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MORALstock – Die neue Bildagentur mit ethischen Prinzipien

Kurz vor Ostern erreich­te mich eine Email einer neu­en Bildagentur. Das an sich ist nichts Neues, denn genau­so wie bestehen­de Bildagenturen rei­hen­wei­se ihre Pforten schlie­ßen, schie­ßen neue Agenturen ins Feld. Zuletzt gab es gro­ßen Medienrummel um Stocksy, der neu­en Agentur des iStockphoto-​Gründes Bruce Livingstone.


Diese neue Agentur könn­te es jedoch schaf­fen, die­sen Rummel noch zu über­tö­nen. MORALstock nennt sich die neue Agentur mit Sitz in Boston, Massachusetts und sie ver­spricht nichts ande­res als „100% ethisch“ zu sein.

Was bedeu­tet das im Klartext?

Ich über­set­ze ein­fach mal aus der Mail des Agenturgründers Johann Wesley:

[…] MORALstock hat sich zur Aufgabe gemacht, den Bildern ihren Wert wie­der­zu­ge­ben. Nicht nur finan­zi­ell, son­dern auch mora­lisch und spi­ri­tu­ell, kurz: 100% ethisch. Das bedeu­tet, dass bei uns kei­ne anony­men Models für Produkte oder Parteien wer­ben müs­sen, mit denen sie sich nicht iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Andersrum besteht für Bildkäufer kei­ne Gefahr, sich bei der Wahl eines Motivs zu bla­mie­ren, weil das gezeig­te Model nicht mit den mora­li­schen Standards der Firma mit­hal­ten kann. […]“

Wesley führt eini­ge rea­le Beispiele an wie Vegetarier, die ihr Gesicht auf einer Würstchenpackung wie­der­fan­den, Erotikstars, die neben­bei als Fotomodell arbei­ten und so plötz­lich auf dem Cover eines Business-​Magazins lan­den oder Griechen, die für tür­ki­schen Joghurt war­ben. Solche Fälle gab es (nicht nur) im Microstock-​Bereich immer wie­der. Das kann ent­we­der für die Models oder die Bildnutzer pein­lich bis ruf­schä­di­gend sein und sogar Schadensersatzklagen nach sich ziehen.

Wie funk­tio­niert das?

Kernstück ist ein aus­führ­li­cher Fragebogen zu jedem Model-​Vertrag, der bei den Personenbildern mit hoch­ge­la­den wer­den muss. Neben den übli­chen Angaben wie Alter, Land und Geschlecht wer­den auch, teil­wei­se frei­wil­lig, Angaben wie Bildungsabschluss, Ethnie, sexu­el­le Orientierung, Ernährungsgewohnheiten und eini­ges mehr abge­fragt. Diese Angaben sind jedoch nicht öffent­lich zu sehen. Kunden, die ganz gezielt bestimm­te Model-​Typen (zum Beispiel nur „Raucher aus den USA“ oder „les­bi­sche asia­ti­sche Vegetarierinnen“) suchen, müs­sen für die Anzeige der Suchergebnisse ein­ma­lig 10 US-​Dollar zah­len und bei der Nutzung des Bildes noch mal einen Aufschlag von 50% zum nor­ma­len Preis. Das nennt sich dann „moral search“.

Auch für ande­re Motive wie Landschaftsaufnahmen wer­den mehr Details als üblich abge­fragt, wie genau­er Aufnahmeort, Aufnahmedatum und so wei­ter, um geo­gra­fisch kor­rek­te Angaben machen zu kön­nen. GPS-​Daten wer­den aus­ge­le­sen, wenn sie in den Metadaten vor­han­den sind. Also nix mehr mit Fotos von Karibikstränden in den Reisekatalogen für die Spanienreise.

Was ist für die Fotografen drin?

Das „100% ethisch“ bezieht sich nicht nur auf die Models, son­dern soll auch den Fotografen zugu­te kom­men. Es wer­den aus­schließ­lich Rights Managed-​Lizenzen (RM) ver­kauft, um jedem Bildkunden auf bis­he­ri­ge – und even­tu­ell kon­flikt­träch­ti­ge – Verwendungen hin­wei­sen zu kön­nen. Das setzt logi­scher­wei­se exklu­si­ve Fotos vor­aus, für wel­che die Fotografen 65% des Verkaufspreises erhal­ten sol­len. Der Verkaufspreis rich­tet sich, wie bei RM-​Lizenzen üblich, nach Dauer der Verwendung, Auflagenhöhe und eini­gen ande­ren Faktoren. Einige test­wei­se von mir abge­frag­te Verwendungen erga­ben Preise, wel­che sich leicht über­halb der MFM-​Honorare bewe­gen – ohne die Zuschläge für die „moral search“.

Wer darf kaufen?

Wenn sich eine Bildagentur die Wörter „Moral“ und „ethisch“ so groß auf die Fahnen schreibt, stellt sich mir gleich die Frage, ob sie auch jeden Kunden neh­men wür­den, von der Atomindustrie bis zu Waffenfirmen? Wesley mein­te in einer wei­te­ren Mail zu mir: Ja, aber. Kunden, die bestimm­te mora­li­sche Standards und ethi­sche Prinzipien nicht ein­hal­ten, müs­sen auf die Bilder einen Aufschlag von 100% zah­len und sowohl Models als auch Fotografen müs­sen mit der geplan­ten Verwendung ein­ver­stan­den sein. Besonders „mora­lisch inte­ge­re“ Firmen wie gemein­nüt­zi­ge Organisationen, Bildungseinrichtungen und so wei­ter hin­ge­gen bekom­men auto­ma­tisch einen Rabatt von 50%.

Angesichts die­ser Informationen scheint mir, dass da eine neue Bildagentur auf den Markt gekom­men ist, wel­che nicht die Massen bedie­nen will, son­dern sich eine klei­ne, aber genau defi­nier­te Nische gesucht hat. Die ver­mut­lich eher weni­gen Verkäufe wer­den durch deut­lich höhe­re Honorare und Fotografenanteile als im Microstockbereich (teil­wei­se sogar höher als im Macrostock-​Bereich) und das „gute Gewissen“ abgefangen.

Das Konzept klingt teil­wei­se so absurd, dass es wie­der funk­tio­nie­ren könn­te. Find‘ ich gut.

Was meint ihr dazu? Würdet ihr Bilder liefern?