Es gibt etliche Bücher über Fotografen und die Fotografie, deren Theorie, Geschichte und die verschiedenen Genres.
Über die wirtschaftliche Seite der Fotografie und die Vertriebswege wird jedoch deutlich weniger geschrieben. Die zweite Reihe hinter den Fotografen, die Bildredakteure und Bildagenturen, geraten da sehr selten in den Blick. Dabei entscheiden sie fast mehr als die Fotografen selbst, welche Bilder zu Ikonen und welche vergessen werden, indem sie bestimmen, welche Motive auf die Titelbilder großer Zeitungen und Zeitschriften kommen.
Deshalb war ich sehr gespannt, als die Historikerin Annette Vowinckel (Leiterin der Abteilung für Mediengeschicke am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) vor einer Weile ihr Buch „Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert“* im Wallenstein Verlag (ISBN 978–3‑8353–1926‑4) veröffentlichte.
Auf 480 Seiten geht sie der Frage nach, „wer die Fotografien wo, wann und in welcher Erwartung platziert und nach welchen Kriterien bestimmte Bilder ausgewählt und andere vergessen oder verhindert werden“ (S. 8).
Statt wie so oft eine Motivanalyse zu versuchen, geht Vowinckel anders vor: „Ich konzentriere mich dabei auf das, was ich als ‚Bildhandeln‘ bezeichne, gehe also nicht von den Bildern aus, sondern von den Handlungen, deren Ziel und Inhalt die Produktion und Zirkulation von Bildern ist“ (S. 15).
Das Buch ist neben den Pflichtteilen wie Einleitung, Schluss und diversen (Quellen-)Verzeichnissen in fünf Abschnitte geteilt.
Im ersten Teil, „Die Entstehung einer globalen visuellen Öffentlichkeit“ genannt, beschreibt sie historisch den Aufbau der ersten (Nachrichten-)Bildagenturen und welche Rolle dabei der Zweite Weltkrieg gespielt hat. Der zweite Teil ist den „Berufsgruppen“ gewidmet, namentlich den Fotojournalisten und Bildredakteuren: Deren Herkunft, Motivation, Werdegang und Selbstverständnis werden nachgezeichnet.
Der dritte Teil betrachtet die „Fotografie im Staatsdienst“, vor allem in der Armee und zivilen staatlichen Organisationen.
Teil vier nennt sich „Bildsteuerung und Bildverwendung“ und beschäftigt sich mit Zensur, fotografischer Ethik und Evidenz.
Der fünfte Teil geht sechs Fallbeispiele durch, namentlich Fotojournalismus in Afrika, Fotografische Subversion in der DDR, Faschismus und Antifaschismus, der Kalte Krieg, der Bilderkrieg in Vietnam und Politiker.
Im Buch sind etliche spannende Themenfelder versteckt, zu denen ich noch kommen werde. Unbefriedigend ist jedoch, dass sich beim Lesen manchmal das Gefühl einstellt, die Autorin würde über ihre eigene Ansprüche stolpern.
Das fängt gleich in der Einleitung an, wo sie das „Bildhandeln“ als zentrales Element ihrer Arbeit ausmacht und Fragen aufwirft wie „Was unterscheidet eine Bildhandlung von einer Sprachhandlung?“, „Welche Formen des Bildhandelns hat die Moderne im Schatten der Massenproduktion […] vervorgebracht?“ und „Wie verändert sich das Politische unter dem Ansturm der Bilder, der das 20. Jahrhundert prägte […]?“ (alle S. 15), obwohl es im Folgenden dann „nur“, dafür aber materialgesättigt, um die Herstellung und den Vertrieb von Bildern geht.
Theoretisch ganz spannend führt sie fünf Kategorien ein, nach denen „Bilder als Argumente“ (S. 19) dienen: Erstens zur Herstellung einer visuellen Öffentlichkeit, zweitens zur Agitation, Propaganda und Public Relations, drittens zur Solidarisierung mit den Opfern von Krieg und Gewalt sowie zur humanitären Anklage, viertens zur fotografischen Subversion und fünftens zum Erbringen von Evidenz.
Mal ganz abgesehen davon, dass sie diese ohne jegliche Erwähnung des „Geldverdienens“ immer als handlungsleitend ansieht, erklärt sie gleich darauf, sich nicht an diese Struktur im Buch halten zu wollen.
Sehr erhellend ist das Kapitel über die Bildredakteure, weil dieser Aspekt der kommerziellen Fotografie meist zu kurz kommt. Vowinckel schreibt beispielsweise, dass etliche Fotografen einfach ihre vollen Filme in der Redaktion ablieferten und sich nicht weiter darum scherten, was die Bedeutung der Bildredaktion für die Entstehung ikonischer Motive hervorhebt.
Auch die Details im ersten Teil über die Entstehung von Bildagenturen wie Associated Press (AP) und mit welchen technischen Kniffen sie sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen konnten, habe ich noch nirgendwo anders gelesen.
Ähnliches gilt für das Kapitel über die Fotografie im Staatsdienst. Es liefert einen spannenden Einblick in die verschiedenen Überlegungen, wie Fotografien seitens der Armee für ihre Zwecke genutzt werden könnten und wie diese Ideen praktisch umgesetzt wurden.
Aber oft ging es mir im Buch dann doch sehr häufig wieder um die, teils sehr bekannten, (Kriegs-)Fotografen wie Robert Capa, W. Eugene Smith, Dorothea Lange oder James Nachtwey und was sie im Einsatz erdulden mussten. Dabei wäre selbst innerhalb der gewählten Fallbeispiele interessant gewesen, wie beispielsweise Bildredaktionen in der DDR arbeiteten oder zu Zeiten des Kalten Krieges oder wie sich der Vertrieb der Bilder auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit den wachsenden technischen Möglichkeiten gewandelt hat.
Nichtsdestotrotz ist das Buch eine faktenreiche Sammlung zur Fotogeschichte. Vor allem wer sich für die Kriegsfotografie und Dokumentarfotografie interessiert, wird beim Lesen auf seine Kosten kommen.
Es ist hier im Buchhandel* für 34,90 Euro als Hardcover mit Schutzumschlag erhältlich.
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