Wieder habe ich keine Mühen gescheut, um Euch ein informatives Interview bieten zu können. Ich lehne mich sicher nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass dies hier das erste deutschsprachige Interview mit Jonathan Ross ist. Nein, ich meine nicht den britischen Moderator oder den australischen Football-Spieler, sondern den Stockfotografen aus Seattle und Gründer der Bildagentur Blend Images. Zusammen mit seiner Frau Amy betreibt er die Fotoproduktionsfirma „Andersen Ross“.

Ich freue mich wirklich sehr, dass Jonathan sich die Zeit genommen hat, auf meine Fragen ausführlich zu antworten, da er zum einen sehr offen spricht und auch Praxiserfahrungen in den Marktbereichen RM, RF und Microstock hat. Das Interview ist so lang geworden, dass ich es in zwei Teilen veröffentliche.
Was hast Du vor Deiner Fotografen-Karriere gemacht?
Ich war Lagerarbeiter, ein Telefonmastenkletterer für das Kabelfernsehen und eine Aushilfe für einen Elektriker. Ich war entschlossen, ein „Arbeiterklasse-Amerikaner“ zu sein, obwohl ich hinter den Kulissen von Theatern aufgezogen wurde, da mein Vater Regisseur war. Du kannst Deine Wurzeln nicht verleugnen, deshalb belegte ich meinen ersten Fotokurs im College 1981. Aber erst 1987 entschied ich, die Fotografie ernst zu nehmen und schrieb mich in ein Programm für professionelle Fotografie ein. Ich traf meine Ehefrau in der Fotoschule und innerhalb eines Jahres nach unserem Abschluss öffneten wir unser erstes kleines Studio. Es war eine bessere Garage, die passend „Luftschutzbunker“ genannt wurde, da es ein Betonblock ohne Fenster war. Dort hatte ich mein erstes Shooting mit einer einzigen Lichtquelle, gefiltert durch ein Bettlaken, das von zwei Pfosten gehalten wurde, die in Farbeimern zementiert waren. Wir müssen alle irgendwo anfangen… 🙂 Wir hatten 10.000 US-Dollar gespart, um durch harte Zeiten zu kommen und meine Frau begann sogar wieder in einem Modeladen zu arbeiten, damir wir ein Auskommen hatten, bis unserer Kundenstamm groß genug war.
Wie begann Dein Interesse an der Fotografie?
In meiner ersten Fotoklasse 1981 hatte ich einen großartigen Lehrer, Chris Simons, der ein super Motivator war. Er unterrichtet dort immer noch neue Schüler. Ich war 28, als ich am College wieder mit der Fotografie anfing und musste etwas wählen und dabei bleiben. Ich liebte Fotografie, also sagte ich mir, als ich die Ausbildung begann, „das ist es und ich bleibe dabei“. Da ich unter Schauspielern aufgewachsen war, erkannte ich, dass nur die Erfolg hatten, die einfach beständig dabei blieben. Einige waren in wenigen Jahren berühmt, andere brauchten zwanzig, aber jeder, der dabei blieb, schaffte es irgendwann. Hartnäckigkeit und Arbeitsethik. In der Fotoschule geriet ich wieder an einen Meister des Unterrichtens, Barton Atterberry, und er nahm mich unter seine Fittiche. Wir blieben gute Freunde bis er letztes Jahr verstarb. Er war ein Art Center-Graduierter vor langer Zeit. Meine Frau und ich haben ein Stipendium-Programm dieses Jahr unter seinem Namen gestartet für aufstrebende Fotografie-Talente.
Seit wann arbeitest Du als professioneller Fotograf?
Wir fingen wir fast zwanzig Jahren an, als wir den „Luftschutzbunker“ 1990 eröffneten. 🙂
Was ließ euch entscheiden, Stockfotografie professionell zu betreiben?
Wir begannen mit Werbefotografie und hatten das pure Glück, dass sich das Zentrum der Stockfotografie in unserer Heimatstadt Seattle ansiedelte. Wir fingen mit Photodisc an, weil ein anderer Fotograf, den wir kannten, sagte, dass da gutes Geld zu machen wäre. Dann zog Getty Images dazu und Corbis war auch in der Nachbarschaft. Wir begannen einige Nachforschungen und Entwicklungen in Sachen Stockfotografie, da wir nicht unseren gesamten Kundenstamm verlieren wollten, denn wir uns in zehn Jahren aufgebaut hatten. Nach sechs Monaten, in denen wir gute Zahlen mit Stockfotografie erzielten, erkannten wir, dass es eine großartige Möglichkeit war. Innerhalb eines Jahres ließen wir alle unsere Kunden liegen und fotografierten ausschließlich Stockfotografie und haben seitdem nie mehr zurückgesehen. Die Entscheidung wurde auch durch unsere Kinder beeinflusst, für die ich mehr Zeit haben wollte. Studioarbeit wird von den Kunden bestimmt, Stockarbeit von mir.

Mit was für einer Ausrüstung arbeitest Du?
Mit allem unter der Sonne, einschließlich der Sonne :-). Ich habe viele verschiedene Lichtmöglichkeiten für diverse Anlässe und Orte.
Was ist Dein liebstes Werkzeug?
Ich denke, das wären dann mein Computer und Photoshop. Ohne die wäre mein Arbeitsablauf viel zeitaufwändiger. Das Internet gehört auch dazu, aber das zähle ich mit zum Computer. Das ist meine Verbindung zur Außenwelt.
Auf welche Themen und Motive hast Du Dich spezialisiert?
Ich habe als Still Life-Fotograf für kommerzielle Kunden begonnen. Viele Kleidungsfotos und Katalogarbeiten und ab und zu Unternehmensberichte. Die letzten zehn Jahre habe ich aber ausschließlich Lifestyle fotografiert, jedes Thema, was von den Kunden und Kollektionen verlangt wird, die wir beliefern.
Wie würdest Du deinen fotografischen Stil beschreiben?
Das ist lustig, ich hätte nie gedacht, dass ich einen Stil habe und mir mehr als Generalist gesehen. Aber viele Leute sagen mir, dass sie ein Anderson Ross-Foto [Name seiner Fotoproduktion; Anm. R.K.] leicht erkennen können, also muss es da etwas geben. Ich würde sagen, ich fange Momente und Gefühle im echten Leben on location ein, unterstützt durch Beleuchtung, die das natürliche Licht akzentuiert.

Wie viele Fotos produzierst Du durchschnittlich pro Monat?
Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Wir machen momentan viel Recherche, deshalb ist unsere Produktion dieses Jahr stark gesunken. Wir investieren viel Zeit, neue Qualität zu kreieren und zu beleuchten, die über dem liegt, was wir letztes Jahr produziert haben. Letztes Jahr haben wir 10.000 Bilder produziert, dieses Jahr werden es eher 2.000–3.000 Fotos sein. Mehr Qualität, weniger Quantität. Auch das Dazukommen von Bewegtbildern hat die Produktion von Fotos reduziert.
Wie viele Bilder habt ihr bisher produziert?
Wir haben momentan über 15.000 Bilder online, aber wir haben einen Rückstau von ca. 2.000 Bildern, die noch hochgeladen werden müssen und ca. 100 Video-Clips.
Wie verteilt sich das auf Macro RM, Macro RF und Microstock?
Wir haben ca. 1.000 RM-Bilder und dieser Bereich wird auch das kommende Jahr weiter wachsen. Im Bereich Macro-RF haben wir ca. 10.000 Fotos. Microstock-Fotos haben wir ca. 3.500, aber zur Zeit sind nur 2.000 online, den Rest laden wir in den nächsten Monaten hoch. Wir planen, ca. 2.000 weitere Bilder dieses Jahr zu fotografieren, aber ich zähle das fast gar nicht mit, da wir so viele Microstock-Bilder an einem Tag produzieren können. Bisher hatte ich nur zehn Shootingtage für Microstock-Bilder. Aber dieser Business-Bereich ändert sich fast wöchentlich, also sieht meine Antwort in drei Monaten vielleicht ganz anders aus.
Wie entscheidest Du, welche Bilder Du als Macro-RM, Macro-RF oder als Microstock anbietest?
RM-Fotos sind meist einzigartige Bilder mit einem starken Konzept und von unseren besten Leuten produziert. So ein Bild hat vielleicht keine Massenwirkung, aber der richtige Käufer wird bereit sein, viel Geld für diese Qualität zu bezahlen.
Macro-RF-Bilder sind unsere mehr generalisierten Arbeiten im Studio oder „on location“, die breitere Käuferschichten anspricht als unsere RM-Bilder. Der Schwerpunkt wird da auf Beleuchtung und Auswahl der Orte gelegt. Manchmal ist es schwer, sich zu entscheiden, welches Bild wohin sollte, aber unsere Editoren helfen bei der Auswahl.
Microstock-Bilder sind unsere Fotos mit der größtmöglichen Reichweite. Wir versuchen, da Bilder zu produzieren, die eine große Vielzahl von Käufern anspricht, um sicherzustellen, dass es genug Verkäufe gibt, um die Investitionen so profitabel wie in anderen Märkten zu machen. Außerdem produzieren wir bei Microstock-Shootings viel mehr Bilder am Tag als für Macro-Agenturen. Der Unterschied liegt bei ca. 50–60 Macro-RF-Fotos am Tag zu 200–250 Microstock-Fotos pro Tag.
Kannst Du noch zählen, wie viele Bilder zu bisher verkauft hast?
Ich hab keine Ahnung. Ich kann Dir sagen, wie viel Umsatz jedes einzelne Foto in seinem Leben gemacht und mit etwas Recherche würde ich auch die Gesamtverkäufe herausfinden. Aber wir konzentrieren uns mehr auf den monetären Aspekt bei der Verkaufsanalyse. Wir verfolgen alle Verkäufe unserer Bilder mittels einer Software, die speziell für Stockfoto-Verkäufe entwickelt wurde. Das hilft uns, zu erkennen, was sich verkauft und was nicht, Saison-Trends zu sehen und wann man dafür Bilder hochladen sollte.
Welches Foto hat Dir bisher den meisten Umsatz gebracht? Und woran könnte das liegen?
Das ist ein Foto von einem Jungen, der an einem sonnigen Tag in einem Reifen schaukelt. Im Bild liegt ein Gefühl von Freiheit und Glück, das glaubhaft ist, aber auch vage genug, damit es für viele Käufer attraktiv wird. Es ist aber auch eins unserer ältesten Bilder, deshalb hatte es am meisten Zeit, Umsätze zu erzielen. Ich glaube, bisher waren es ca. $15.000 und es ist ein Macro-RF-Foto, was immer noch über Getty Images verkauft wird.

Welcher Teil des Fotografie-Geschäfts macht Dir am meisten Spaß?
Es ist ein Unentschieden zwischen dem Shooting selbst und der ersten Auswahl. Ich liebe es zu motivieren und am Set kann ich das gut machen. Die Interaktion mit den Models macht einen großen Unterschied aus, wie gut sich die Bilder verkaufen werden. Ich mag auch die erste Auswahl, wenn ich die Ergebnisse meiner Arbeit am Computer sehen kann. Ich erwische mich dabei, dass ich anfange zu grinsen, wenn ich ein besonders gelungenes Bild finde. Es ist eine Chance, sich an den Tag zu erinnern und auch zu lernen, was nicht so gut lief, damit ich es beim nächsten Mal besser machen kann.
Wie sieht Dein Arbeitsablauf aus?
Mein Produzent sucht die Locations, an denen wir fotografieren wollen. Sobald wir die Erlaubnis für eine Location bekommen, schauen wir in den Bildagenturen nach Löchern in den Bildkollektionen, die unserer Meinung nach nicht gut genug abgedeckt sind und fangen von da an. Danach schauen wir uns noch mal die Location an, rennen mit unseren Kameras herum, um das vorhandene Licht zu testen, sowohl von der Stärke als auch der Farbtemperatur und suchen nach spannenden Winkeln. Dann casten wir die passenden Models für die Location. Wenn es ein Klassenraum ist, suchen wir Lehrer- und Schülertypen. Bei Krankenhäusern nach starken, vertrauensvollen Gesichtern, die ein Gefühl von Sicherheit ausstrahlen und so weiter. Danach schaue ich mir die Location-Fotos an und die Konzepte, wie wie als Lücken bei den Bildagenturen identifiziert haben und entscheiden, welche Models am besten für welche Rollen und und schreiben eine Shooting-Liste.
Das Vorbereiten der Shootingliste dauert lange, dann wir wollen nur die Models am Set haben, die wir dann auch benötigen. Ich hasse es, Models nur für das Rumstehen zu bezahlen. Außerdem wollen wir den Lichtaufbau so nutzen, dass wir unser Licht so wenig wie möglich umräumen müssen. Diese Dinge verschwenden Zeit und Geld. Je besser wir vorbereitet sind, desto weniger geht schief und wir steigern unsere Produktivität. Auf der Shootingliste ist auch die Zeit vermerkt, die für jeden Bereich zur Verfügung steht und welche Kleidung und Requisiten für diese Szenen benötigt werden. Das befreit mich von dem ganzen technischen Ballast und ich kann mich auf Ideen und die Models konzentrieren.
Was ist Dein Lieblings-Lichtaufbau?
Ich arbeite mit allen Arten von Licht, aber ich arbeite am schnellsten mit Blitzen. Ich habe über 35 Lichtquellen in meiner Sammlung, deshalb ist es eine Frage der Location, was ich davon mitnehme. Ich liebe meinen 2m-Profoto-Schirm, der eine wunderbare Lichtqualität hat, aber ich mag das Licht von so vielen Geräten, dass es schwer zu sagen ist. Ich mag auch die Kino-Leuchten wegen ihres weichen Lichts und weil ich sie mit den Augen statt mit der Kamera kontrollieren kann.
So, morgen geht es an dieser Stelle weiter. Dann kommen die spannenden Fragen zu Bildagenturen, Microstock, der Arbeit mit Models und der Zukunft des Bildermarkts.
