In den letzten beiden Wochen war es ziemlich ruhig bei mir im Blog, was daran lag, dass ich viel im Hintergrund recherchiert habe.
Auslöser war die Boykott-Aktion gegen den Dollar Photo Club (DPC) von Fotolia, welchen ich schon im März hier im Blog kurz vorgestellt hatte. Damals hatten das Preismodell und die Ausgestaltung nur einige Fotografen gestört, aber konkrete Aktionen wurden nicht unternommen.
Am 25. April brach plötzlich jedoch ein großer Sturm der Entrüstung los, nachdem am gleichen Tag dieses Interview in Russland mit Fotolia-Gründer Oleg Tscheltzoff erschien. Im größten russischem Microstock-Forum microstock.ru begannen Leute, aus Protest einige ihrer Dateien zu löschen und das in diesem Thread bekanntzugeben.
Am gleichen Tag wurde die Webseite boycottfotolia.org von einer anonymen Person registriert und dort wurde begonnen, die Proteste gegen Fotolia zu kanalisieren und zu bündeln. Die Hauptforderung war die Abschaffung des DPC, sonst würden die Fotografen ihre Bilder zum Stichtag 1. Mai löschen. Innerhalb weniger Tage beteiligten sich hunderte verärgerte Fotografen an der Aktion und löschten schon zigtausende Bilder.
Wer steckt hinter dieser Webseite?
Jetzt wird es spannend. Ich fragte in der größten Microstock-Community Microstockgroup (MSG) nach, wer die Organisatoren seien. Dort meldete sich vor allem ein User namens „fotoramka“ im Namen der Protestbewegung zu Wort, der sich dort auch erst am 25.4.2014 angemeldet hatte, dem Tag, als der Aufschrei losbrach.
Als ich in der MSG nachfragte, wer genau hinter der Seite stehe, wurden meine Beiträge „runtergewählt“. Das heißt, Nutzer geben an, dass mein Beitrag nicht hilfreich sei und ab einer gewissen Anzahl dieser Wählerstimmen wird mein Beitrag für andere Leser auf der Seite ausgeblendet. Das geschah so schnell und massiv, wie es nicht zu der sachlichen Art meiner Frage passte. Nachdem ich weiter gebohrt habe, kam als Antwort, dass zwei Leute hinter der Protestaktion stecken würden. Erstens der User Frbird aus dem russischen Forum, der auf den Microstock-Seiten mit seinem Usernamen „vectorlib“ bekannt ist und auch eine gleichnamige Webseite betreibt. Letztere benutzt übrigens wieder den oben genannten Anonymisierungsdienst.
Zweitens der schon erwähnte fotoramka, der sich Andy nennt und der Programmierer der Seite ist. Als Kontaktadresse gibt dieser die Emailadresse admin@stockalliance.org an.

Die Webseite stockalliance.org wiederum wurde vom gleichen Anonymisierungsdienst wie die Boykott-Seite registriert, das heißt, der wahre Eigentümer bleibt verborgen. Interessant ist das Datum der Registrierung: 23.10.2013. Das heißt, die Seite wurde registriert, bevor der Dollar Photo Club existierte.
Der Name „Stock Alliance“ ist übrigens nicht zu verwechseln mit der Stock Artists Alliance. Letztere war eine seriöse Interessengemeinschaft von Stockfotografen, welche 2001 gegründet wurde und die im April 2011 leider ihren Betrieb eingestellt hat. Ich vermute stark, dass die Namensähnlichkeit der beiden Webseiten stockalliance.org und stockartistsalliance.org absichtlich ist, damit erstere vom guten Ruf und Klang der letzteren profitiert.
Ich habe mir dann die Seite stockalliance.org im Google Cache angeschaut.
Dort existiert ein Screenshot vom 25.03.2014, auf dem sich die Beteiligten von stockalliance.org zu erkennen geben:
- allday2.com
- Pixelbrush.ru
- Grafamania.net

Die drei genannten Seiten sind sogenannte Warez-Seiten, die erste davon ist mit die größte in Russland und gehört zu den 1000 meistbesuchten Webseiten in Russland.
Was sind Warez-Seiten?
Zum Verständnis ein kurzer Einschub. Warez ist eine Subkultur, welche sich um illegale Software und andere digitale Medien dreht. Dazu gehören auch Fotos, Videos, Illustrationen und so weiter. Im engeren Sinne sind Warez-Seiten Webseiten, auf denen urheberrechtlich geschütztes Material kostenlos angeboten wird, also zum Beispiel hunderte bis tausende Bilder von Shutterstock, Videos von Pond5, Illustrationen von Fotolia und so weiter. Nur eben kostenlos und illegal. Die Seiten bewahren das illegale Material aber nicht selbst auf, sondern verlinken zu sogenannten Filehostern. Diese kneifen oft ein bis zwei Augen zu, wenn es um die illegalen Inhalte auf ihren Servern geht.
Wie verdienen Warez-Seiten Geld?
Wie der Fall kino.to 2011 gezeigt hatte, können solche illegalen Warez-Seiten mehrere Millionen Euro Gewinn erzielen. Das geschieht unter anderem durch Werbebanner, Premiummitgliedschaften und Abofallen. Die verlinkten Filehoster gehören manchmal auch den gleichen Betreibern oder es gibt personelle Überschneidungen.
Schauen wir uns das kurz konkret an: Bei Allday2.ru werden verschiedene Filehoster genutzt, zum Beispiel:
- letitbit.net
- depositfiles.com
- littlebyte.net
- oboom.com
- Turbobit und einige andere.

Nach eigenen Angaben hat die Bildagentur Depositphotos übrigens die gleichen Investoren wie Depositfiles (und auch den gleichen Gründer), was einer meiner Gründe ist, die Agentur zu meiden. Zu letitbit.net kommen wir gleich noch.
Depositfiles hat ein Affiliate-Programm, bei dem die Leute dafür bezahlt werden, dass ihre hochgeladenen Dateien möglichst oft runtergeladen werden. Das Programm wird hier angeboten und verlinkt zu der Seite Halileo, die ebenfalls den oben genannten Anonymisierungsdienst nutzt. Dort wird unter anderem damit geworben, dass 1000 Download 25 Dollar bringen würden:

Bei letitbit.net zum Beispiel werden Affiliates von bis zu 17 US-Dollar für 1000 Downloads versprochen:

Das heißt: Jemand klaut sich illegal Stockfotos o.ä. zusammen (wo das Material herkommt, ist noch mal eine andere Geschichte), lädt diese Dateien bei einem Filehoster hoch und verlinkt auf diese Datei auf einer Warez-Seite, damit möglichst viele Leute diese kostenlos runterladen können. Die beiden Webseiten verdienen über Werbung etc. und der Uploader erhält bis zu 2,5 US-Cent pro Download.
Zurück zum Thema.
Nach dem Ablauf des Ultimatums an Fotolia am 1. Mai 2014 meldete die Boykott-Seite als Erfolg, dass mindestens über 400.000 Bilder dort gelöscht wurden.
Fotolia führte die Möglichkeit ein, unter „Mein Konto/Profil/Anbieterparameter“ seine Bilder aus dem DPC zu entfernen.
Während bisher die Seite stockalliance.org nur auf die Boykott-Seite weitergeleitet hatte, erscheinen Anfang Mai 2014 dort wieder eigene Inhalte. Als Beteiligte am Projekt werden aber keine Warez-Seiten mehr genannt, sondern nur ein neues Forum und andere geplante Dienste. Im russischen Forum versuchten die Betreiber mit einem Thread darauf aufmerksam zu machen, aber als die Warez-Verbindung dort angesprochen wurde, wurden die Beteiligten im Forum vorübergehend gebannt und der Thread erst gesperrt und später gelöscht.
Paar Tage später versuchten sie deshalb, das in der Microstockgroup anzukündigen. Als ich dort auf die Warez-Verbindung hinwies, antwortete Fotoramka:

Sinngemäß übersetzt lautet die Erklärung:
„Wir hatten die Idee, die Arbeiten von Stockfotografen mit wenigen oder keinen Verkäufen auf Warez-Seiten einzustellen, um die Piraterie dieser Werke zu verhindern.“
Ja, das könnt ihr gerne mehrmals lesen, der Widerspruch steckt in sich. Nachdem einige Leute noch mal nachgebohrt haben, in welcher Beziehung fotoramka zu der Warez-Szene steckt, gab dieser hier zu, ein Mitarbeiter der Firma letitbit.net zu sein. genau die Firmen, welche für die Piraterie von Stockfotos und anderen Werken verantwortlich sind und den legalen Microstock-Webseiten Geld und Kunden wegnehmen, wollen sich auf einmal als Rächer der Stockfotografen aufspielen und eine Möglichkeit bieten, die von ihnen selbst betriebene Piraterie zu verhindern? Perfide.
Die Firma, welche Geld damit verdient, das Leute illegal auf Kosten von Stockfotografen Werke bei Warez-Seiten hochladen, ruft aktiv zum Boykott und zum Löschen von Bildern bei Fotolia auf? Warum ist die Warez-Szene so sauer auf den Dollar Photo Club?
Wer etwas russisch kann, findet die Antwort vielleicht im oben genannten Interview mit Oleg Tscheltzoff, mit dem der Protest anfing. Darin wird er sinngemäß übersetzt gefragt:
„- Was für Risiken sehen sie bei der Entwicklung dieser Art von Geschäft [dem Dollar Photo Club] in Russland? Zum Beispiel haben Sie selbst erwähnt, dass die Leute Fotos von Google verwenden. Haben sie keine Angst vor Piraterie?
Dieses Projekt kämpft gegen das Phänomen der Piraterie. $ 10 sind teuer, $ 1 sind eine symbolische Gebühr für ein Foto. Ich bin sicher, dass dies langsam in das Bewusstsein der Menschen eindringt. In Russland gibt es ein weiteres Problem, nicht alle haben eine Kreditkarte, und um Mitglied zu werden, ist das notwendig. Wir werden nach und nach die neue Zahlungssysteme einführen, lokale und auch Yandex.“
Wenn es ein kostenpflichtiges Angebot schafft, einem kostenlosen Angebot Angst zu machen, so sehr, dass dieses zum Boykott aufruft, scheint die Warez-Szene das Billigangebot als ernste Bedrohung zu sehen. Während die Phase der Bilderlöschung abgeklungen ist, konzentrieren sich die Boykott-Organisatoren jetzt darauf, die Opt-Out-Möglichkeit zu betonen. Außerdem soll eine Art Community um die stockalliance.org Seite mit verschiedenen Dienstleistungen herum aufgebaut werden, was ich nach den bekannt gewordenen Hintergründen der Organisatoren kritisch sehe.
Auf der Boykott-Seite ist davon die Rede, dass am 25. Mai eine „Informationskampagne“ geplant sei. Ich vermute, dass an diesem Tag die stockalliance.org-Seite und das dazugehörige neue Forum ins Englische übertragen werden soll.
Die Warez-Szene war jedoch nie ein Freund der Urheber, im Gegenteil. Jeder Fotograf, der schon mal darum kämpfen musste, dass seine Werke von einem Filehoster entfernt werden, weiß davon ein Lied zu singen. Die Entscheidung, wie er welche Dateien zu welchen Bedingungen über welche Kanäle verkauft, muss jeder Fotograf selbst entscheiden. Ich finde, ihr habt aber auch das Recht darauf, zu wissen, wer euch dabei helfen will und was die Motivation dieser Leute sein könnte.
Fotolia reagiert übrigens seit gestern, indem sie bis zu fünf Mal höhere Kommissionen bei Abo-Downloads versprechen, wenn die Bilder auch im DPC angeboten werden:

Was sagt ihr zu den Hintergründen?
Ich weise vorsorglich darauf hin, dass ich eine sachliche, nüchterne Debatte wünsche.