Es ist so leicht, sich über Stockfotos lustig zu machen: Der Handschlag zwischen zwei dynamischen Geschäftsleuten, die glücklichen Eltern mit ihren beiden lachenden Kindern auf dem Rücken oder der kleine Goldfisch, der aus dem einen runden Aquarium in das andere springt.
Jeder kennt diese Bilder, bunte Farben, weich belichtet, schöne Models, keine Sorgen. Die Frage, die sich vielen anscheinend unweigerlich stellt, ist, warum es immer genau diese Fotos sein müssen, um wirklich alles Mögliche zu bebildern?
Könnten die Fotografen nicht etwas kreativer sein und sich andere Konzepte, Zeichen und Symbole ausdenken, damit danach auch die Grafiker und Werber abwechslungsreicheres Bildmaterial zur Auswahl haben? Stattdessen gibt es den immer gleichen Einheitsbrei aus gebleichten Zähnen, reiner Haut und Wohlfühlwelten.
Dabei ist die Frage ganz falsch gestellt. Zumindest aus Sicht eines erfolgreichen Stockfotografen.
Machen wir uns doch nichts vor: Bei über 100 Millionen billigen Stockfotos zur Auswahl gibt es genug Motive abseits des Mainstream, mit denen Grafiker auch abgefahrenere Ideen illustrieren könnten.
Ich behaupte: Die meisten sind nur zu faul zum Suchen. Oder zu geizig. Denn neben den billigen Microstockagenturen gibt es ja immer noch die Macrostockagenturen mit ganz anderen Bildsprachen und deutlich weniger häufig verwendeten Bildern. Selbst die Microstock-Agenturen haben mit Kollektionen wie Offset oder Adobe Premium viele Edel-Bilder mit einem ganz anderen Look im Angebot. Nur kosten diese eben auch mehr.
Das Geld ist hier der springende Punkt. Für Fotografen lohnen sich Stockfotos umso mehr, je häufiger sich die Bilder eines Shootings verkaufen. Damit die Voraussetzungen dafür gegeben sind, versuchen sie, die Bilder so universell wie möglich zu halten, damit sie unabhängig von Sprachbarrieren, Ländergrenzen oder Kulturen funktionieren.
Die Stockfotografie-Klischees, über die sich Leute gerne lustig machen, funktionieren eben nur, weil die Stockfotografen ihre Arbeit gut gemacht haben. Nur universelle Verwendungsmöglichkeiten bringen höchstmögliche Verkäufe, die wiederum als Nebeneffekt eine gewisse Sättigung eintreten lassen, sodass Designer irgendwann genervt sind, das nächste „Frau mit Headset im Callcenter“, Rebecca Ariane Givens oder „Frau isst Salat“-Motiv zu sehen.
Das gleiche gilt übrigens für das Argument der „Langeweile“. Erfolgreiche Stockfotos sind oft langweilig, weil „aufregend“ oder „spannend“ polarisieren kann, was wiederum bedeutet: Kunden abschrecken kann.
Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn ein Motiv oder eine bestimmte Bildsprache so überzeugt, dass sich ganz viele Kunden darauf stürzen, wird dieses Motiv oder dieser Look irgendwann zum Klischee werden. Bis dahin wird sich das Motiv blendend verkaufen und die Stockfotografen von ihrer Arbeit leben können.
Wenn ein Grafiker partout etwas „ganz Anderes“ oder im wörtlichen Sinne „noch nie Dagewesenes“ verwenden will, muss er eben in den sauren Apfel beißen und etwas mehr Geld ausgeben, zum Beispiel, indem er einen kreativen Fotografen beauftragt.
Über zehn Jahre Microstock haben bei Designern die Erwartungshaltung geweckt, dass sich technisch perfekte Motive mit tollen Models und passenden Requisiten schnell für wenige Euro finden lassen. Dieses System funktioniert aber nur, wenn die Designer gleichzeitig verstehen, dass der Preis für diese Schnäppchen eben eine weitere Verbreitung der immer gleichen klischeehaften Motive ist. Denn es liegt auf der Hand: Ein aufwändiges Shooting kostet deutlich mehr als die 2–3 Euro, die ein Bild in Webauflösung kostet. Da müssen schon viele Verkäufe zusammenkommen, um die Kosten wieder reinzuholen.
Ich habe kein Problem, dass ich meine Bilder unter dem Herstellungspreis verkaufe, solange sich genug Verkäufe summieren. Dann sollten sich Designer jedoch mit Spot über die häufige Verbreitung der Bestseller-Motive zurückhalten. Oder einfach mehr bezahlen.
Was meint ihr?