört auch dazu, aber das zäh­le ich mit zum Computer. Das ist mei­ne Verbindung zur Außenwelt.

Auf wel­che Themen und Motive hast Du Dich spezialisiert?

Ich habe als Still Life-​Fotograf für kom­mer­zi­el­le Kunden begon­nen. Viele Kleidungsfotos und Katalogarbeiten und ab und zu Unternehmensberichte. Die letz­ten zehn Jahre habe ich aber aus­schließ­lich Lifestyle foto­gra­fiert, jedes Thema, was von den Kunden und Kollektionen ver­langt wird, die wir beliefern.

Wie wür­dest Du dei­nen foto­gra­fi­schen Stil beschreiben?

Das ist lus­tig, ich hät­te nie gedacht, dass ich einen Stil habe und mir mehr als Generalist gese­hen. Aber vie­le Leute sagen mir, dass sie ein Anderson Ross-​Foto [Name sei­ner Fotoproduktion; Anm. R.K.] leicht erken­nen kön­nen, also muss es da etwas geben. Ich wür­de sagen, ich fan­ge Momente und Gefühle im ech­ten Leben on loca­ti­on ein, unter­stützt durch Beleuchtung, die das natür­li­che Licht akzentuiert.

Foto von Jonathan Ross

Wie vie­le Fotos pro­du­zierst Du durch­schnitt­lich pro Monat?

Das hat sich im Laufe der Jahre geän­dert. Wir machen momen­tan viel Recherche, des­halb ist unse­re Produktion die­ses Jahr stark gesun­ken. Wir inves­tie­ren viel Zeit, neue Qualität zu kre­ieren und zu beleuch­ten, die über dem liegt, was wir letz­tes Jahr pro­du­ziert haben. Letztes Jahr haben wir 10.000 Bilder pro­du­ziert, die­ses Jahr wer­den es eher 2.000–3.000 Fotos sein. Mehr Qualität, weni­ger Quantität. Auch das Dazukommen von Bewegtbildern hat die Produktion von Fotos reduziert.

Wie vie­le Bilder habt ihr bis­her produziert?

Wir haben momen­tan über 15.000 Bilder online, aber wir haben einen Rückstau von ca. 2.000 Bildern, die noch hoch­ge­la­den wer­den müs­sen und ca. 100 Video-Clips.

Wie ver­teilt sich das auf Macro RM, Macro RF und Microstock?

Wir haben ca. 1.000 RM-​Bilder und die­ser Bereich wird auch das kom­men­de Jahr wei­ter wach­sen. Im Bereich Macro-​RF haben wir ca. 10.000 Fotos.  Microstock-​Fotos haben wir ca. 3.500, aber zur Zeit sind nur 2.000 online, den Rest laden wir in den nächs­ten Monaten hoch. Wir pla­nen, ca. 2.000 wei­te­re Bilder die­ses Jahr zu foto­gra­fie­ren, aber ich zäh­le das fast gar nicht mit, da wir so vie­le Microstock-​Bilder an einem Tag pro­du­zie­ren kön­nen. Bisher hat­te ich nur zehn Shootingtage für Microstock-​Bilder. Aber die­ser Business-​Bereich ändert sich fast wöchent­lich, also sieht mei­ne Antwort in drei Monaten viel­leicht ganz anders aus.

Wie ent­schei­dest Du, wel­che Bilder Du als Macro-​RM, Macro-​RF oder als Microstock anbietest?

RM-​Fotos sind meist ein­zig­ar­ti­ge Bilder mit einem star­ken Konzept und von unse­ren bes­ten Leuten pro­du­ziert. So ein Bild hat viel­leicht kei­ne Massenwirkung, aber der rich­ti­ge Käufer wird bereit sein, viel Geld für die­se Qualität zu bezahlen.

Macro-​RF-​Bilder sind unse­re mehr gene­ra­li­sier­ten Arbeiten im Studio oder „on loca­ti­on“, die brei­te­re Käuferschichten anspricht als unse­re RM-​Bilder. Der Schwerpunkt wird da auf Beleuchtung und Auswahl der Orte gelegt. Manchmal ist es schwer, sich zu ent­schei­den, wel­ches Bild wohin soll­te, aber unse­re Editoren hel­fen bei der Auswahl.

Microstock-​Bilder sind unse­re Fotos mit der größt­mög­li­chen Reichweite. Wir ver­su­chen, da Bilder zu pro­du­zie­ren, die eine gro­ße Vielzahl von Käufern anspricht, um sicher­zu­stel­len, dass es genug Verkäufe gibt, um die Investitionen so pro­fi­ta­bel wie in ande­ren Märkten zu machen. Außerdem pro­du­zie­ren wir bei Microstock-​Shootings viel mehr Bilder am Tag als für Macro-​Agenturen. Der Unterschied liegt bei ca. 50–60 Macro-​RF-​Fotos am Tag zu 200–250 Microstock-​Fotos pro Tag.

Kannst Du noch zäh­len, wie vie­le Bilder zu bis­her ver­kauft hast?

Ich hab kei­ne Ahnung. Ich kann Dir sagen, wie viel Umsatz jedes ein­zel­ne Foto in sei­nem Leben gemacht und mit etwas Recherche wür­de ich auch die Gesamtverkäufe her­aus­fin­den. Aber wir kon­zen­trie­ren uns mehr auf den mone­tä­ren Aspekt bei der Verkaufsanalyse. Wir ver­fol­gen alle Verkäufe unse­rer Bilder mit­tels einer Software, die spe­zi­ell für Stockfoto-​Verkäufe ent­wi­ckelt wur­de. Das hilft uns, zu erken­nen, was sich ver­kauft und was nicht, Saison-​Trends zu sehen und wann man dafür Bilder hoch­la­den sollte.

Welches Foto hat Dir bis­her den meis­ten Umsatz gebracht? Und wor­an könn­te das liegen?

Das ist ein Foto von einem Jungen, der an einem son­ni­gen Tag in einem Reifen schau­kelt. Im Bild liegt ein Gefühl von Freiheit und Glück, das glaub­haft ist, aber auch vage genug, damit es für vie­le Käufer attrak­tiv wird. Es ist aber auch eins unse­rer ältes­ten Bilder, des­halb hat­te es am meis­ten Zeit, Umsätze zu erzie­len. Ich glau­be, bis­her waren es ca. $15.000 und es ist ein Macro-​RF-​Foto, was immer noch über Getty Images ver­kauft wird.

Foto von Jonathan Ross

Welcher Teil des Fotografie-​Geschäfts macht Dir am meis­ten Spaß?

Es ist ein Unentschieden zwi­schen dem Shooting selbst und der ers­ten Auswahl. Ich lie­be es zu moti­vie­ren und am Set kann ich das gut machen. Die Interaktion mit den Models macht einen gro­ßen Unterschied aus, wie gut sich die Bilder ver­kau­fen wer­den. Ich mag auch die ers­te Auswahl, wenn ich die Ergebnisse mei­ner Arbeit am Computer sehen kann. Ich erwi­sche mich dabei, dass ich anfan­ge zu grin­sen, wenn ich ein beson­ders gelun­ge­nes Bild fin­de. Es ist eine Chance, sich an den Tag zu erin­nern und auch zu ler­nen, was nicht so gut lief, damit ich es beim nächs­ten Mal bes­ser machen kann.

Wie sieht Dein Arbeitsablauf aus?

Mein Produzent sucht die Locations, an denen wir foto­gra­fie­ren wol­len. Sobald wir die Erlaubnis für eine Location bekom­men, schau­en wir in den Bildagenturen nach Löchern in den Bildkollektionen, die unse­rer Meinung nach nicht gut genug abge­deckt sind und fan­gen von da an. Danach schau­en wir uns noch mal die Location an, ren­nen mit unse­ren Kameras her­um, um das vor­han­de­ne Licht zu tes­ten, sowohl von der Stärke als auch der Farbtemperatur und suchen nach span­nen­den Winkeln. Dann cas­ten wir die pas­sen­den Models für die Location. Wenn es ein Klassenraum ist, suchen wir Lehrer- und Schülertypen. Bei Krankenhäusern nach star­ken, ver­trau­ens­vol­len Gesichtern, die ein Gefühl von Sicherheit aus­strah­len und so wei­ter. Danach schaue ich mir die Location-​Fotos an und die Konzepte, wie wie als Lücken bei den Bildagenturen iden­ti­fi­ziert haben und ent­schei­den, wel­che Models am bes­ten für wel­che Rollen und und schrei­ben eine Shooting-Liste.

Das Vorbereiten der Shootingliste dau­ert lan­ge, dann wir wol­len nur die Models am Set haben, die wir dann auch benö­ti­gen. Ich has­se es, Models nur für das Rumstehen zu bezah­len. Außerdem wol­len wir den Lichtaufbau so nut­zen, dass wir unser Licht so wenig wie mög­lich umräu­men müs­sen. Diese Dinge ver­schwen­den Zeit und Geld. Je bes­ser wir vor­be­rei­tet sind, des­to weni­ger geht schief und wir stei­gern unse­re Produktivität. Auf der Shootingliste ist auch die Zeit ver­merkt, die für jeden Bereich zur Verfügung steht und wel­che Kleidung und Requisiten für die­se Szenen benö­tigt wer­den. Das befreit mich von dem gan­zen tech­ni­schen Ballast und ich kann mich auf Ideen und die Models konzentrieren.

Was ist Dein Lieblings-Lichtaufbau?

Ich arbei­te mit allen Arten von Licht, aber ich arbei­te am schnells­ten mit Blitzen. Ich habe über 35 Lichtquellen in mei­ner Sammlung, des­halb ist es eine Frage der Location, was ich davon mit­neh­me. Ich lie­be mei­nen 2m-​Profoto-​Schirm, der eine wun­der­ba­re Lichtqualität hat, aber ich mag das Licht von so vie­len Geräten, dass es schwer zu sagen ist. Ich mag auch die Kino-​Leuchten wegen ihres wei­chen Lichts und weil ich sie mit den Augen statt mit der Kamera kon­trol­lie­ren kann.

So, mor­gen geht es an die­ser Stelle wei­ter. Dann kom­men die span­nen­den Fragen zu Bildagenturen, Microstock, der Arbeit mit Models und der Zukunft des Bildermarkts.

Frag den Fotograf: Dürfen Models häßlich und dreckig sein?

Diesmal möch­te ich kei­ne Email beant­wor­ten, son­dern eine Frage. Diese wur­de mir auf der Foto-​Webseite fokussiert.com in die­sem Kommentar zu einem Artikel von mir gestellt.

Beim Schminken

Skip schreibt da:

[…] Zum Thema, an das ich mich wie­der erinnerte:
Ich bin über Dein Blog über­haupt mit Stockfotos in Berührung gekom­men. Erst da wur­de mir als (Print-)Medienlaien über­haupt klar: Wo sol­len denn sonst die Fotos in der Apothekenrundschau und „fami­lie & Co.“ herkommen.

Und genau so sehen die Fotos in den Datenbanken auch immer aus: Leicht zu kon­su­mie­ren, kei­ne Ecke, kei­ne Kontraste, kei­ne inhalt­li­che Tiefe, Beiwerk zum Artikel. Dabei tech­nisch natür­lich hoch pro­fes­sio­nell produziert.

Das fällt vor allem bei Deinen Familienfotos auf, wo die Kinder immer sau­ber sind und die Haare ordent­lich gekämmt. Und wenn Dreck, dann ist der sau­ber auf­ge­tra­gen. Jeder Fleck per­fekt. 😉 Da wer­den Menschen im Raum bei einer Tätigkeit abgebildet.

Die Frage ist: Muss das so sein? Verdient man mit „unor­dent­li­che­ren“ Settings und Modellen kein Geld?“

Die Antwort in Kürze lau­tet: Nein, das muss nicht so sein.

Aber die Antwort auf die zwei­te Frage lau­tet: Ja, damit ver­dient man kein, bzw. zu wenig Geld.

Doch jetzt hole ich mal aus: Es steht jedem Fotografen frei, sich „häß­li­che Models“ zu suchen, die­se zu foto­gra­fie­ren und den Bildagenturen anzu­bie­ten. Je nach Bildagentur wer­den die­se ent­we­der schon von der Bildredaktion abge­lehnt oder aber auch ange­nom­men. Abgelehnt wer­den sie meist des­halb, weil die Bildagenturen wis­sen, dass deren Kunden die Bilder aller Wahrscheinlichkeit nach kaum kau­fen wür­den. Warum soll­ten sie auch? So lan­ge genug Fotos von schö­nen Menschen ange­bo­ten wer­den, wird die Werbung oder der Artikel lie­ber damit illustriert.

Mittlerweile ist dank der Attraktivitätsforschung erwie­sen, dass es Kriterien gibt, die alle Menschen oder min­des­tens Menschen aus dem glei­chen Kulturkreis als „schön“ anse­hen. Ich gebe ehr­lich zu, dass ich mir lie­ber schö­ne Menschen als häß­li­che Menschen anschaue. Außerdem gehe ich davon aus, dass es den meis­ten eben­so geht. Deswegen wird lie­ber ein Foto mit einem schö­nen statt mit einem häß­li­chen Menschen gekauft.

Das Ganze lässt sich auch spie­le­risch bewei­sen. Die Bildagentur Dreamstime hat vor kur­zem ein Rate-​Spiel names „Stock Rank“ ver­öf­fent­licht, wo dem Spieler immer zwei ver­schie­de­ne Fotos gezeigt wer­den. Er muss dann raten, wel­ches sich schon ver­kauft hat und wel­ches nicht. Sind auf bei­den Bildern Menschen zu sehen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich eher das mit den schö­ne­ren Menschen schon ver­kauft hat.

Dass sich schö­ne Menschen gut ver­kau­fen, sehe ich an mei­nen Umsatzzahlen. Mit über 100 Models habe ich bis­her zusam­men­ge­ar­bei­tet, ca. zur Hälfte männ­lich und weib­lich. Bei den weib­li­chen Models ver­kau­fen sich die­se bes­ser, die ich auch als „schö­ner“ emp­fin­den wür­de. Bei den männ­li­chen Models fällt mir so ein Urteil schwe­rer, da Männer per se für mich weni­ger attrak­tiv sind. Hier grei­fe ich des­halb ger­ne auf die Meinungen weib­li­cher Freunde zurück, um Männermodels auszusuchen.

Zwar heißt es von Bildagenturen immer wie­der: Wir suchen natür­li­che, „ech­te“ Menschen, kei­ne Top-​Models. Das heißt aber nicht, dass häß­li­che Typen will­kom­men wären. Die Models sol­len gut aus­se­hen, aber nicht so per­fekt schön sein, dass sich die Betrachter nicht mehr damit iden­ti­fi­zie­ren kön­nen oder wollen.

Es gibt aber eine Ausnahme: Fotos von sehr dicken Menschen, von Gesichtern mit vie­len, dicken Eiterpickeln, zer­narb­te Körper und so wei­ter wür­den sich bestimmt ver­kau­fen las­sen. Jedoch nur mit den pas­sen­den Suchbegriffen wie „dick“, „häß­lich“ oder „Pickel“. Aber fin­de mal ein Model, dass kei­ne Probleme damit hat, wenn Leute ihr ins Gesicht sagen: „Darf ich zu Deinem Foto schrei­ben, dass es häß­lich aussieht?“

Selbst wenn das Model ein­wil­ligt, bleibt das Problem der gesell­schaft­li­chen Akzeptanz. Wie ich hier in einem lan­gen Artikel gezeigt habe, ver­bie­ten alle Bildagenturen die Nutzungen von Fotos in einem dif­fa­mie­ren­den oder belei­di­gen­den Kontext. Wenn dann das Foto vom Pickelgesicht für eine Akne-​Werbung genutzt wür­de, könn­te das Model vor Gericht gute Chancen auf Schadensersatz wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten haben.

Manchmal sagen mir Leute: „Diese gan­zen Schönheiten auf den Titeln von TV-​Zeitschriften, das ist doch nicht mehr schön, das will ich nicht sehen“. Aber damit mei­nen sie nie, dass sie häß­li­che Models sehen wol­len. Sie erken­nen nur, dass die Retusche so über­trie­ben ist, dass die Schönheit Illusion blei­ben muss, obwohl sie doch lie­ber an ech­te, „natür­li­che“ Schönheit glau­ben wol­len. Deswegen ist die Kunst bei der Retusche auch, die Models schö­ner zu machen, ohne den Betrachter erken­nen zu las­sen, was da ver­än­dert wurde.

Selbst Model-​Agenturen, die sich auf Models „abseits des Mainstream“ spe­zia­li­siert haben, um es mal dezent aus­zu­drü­cken, wie z.B. „Ugly Models“ in London oder „Autseider“ in Berlin, reden nie von häß­li­chen Models, son­dern immer von „inter­es­san­ten Gesichtern“, „Menschen mit Charaktern“ oder „Leuten mit Wiedererkennungswert“.

Wer ech­te Fotos sucht, muss bei den Nachrichten-​Agenturen schau­en. Da wer­den Fotografen ja hoch­kant gefeu­ert, wenn sie auch nur etwas Himmel retu­schie­ren. Autihenzitätist deren höchs­tes Gut, des­we­gen sind deren Bilder unbe­ar­bei­tet und die Menschen und Orte eben mit Kanten und Dreck.

Und was ist mit dem Dreck? Gegen Dreck haben Bildagenturen nichts, vor­aus­ge­setzt, er passt zum Bildkonzept. Ein Bauer oder Bauarbeiter darf auch mal ein dre­cki­ges Hemd tra­gen und Schmutz unter den Fingernägeln haben. Aber dre­cki­ge Kinder unter dem Weihnachtsbaum? Wäre das glaub­wür­dig? Okay, viel­leicht, aber anders gefragt: Hätten sich die Eltern das gewünscht?

Eben habe ich über­legt, ob ich die­sen Blog-​Artikel nicht nut­zen soll­te, um einen Aufruf zu star­ten. Ich könn­te fra­gen, wer meint, rich­tig häß­lich zu sein und für Stockfotos modeln möch­te. Irgendwie befürch­te ich jedoch, dass ich dann Models absa­gen müss­te, wenn sie für den Suchbegriff „häß­lich“ zu „schön“ sind. Was für eine Welt.

Okay, was meint ihr? Verdient man mit „unor­dent­li­chen“ Models kein Geld? Warum kau­fen Designer so sel­ten Fotos von häß­li­chen Models?

Kreativität in der Fotografie

Vor eini­gen Monaten las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel mit der Überschrift „Kreativität ist har­te Arbeit“.

Darin fand ich am Ende die­sen Satz, der mir einleuchtete:
„Fleiß, fach­li­che Expertise, Neugier und Offenheit – das sind die wich­tigs­ten Voraussetzungen für krea­ti­ves Handeln“

Blick durch Daumenloch
Ich fin­de den Satz gut, da er deut­lich macht, dass Kreativität nicht „ange­bo­ren“ ist, son­dern das Resultat har­ter Arbeit und ver­schie­de­ner Faktoren. Diese Faktoren spie­len auch in der Fotografie eine Rolle.

Fleiß - Nur wer stän­dig aus­pro­biert, expe­ri­men­tiert und vor allem foto­gra­fiert, wird irgend­wann sei­ne Kamera so im Schlaf beherr­schen, dass bei der zün­de­nen Inspiration sofort reagiert wer­den kann – ohne Blick in die Anleitung oder den Ärger, war­um das schö­ne Foto auf dem Display gelun­gen wirk­te, aber auf dem Computer-​Monitor nicht mehr.

Fachliche Expertise – die bekommt man auch nur durch Fleiß. Durch das Lesen vie­ler Fotobücher, die Vergleiche von Fotografien gro­ßer Meister, die Analyse gelun­ge­ner Bilder und mehr.

Neugier – Das ist die Kraft, die einen Fotografen dazu ver­lei­tet, auch mal um ein Motiv her­um­zu­ge­hen, um zu sehen, ob die ande­re Seite nicht foto­ge­ner wäre.

Offenheit – „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist kein Satz, der zu mehr Kreativität füh­ren wür­de. Einfach mal etwas anders machen, zu schau­en, was pas­siert, kann eben­falls inspi­rie­rend sein.

Alle der vier Faktoren kön­nen trai­niert und gepflegt wer­den. Mal den inne­ren Schweinehund über­win­den. Nicht auto­ma­tisch „nein“, son­dern auch mal „ja“ sagen.

Ausprobieren.

Kreativ sein.

Schönen krea­ti­ven Sonntag noch.

10 beeindruckende Fotografen

Die wenigs­ten Fotografen wer­den mit ihrer Bildsprache und ihrem Stil gebo­ren. Meist gibt es für jeden Fotografen vie­le ande­re, die ihn beein­druckt, inspi­riert und geprägt haben. Auch ich habe eini­ge Fotografen, deren Werke mich immer wie­der stau­nen oder schmun­zeln las­sen, die mich nei­disch machen oder denen ich in mei­ner Anfangszeit ver­sucht habe, nach­zu­ei­fern. Deshalb zie­he ich mal den Vorhang bei­sei­te und las­se Euch teil­ha­ben an mei­ner – nicht nach Rangordnung sor­tier­ten – Liste von 10 Fotografen und Fotografinnen, die mich beein­druckt haben. Vielleicht ent­deckt ihr ja auch einen neu­en Liebling.

1. Friedrich Seidenstücker (Street Photography)
Ich besit­ze zwar vie­le Bücher über Fotografie, auch eini­ge Sammel-​Bildbände und vie­le Kataloge von Bildagenturen, aber Bildbände von ein­zel­nen Fotografen habe ich wenig. Einer davon ist Friedrich Seidenstücker, ein deut­scher Fotograf, der vor allem von 1920 bis 1960 in Berlin foto­gra­fiert hat. Entdeckt habe ich sei­ne Fotos 2006 wäh­rend einer Fotoausstellung par­al­lel zur Photokina in Köln. Die gro­ße Gabe von Seidenstücker ist es, sehr humor­vol­le Schnappschüsse ein­zu­fan­gen. Auch im Berliner Zoo hat er sich bevor­zugt auf­ge­hal­ten und die komi­schen Interaktionen von Menschen und Tieren fest­ge­hal­ten. Seidenstücker hat übri­gens inden 1920er Jahren auch eine Serie von Frauen gemacht, die über Pfützen sprin­gen und damit die­ses Foto von Henri Cartier-​Bresson im Jahr 1932 vor­weg­ge­nom­men. Leider sind die meis­ten Bildbände von ihm nur anti­qua­risch erhält­lich, so auch das Buch „Der humor­vol­le Blick. Fotografien 1923 – 1957″.

friedrich-seidenstuecker-01

2. Arthur Leipzig (Street Photography)
Die Bilder von Arthur Leipzig fie­len mir vor ca. einem hal­ben Jahr in der Zeitschrift „Schwarz/​Weiss-​Fotografie“ auf. Leipzig ist ein us-​amerikanischer Fotograf, der durch sei­ne Straßenszenen von New York City in den 1940er und 1950er Jahren bekannt wur­de. Vor allem sei­ne Bildstrecke über die Renovierung der Brooklyn Bridge ist atem­be­rau­bend. Einen Einblick in sei­ne Fotos gibt die­se Bildserie. Soeben ist auch ein Bildband im Prestel-​Verlag von ihm erschienen.

Brooklyn Bridge, 1946 / © Arthur Leipzig/Courtesy Howard Greenberg Gallery, New York

3. Sebastian Niehoff (Werbefotografie)
Wer auf Weitwinkelfotos steht, wird die­sen Fotograf lie­ben: Mit sei­nen extre­men Blickwinkeln auf flip­pi­ge Models hat der jun­ge Fotograf aus Wanne-​Eickel schon meh­re­re Preise gewon­nen und renom­mier­te Firmen über­zeugt. Wenn es ein Wort gibt, was sei­ne Fotos am bes­ten beschreibt, ist es: Fun!

Sebastian Niehoff - Sandschlacht

4. Radka Linkova (Stockfotografie)
Früher nann­te ich sie „mein heim­li­ches Vorbild“. Mittlerweile weiß sie hof­fent­lich, dass ich ihre Fotos groß­ar­tig fin­de und schon von wei­tem erken­ne. Radka ist eine Fotografin aus Prag, die vor allem People-​Aufnahmen macht. Ich glau­be zwar nicht, dass es eine „weib­li­che Bildsprache“ gibt, aber trotz­dem wir­ken ihre Bilder auf mich immer sehr roman­tisch und verspielt.

Radka Linkova - 1511

5. Matthew Rolston (Celebrity-​Fotografie)
Dieser Fotograf aus Los Angeles hat mehr Prominente vor der Kamera gehabt als ich je in mei­nem Leben von wei­tem sehen wer­de. Besonders im Gedächtnis geblie­ben ist mir sein Foto, auf dem sich Jack Nicholson mit sei­nem irren „Shining“-Blick Blut von sei­nen Fingern leckt. Aber auch das Video zum Song „Candyman“ von Christina Aguilera, wel­ches er im Pin-​Up-​Stil gedreht ist, sieht cool aus.  Es gibt auch einen sehr gro­ßen, aber lei­der auch teu­ren Bildband von ihm.

Matthew Rolston - Jack Nicholson

6. Slavica Ziener (Musikfotografie)
Die zwei­te und lei­der schon letz­te Frau in die­ser Liste ist die Münchnerin Slavica Ziener. Aufmerksam wur­de ich auf sie durch das Album „Zurück zum Glück“ von den Toten Hosen. Die Musik war – na ja -, aber die Bandfotos im Booklet waren kna­ckig, wild und rebel­lisch, viel bes­ser als der Sound. Später habe ich fest­ge­stellt, dass sie sehr vie­le Fotos von der Band gemacht hat und ich fin­de, dass die­se im Vergleich zu ihren ande­ren Fotos, wie z.b. von den Sportfreunden Stiller oder DJ Hell, am bes­ten sind. Aber sie kann auch anders und hat z.B. ganz brav das Portrait von der Chefredakteurin Petra Gessulat im Editorial der Cosmopolitan fotografiert.

slavica-ziener-toten-hosen-01
7. Alexander Kulla (Stockfotografie)
Alexander ist einer mei­ner Foto-​Kollegen und arbei­tet haupt­be­ruf­lich als Gesundsheits- und Krankenpfleger. Das erklärt auch die Serie, durch die ich auf ihn auf­merk­sam gewor­den bin. Er hat eine umfang­rei­che, tech­nisch gut gemach­te Serie von Fotomontagen, die ihn win­zig in Krankenhaus-​Uniform bei der Arbeit mit rie­si­gen Medikamenten zei­gen. So nach dem Motto „Liebling, ich habe den Arzt geschrumpft“… Diese Fotos sind wit­zig, viel schö­ner ist aber sei­ne Serie von Blumenfotos, die alle im glei­chen Stil bear­bei­tet wur­den und mitt­ler­wei­le über 30 Blumensorten umfasst.

Aexander Kulla - Calla

8. Jason Lee (Kinderfotografie)
Kommen wir zu den unver­meid­lich süßen Geschöpfen: Kleinen Kindern. Der Fotograf Jason Lee aus San Francisco hat zwei davon. Wenn er nicht gera­de Hochzeiten oder ande­re Kinder fotografiert,
müs­sen sei­ne bei­den Töchter Kristin und Kayla als Models mit­ma­chen. Wenn sie groß sind, wer­den sie wohl die bei­den Geschwister mit den cools­ten Baby- und Kinderfotos der Welt sein. Die Bilder von Jason Lee leben von einem immer stim­mi­gen Konzept und per­fekt umge­setz­ten Fotomontagen. Die Geschwister haben auch einen eige­nen Blog und wer dort län­ger als eine Minute rum­klickt, wird unwei­ger­lich grin­sen müssen.

Foto by Jason Lee "Sisters"

9. Julian Stratenschulte (Fotojournalismus)
Die meis­ten jour­na­lis­ti­schen Fotos lang­wei­len mich, aber die Fotos von Julian Stratenschulte begeis­tern mich immer wie­der durch ihre unge­wöhn­li­chen Perspektiven. Das sehen auch ande­re so und des­halb gewann er auch 2007 unter ande­rem den Preis  „dpa – Picture of the Year“. Und da war er erst 20 Jahre jung! In dem Alter habe ich noch für ein loka­les Käseblatt 2–3 Fotos im Jahr gemacht, aber er lie­fert da an dpa und AP. Respekt! Das foto­gra­fi­sche Auge muss wohl in der Familie lie­gen, denn auch sein Zwillingsbruder ist als Fotojournalist unter­wegs. Für jeden Fotojournalisten ist der Blog von Julian Stratenschulte ein Muss.

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10. Julian Röder (Fotojournalismus)
Kommen wir zum letz­ten Fotografen in der Liste. Das ers­te Mal habe ich die Fotos des Berliner Fotografen Julian Röder 2002 auf dem Titelbild des Wettbewerbsbuches des „Deutschen Jugendfotopreis“ gese­hen. Gewonnen hat er mit Bildern von Demonstrationen gegen den G8-​Gipfel 2001 in Genua. Zu der Zeit mach­te er sei­ne Ausbildung in der Fotografenagentur Ostkreuz, für die er heu­te wie­der arbei­tet. Soziale Themen sind sein Arbeitsgebiet. Die Demonstrationen las­sen ihn jedoch nicht los und er beglei­tet wei­ter­hin die Proteste gegen die G8-​Gipfel in Heiligendamm, Evian oder Hokkaido. Was ich an sei­nen Fotos toll fin­de, ist der per­sön­li­che Touch. Demonstranten wir­ken bei ihm nicht wie eine homo­ge­ne Masse, son­dern lie­be­voll por­trai­tiert er die Individuen, z.B. den ver­mumm­ten Kämpfer vom Schwarzen Block, der mit vie­len Pflastersteinen vor sei­nen Füßen ver­wirrt auf den Stadtplan schaut.

Julian Roeder - Genua

Jetzt bist Du dran:
Schreibe in Deinem Blog oder in den Kommentaren, wel­che Fotografen Dich beein­druckt haben und war­um. Vielleicht ent­de­cke ich so ja noch neue Lieblinge.

Rezension: „Andreas Feiningers große Fotolehre“ von Andreas Feininger

Schade, dass die­ser Mann tot ist. Knapp 20 Jahre arbei­te­te der gebo­re­ne Franzose Andreas Feininger in den USA für das legen­dä­re Life-Magazin. Dank Google kön­nen sei­ne Fotos für das Heft auch online gefun­den wer­den. Neben zahl­rei­chen Bildbänden ver­öf­fent­lich­te Feininger auch zahl­rei­che Sachbücher über die Fotografie, von denen sich vie­le zu Standardwerken ent­wi­ckel­ten. Eines die­ser Standardwerke ist „Andreas Feiningers gro­ße Fotolehre“ (ISBN 3–453-17975–7).

Andreas Feiningers grosse Fotolehre

Das Buch erschien zuerst 1978 und wird mitt­ler­wei­le seit 2001 in der 7. Auflage ver­kauft. Von außen sieht es unschein­bar aus, aber das Buch hat es in sich. Auf fast 500 Seiten (mit klei­ner Schrift) legt Feininger die Grundlagen der Fotografie dar. Der ers­te Teil beschäf­tigt sich mit der Ausrüstung, zum Beispiel, wie eine Kamera auf­ge­baut ist oder wie bestimm­te Objektive funk­tio­nie­ren. Dabei geht es weni­ger um kon­kre­te Modelle, son­dern um die phy­si­ka­li­schen und tech­ni­schen Grundlagen, die jeder Fotos unter­schei­den kön­nen soll­te. Der nächs­te Teil erklärt, wie ein Foto tech­nisch kor­rekt belich­tet wird. Nicht die Komposition wird erklärt, son­dern wann ein Foto scharf und weder über- noch unter­be­lich­tet wird. Der drit­te Teil mit knapp 100 Seiten dreht sich nur um die Film- und Bildentwicklung in der Dunkelkammer. Im letz­ten sehr aus­führ­li­chen Teil geht es um die Bildgestaltung, um die psy­cho­lo­gi­schen Elemente vor einer Aufnahme und Aspekte wie Licht, Farbe, Kontrast, Tiefe und Bewegung, die berück­sich­tigt wer­den sollten.

Der Grund, war­um Feiningers Bücher zu Klassikern wur­den, wird beim Lesen schnell klar. Der Mann hat eine Meinung, die er auch begrün­den kann, er wei­gert sich, ins Detail zu gehen, bevor nicht die not­wen­digs­ten Basisinformationen geklärt sind, erklärt zu jedem Vorteil auch des­sen Nachteile und er besteht dar­auf, dass die Technik immer nur Mittel zum Zweck blei­ben wird. Das wich­tigs­te eines guten Fotografen ist immer noch sei­ne Sichtweise, sein Gefühl und sein Sachverstand beim Fotografieren.

Das Ganze packt er auch noch in net­te, zitier­fä­hi­ge Sätze wie:

Das Bild eines schö­nen Mädchens ist nicht unbe­dingt ein schö­nes Bild“ (S. 271)

oder

Im Grund genom­men ist eine Kamera eben­so­we­nig schöp­fe­risch wie ein Klumpen Ton. Aber ein Tonklumpen wie auch eine Kamera kann in der Hand des Künstlers zu einem Mittel schöp­fe­ri­scher Offenbarung wer­den“ (S. 437).

Leider ist Feininger schon 1999 in New York gestor­ben und kann lei­der nicht mehr den Staub sei­nes ver­al­te­ten Buches abpus­ten. Das Kapitel über die Dunkelkammer ist für digi­tal arbei­ten­de Fotografen sinn­los gewor­den, eben­so lan­ge Abschnitte über die Unterschiede ver­schie­de­ner Filme oder die Verwendung von Kolbenblitzen. Mindestens die Hälfte des Buches ist für moder­ne Profis obso­let. Auch der Fototeil mit Beispielbildern sieht deut­lich nach den 1970er Jahren aus, erfüllt immer­hin trotz­dem den Demonstrationszweck. Dafür ist die ande­re Häfte wei­ter­hin zeit­los gül­tig und durch das aus­führ­li­che Stichwortverzeichnis auch als Nachschlagewerk zu gebrau­chen. Dazu moti­viert es, sich statt mit der Kamera wie­der mehr mit den Motiven zu beschäf­ti­gen. Könnte Feininger noch etwas sagen, wür­de mich sei­ne Meinung zu Digitalkameras, Bildsensoren und Photoshop sehr interessieren.

Für knap­pe 13 Euro ist das Taschenbuch auch bei viel­leicht nur 200 noch aktu­el­len Seiten lohnend.

Bisherige Rezensionen:
Rezension: “Porträts gekonnt retu­schie­ren mit Photoshop” von Matthias Matthai
Food Styling For Photographers” von Linda Bellingham und Jean Ann Bybee
Microstock Photography. How To Make Money From Your Digital Images” von Douglas Freer
Wie sie mit eige­nen Fotos Geld ver­die­nen” von Helma Spona
Fotos sehen, ver­ste­hen, gestal­ten” von Martin Schuster
Mit eige­nen Fotos Geld ver­die­nen” von Lee Frost