Die deutsche Bildagentur Photocase hat kürzlich eine Kampagne für bezahlten Content gestartet unter dem Hashtag #NotForFree.
Auf der Kampagnen-Webseite der Bildagentur gibt es ca. 30 Bilder, welche Fotografinnen und Fotografen der Agentur zusammen mit dem oben genannten Hashtag zeigen.
Damit will die Bildagentur demonstrieren, dass auch kostenlose Fotos von Menschen erstellt werden, welche unter anderem ihre Miete und Lebensmittel bezahlen müssen, was nur mit Likes und Klicks leider noch nicht möglich ist.
So, toll die Grundidee ist, wirkt die Aktion doch sehr zahnlos. Außer paar netten Bildchen auf der Kampagnen-Webseite sind dort keine Inhalte, Argumente, Daten oder Fakten zu finden sind, um die Ziel-Aussage zu untermauern. Dabei gäbe es etliche Dinge über kostenlose Angebote zu berichten, wie ich es beispielsweise hier oder hier oder hier getan habe.
Dazu kommt, dass die Geschichte doppelt ironisch ist.
Zum einen sind die 30 Kampagnen-Fotos selbst kostenlos:
„Die Fotos in dieser Kollektion können kostenlos im Rahmen der #NotForFree-Kampagne verwendet werden, dürfen aber nicht verändert werden.“
Außerdem ist einer der beiden Geschäftsführer der Photocase Addicts GmbH, der Firma hinter der Bildagentur Photocase, Christopher Kraft. Dieser Herr ist unter anderem auch Geschäftsführer der Idenio GmbH, welche etliche dubiose Affiliate-Marketing-Webseiten zum Thema Stockfotos, Stockvideos und ähnlichen Themen betreibt.
Diese Webseite hat den gleichen Geschäftsführer wie Photocase
Herr Kraft ist auch Geschäftsführer der Stockphotos.com GmbH, welche die englischsprachige Webseite stockphotos.com betreibt. Auch da gibt es Artikel wie „32 Best Sites for Free Stock Photos – The Secret List!“.
Da scheint die rechte Hand nicht zu wissen, was die linke Hand macht. Oder Photocase hält Fotografinnen und Fotografen für etwas beschränkt?
Heute wurden nun die Details per Email an die Fotografen bekanntgegeben: Kai Schneider gibt die Geschäftsführung von Photocase an Dittmar Frohmann und Christopher Kraft ab. Dittmar Frohmann war vorher bei iStock, Fotolia, Getty Images, 500px und Eyeem beschäftigt. Nun soll er die Agentur auf Vordermann bringen. Wie und warum? Dittmar Frohmann erklärt es in der Mail:
„Ich heiße Dittmar Frohmann und habe schon viele Bildagenturen gesehen. Doch hier bei Photocase finde ich das erste Mal ein fast perfektes und vor allem sehr sympathisches Set-Up vor: prima Website, tolle Künstlerportfolios, eine starke Community! Manche Korrekturen sind zwar schon erforderlich, aber das meiste wird hinter den Kulissen stattfinden und deshalb kaum auffallen.
Eine Sache lässt sich allerdings weder verbergen noch schön schminken, daher nennen wir das Kind doch gleich beim Namen: Die finanzielle Schieflage der Firma macht drastische Maßnahmen erforderlich:
Schuldenschnitt Für alle bis heute nicht ausgezahlten Einnahmen bieten wir 50% an. Diese Maßnahme ist Grundvoraussetzung für das Überleben der Agentur. Ja, alle verlieren 50% der nicht abgerufenen Einnahmen, aber bedenkt bitte auch, wie viel Ihr bislang mit Photocase verdient habt und auch noch verdienen werdet. Das aktuelle Guthaben wird hier angezeigt.
Neues Beteiligungssystem Bislang zahlen wir bis zu 60 % Beteiligung aus. Das ist nicht nur weit über dem Industriedurchschnitt, sondern angesichts der hohen Kosten für den Betrieb einer Agentur sowie der geplanten Marketingausgaben leider auch nicht realistisch. Es wird stattdessen zukünftig ein erfolgsorientiertes Royalty-System geben, in dem neue Künstler bei 20 % anfangen und dann sukzessive über mehrere Stufen bis zu 50 % Umsatzbeteiligung erhalten.
Neues Ranking-System bei Photocase
Für Bestandskünstler werden die Aktivitäten der letzten beiden Jahre nach einem Punktesystem angerechnet, das auf den Verkäufen und der Anzahl der in den letzten zwölf Monaten angenommenen Bildern basiert. Das System beinhaltet neun Stufen, die jeweils einem höheren Anteil entsprechen. Das aktuelle Ranking und der Punktestand werden im Account angezeigt.
Neue Preise Gleichzeitig senken wir die Rabatte und erhöhen in einem Monat auch noch die Bildpreise – teilweise sogar drastisch, was dann wieder euch, den Urhebern zugute kommt. Niedrigere Beteiligung, aber an einem höheren Preis ergibt in vielen Konstellationen eine attraktivere Ausschüttung pro Bildverkauf.
Beispielrechnung 1
Alt
Neu
Standard-Größe
15€
25€
Künstleranteil in %
50%
30%
Künstleranteil in €
7,50 €
7,50 €
Beispielrechnung 2
Alt
Neu
Standard-Größe
15€
25€
Nutzung ohne Bildnachweis
50€
100€
Bildpreis
65€
125€
Künstleranteil in %
50%
30%
Künstleranteil in €
33€
38€
Das Zusammenspiel der neuen Bildpreise mit den neuen Royalties
Keine Frage, ich hätte gern als erstes eine positivere Botschaft überbracht. Der Schuldenschnitt ist drastisch und wird sicherlich vielen wehtun, doch er ist notwendig. Nur so lässt sich langfristig der Bestand der Agentur sichern. Die angekündigten Maßnahmen erfordern auch einer Änderung der Upload-Bedingungen. Wer nicht mehr dabei sein will, kann das per E‑Mail mitteilen. Alle Änderungen greifen in vier Wochen, also am 16. Juli 2019. Die Upload-Bedingungen, der Schuldenschnitt und die anderen Änderungen gelten als angenommen, wenn vom Widerspruch keinen Gebrauch gemacht wird. Ich bitte alle Künstler*innen, uns trotz oder vielleicht sogar wegen obiger Maßnahmen weiter die Treue zu halten.
Photocase bleibt grundsätzlich wie es ist und wird sich zukünftig sogar noch mehr in Richtung Qualität und Premium-Markt bewegen. Wir werden uns internationaler und auch professioneller aufstellen, aktiver in der Vermarktung und noch anspruchsvoller im Repertoire werden. Die Community wird wieder gestärkt, u.a. mit Forumsmoderator*innen, einer Event-Koordinator*in und mehr Teilhabe an der Bildauswahl.
Neue Selektionsstrategie Nicht zu früh freuen. Die Tür bleibt hart, aber wir werden weniger nach einzelnen Bildern im Heuhaufen suchen, sondern nach Künstler*innen, die dem Photocase-Gedanken und ‑Anspruch entsprechen. Unsere Vision ist es, ein plausibles und attraktives Gegenmodell zu all den beliebigen Stock-Sites zu werden, indem wir ohne Tamtam die gesellschaftliche Vielfalt und ein differenziertes Bild dieser Erde darstellen.“
Das ist eine selten ehrliche Mail mit viel Klartext, der trotz allem für Fotografen eines bedeutet: Weniger Umsatzbeteiligung (bei mir 33%-Kürzung von 45 auf 30%) und eine Halbierung der nicht abgerufenen Einnahmen. Ob diese Maßnahmen, kombiniert mit höheren Bildpreisen den Umsatz der Fotografen und der Agentur sichern werden, bleibt abzuwarten. Ähnliches haben in der Vergangenheit auch Alamy, Pond5, 123rf, Imagebroker und Clipcanvas versucht.