Hauptsache irgendwas mit Blockchain: Spätestens seitdem der Kurs der digitalen Kryptowährung Bitcoin im Jahr 2017 um über 1300% gestiegen ist und zig ähnliche Digitalwährungen um die Gunst der Investoren buhlen, sind die Entwickler dazu übergegangen, dass hinter der Bitcoin stehende Konzept der Blockchain auch auf andere Wirtschaftsbereiche zu übertragen.
So gibt es schon Versuche, die Blockchain für einvernehmlichen Sex zu nutzen und eben auch Versuche, die Blockchain als Methode einzusetzen, um den Bildermarkt (wieder mal) zu revolutionieren, indem die Verkäufe in einer Blockchain eingeschrieben werden.
Besonderes Aufsehen erregte hier vor paar Tagen die alte Filmfirma Kodak, die ihre Felle wegen der Digitalfotografie längst davonschwimmen sah und nun laut „Blockchain“ schrie, damit ihr Aktienkurs am Tag der Ankündigung um mehr als 119 Prozent stieg.
Etwas weniger beachtet wurde die Ankündigung der Firma Photochain, die quasi fast das Gleiche wie Kodak vorhat: Einfach mal eine digitale Währung aus dem Boden stampfen, mit der Fotografen dann ihre Bilder verkaufen sollen. Hier noch kombiniert mit anderen Technik-Buzzwords wie KI (Künstliche Intelligenz).
Grundsätzlich halte ich es für eine gute Idee, wenn versucht wird, das typische Microstock-Problem zu lösen: Wie kann angesichts der vielen hunderttausend Lizenzierungen erkannt werden, ob ein Microstock-Bild (vor allem im Internet) legal genutzt wird oder nicht?
Doch sowohl der Ansatz von Kodak als auch der von Photochain offenbaren tiefliegende Verständnismängel der Bilderbranche. Das fängt bei Kleinigkeiten an wie falschen Berechnungen der Fotografen-Kommissionen im Whitepaper bis hin zu großen Löchern in der Erklärung, warum Fotografen es erstrebenswert halten sollten, noch niedrigere Kundenpreise als ohnehin schon mit durchzusetzen, wie es Photochain verspricht.
Auch wenn ich einige Ansätze im Prinzip nachvollziehen kann, haben weder Kodak noch Photochain ansatzweise Antworten auch wichtige Fragen:
- Welche Vorteile sollten Kunden vom Blockchain-Modell haben?
- Wieso sollte es einfacher sein, Bilder mithilfe einer digitalen Kunstwährung zu kaufen, die erst konvertiert werden muss und stark im Wert schwanken kann?
- Was nützt es einem Fotografen zu wissen, dass eine Bildnutzung unrechtmäßig ist, wenn er sie (zum Beispiel in asiatischen oder osteuropäischen Ländern) nicht verfolgen lassen kann?
- Welche Anreize haben Fotografen, ihre Bilder über ein Blockchain-Modell anzubieten?
- Wie soll das technisch funktionieren? Wo landen die Bilder, wie sollen deren enormen Datenmengen gehandhabt werden?
- Selbst wenn ein Verkauf in der Blockchain registriert ist, woher soll ein Fotograf erkennen, ob eine bestimmte Webseite das Foto lizenziert hat oder es nicht von einer anderen Webseite kopiert ist, wenn Käufer anonym bleiben?
- Wieso wird davon geredet, die „Mittelsmänner“ unnötig zu machen, wenn doch wieder die „Blockchain“-Firma als Mittelsmann agieren (und Prozente nehmen) will?
Ich könnte noch ewig so weitermachen, aber es zeigt, dass aktuell die Ankündigungen, mit einer Blockchain die Fotografiewelt revolutionieren zu wollen, vor allem eins sind: Der Versuch, mit einem gehypten Buzzword das Geld unwissender Investoren zu scheffeln, bevor die Idee an den Widrigkeiten der Praxis scheitert.
Nachtrag 13.01.2018:
Zwei weitere Firmen, die gerne „irgendwas mit Blockchain und Bildrechten“ machen wollen und dafür per ICO Geld sammeln, sind Copytrack und IPStock.
Wunderbarer Post, der den Hype auf den Punkt bringt. In den USA hat sich kürzlich eine Eistee-Firma in Blockchain-Irgendwas umbenannt und allein damit über Nacht ihren Börsenwert verdreifacht. Da droht sich also eine gewaltige Blase zu bilden.
Die intellektuellen Ansätze der Blockchain – Automatisierung, Transparenz, Sicherheit, Universalität – könnten auch im Bildmarkt eines Tages neue Wege eröffnen. Aber dann muss auch ein stimmiges Konzept dahinterstehen, das bisherigen Vermarktungsmodellen tatsächlich überlegen ist.
Was hält jemanden davon ab, das Bild einfach zu kopieren ohne sich in die Blockchain einzutragen?
Buzzword-Bingo vom feinsten.
Ich will mal auf den Mittelsmann zukommen. Die Blockchain hat eigentlich den Sinn den teuren Mittelsmann zu vermeiden. Im Prinzip gilt das für Verträge. Dazu muss man jeden Kauf als Vertrag sehen. Wenn man an der Supermarkt Kassa ein Produkt bezahlt schließt man im Prinzip einen Vertrag ab.
Der Vertragsabschluss ist beim Supermarkt kein Problem. Anders sieht es beim online Handel aus. Da agiert zwischen Käufer und Verkäufer ein Dritter – das Bezahlsystem, oder Mittelsmann. Die Blockchain soll diesen teuren Dritten ersetzen.
Das könnte man auf viele Verträge anwenden und teilweise sogar teure Notare erstzen.
Im Prinzip ist die Blockchain nichts anderes als eine dezentralisierte Datenbank. Damit jemand freiwillig und im Prinzip unentgeltlich diese Rechenaufgabe übernimmt setzt man Belohnungen wie Bitcoins ein. Der Bitcoin selbst hat keinen realen Wert. Beflügelt aber die Phantasien und Spekulationen. Sodaß einige doch bereit sind für nix eine Menge zu bezahlen. Ohne diesen Kursabstieg wäre die Blockchain nicht mehr lebensfähig. War es früher tatsächlich eine globale dezentralisierte Datenbank. So schaffen die Rechenleistung derzeit nur mehr wenige stromfressende Großrechner.
Ohne zig Millionen an jährlichen Stromkosten würde die Blockchain und damit der Bitcoin nicht mehr funktionieren. Wobei je größer die Blockchain wird desto aufwendiger und damit teurer und länger dauernd wird die Berechnung.
Eine Transaktion mit der Blockchain funktioniert bei einem Online Shop gar nicht, da es zu lange dauert bis ein neuer Block berechnet ist und in die Blockchain eingefügt wird.
Den einzigen Gewinn am Bitcoin machen derzeit die Rechenzentren. Wobei das Verhältnis etwa 1:10 ist. Für 1 Million Euro an Stromkosten kann man die entsprechende Rechenzeit um 10 Millionen Euro verkaufen. Und bei dem Kurs gibt es genug Leute die Rechenzeit mieten um Bitcoin zu Minen.
Um nun auf den „teuren“ Mittelsmann zurück zu kommen den eine Blockchain ersetzen soll. Der ist enorm teuer an Stromverbrauch und enorm langsam.
Die Technik ist für den Microstock Markt nicht brauchbar. Die enorm hohen Verkäufe würden das System in kürzester Zeit in die Knie zwingen. Ersten zu stromfressend, zweitens je langsamer desto mehr die Verkäufe (addierend) sind.
Bei Kodak eher nur ein Gag um den Aktienkurs in die Höhe zu treiben.
Ich vermute die Blockchain wird noch einige gerichtliche Nachspiele haben. Zumindest wenn das Platzen der Bitcoin Blase auf die Finanzwirtschaft überspringt und eine neuerliche Krise auslöst.
Wenn irgendjemand im digitalen Zeitalter Interesse an Blockchain-Techniken haben sollte, dann Anbieter digitaler Medien.
Wer hier nur auf den Bezahlvorgang stiert und insbesondere beim Bitcoin verharrt, verschenkt das gigantische Potential. Zunächst mal: Blockchain ist erstmal eine Technik, keine Währung. Bitcoin ist eine Anwendung dieser Technik im Bereich Währung – und dabei gerade noch das Trivialste, dass man damit machen kann. Den Bezahlvorgang über das Überweisungsformular mit einem schnachlangsamen Bankkonto zu evolutionieren, gelingt PayPal sogar ohne Kunstwährung in der Mitte. Oft nicht übel – vor allem, wenn man international überweisen muss, aber eben nur ein Digital-Substitut, für etwas analog sehr ähnlich Existentes.
Jenseits der Währung und des Bezahlvorgangs liegen die sogenannten „Smart Contracts“ – DAS ist eigentlich für jeden Digital-Lieferanten ein Mega-Potential.
Hier könnten wir zu jedem Medium eintragen, wie oft es benutzt werden darf, von wem, wo, wo nicht, in welchen Jahren, ob es einmal bezahlt werden muss oder nur gemietet werden kann, wo es zu liegen hat, wann es erlischt oder nur noch in wieviel Bit und Auflösung als sein eigenes Demo angezeit werden darf … Alles, was man sich vorstellen kann und was früher mal Verlage mit Künstlern kleinteilig ausgehandelt haben. Und zuletzt natürlich: DAS ist auch die Alternative zu den Stockagenturen, die horrende Anteile für ihre Schaufensterplätze nehmen. In Zukunft bekommen diese eher wieder die Rolle von HRS oder Booking, die gerne Leistungen vermitteln dürfen und ein paar Prozent behalten sollen – aber die Medien-Datei kann sich mittels verkrypteten eingebetteten Vertrags zukünftig selbst anbieten bis hin zu eigenen Bezahlung oder auch Abschaltung, bei nicht korrekt lizensiertem Einsatz.
Auch ein Screenshot eines Fotos etwa wird dann zwar dazu führen, dass ein solches Element zunächst irgendwo eingebettet werden kann. Ein Medium, von dem ich aber weiß, dass es nur mit Smart-Contract bereit gestellt wurde und nun plötzlich ganz ohne Kontrakt auftaucht, ist dann per se der größtmögliche Täter-Fingerabdruck und wird wohl nur in Nordkorea und Kriegsgebieten ohne Polizeigewalt ungeahndet bleiben können – mutmaßlich Gebiete, wo auch heutige Abmahnungen nicht wirklich hinreichen.
Wenn allerdings jedes entsprechend bereitgestellte Medium sich praktisch durch Nutzung, Aufruf etc. selbst abrechnen kann, können wir uns vielleicht wieder mehr auf die Inhalte konzentrieren.
Die aktuellen Implementierungen wie etwa Bitcoin haben hinlänglich bekannte und nicht akzeptable Nachteile, etwa den Stromverbrauch. Ich halte das auch eher für einen Funktionsprototypen, der schon mal den Bezahlteil hat. Gehen wir mal davon aus, dass auch der letzte Vollpfosten unter den aktuell tätigen Entwicklern von Nachfolgelösungen, energie- und aufwandsarmen Umgang mit Rechenressourcen ganz oben auf der ToDo-Liste hat. Das kann man zwar als Nachteil dieses Ur-Ansatzes noch ein Weile rezitieren, wird aber in einigen Monaten so relevant sein, wie die Schlesienfrage, von der die Großeltern uns Älteren noch erzählt haben.
Wichtiger: aktuell gibt es für den ganzen Smart Contract-Teil wohl keine Akzeptanzstelle, keine definierten Eingabemöglichekeiten, keine Tags für ganzen technisch denkbaren Bedingungen (siehe oben), kein manipulationssicheres Verfahren für reale Mediendateien etc.
Ich persönliche sehe da für die gängigen Medienarten Bild/Ton/3D/Film/Vektor etc. so ein Art Container-Format, ähnlich wie bei Video-Dateien. Hier geht es bei der äußeren Schale aber eben um um das Contracting und nicht das Coding/Decoding. Technisch könnte das ähnlich wie eine Art Live-Zip aussehen, also ein Art Aushandeln des Zugriffs mit der Datei, dann wird über eine Schnittstelle live entzippt. Technisch ist das am Ende heute bei Office-Dateien mit Signatur heute schon das, was Office-Tools beim Öffnen vollziehen.
Ich würde diese Vertragsmacht ungerne einem Dritten mit einem Server überlassen – aber auch Amazon, Google etc. werden Ansätze liefern und die würden natürlich gerne Möglichkeiten zur Nutzung ihrer Cloud-Infrastruktur ins Spiel bringen.
Ob Kodak nun liefert, was ich mir davon verspreche – und was den von mir oben genannten Potentialen entspricht, weiß ich natürlich nicht. Technisch bestehen diese Möglichkeiten. Vielleicht bedarf es auch eines Crowd-Funding-Projekts aus unserer Anbieter-Mitte, weil Kodak auch nur ein Stück Cloud anmieten und einen dünnen Server programmieren will.
Ich empfehle uns, da ab und zu hinzusehen und nicht zu verschlafen, was da passiert, sich aus Bedenken zu verweigern oder einfach zu bequem zu sein. Was Leute wie die iStock-Betreiber nämlich anbieten werden, wenn sie können, wird nicht nach unserem Geschmack sein.
@Michael Gellner: Du hast schon recht, wenn die theoretische Idee von der Blockchain-Technologie sehr spannend ist, aber aktuell sehe ich bei keinem der oben genannten Anbieter, die für den Fotoverkauf auf die Blockchain-Technologie setzen, auch nur ansatzweise konkrete Umsetzungsvorschläge für Deine genannten Eckpunkte bei den Smart Contracts.
Das geht mir aktuell dummerweise genauso 😉
Ich ringe mit mir, ob eine solche Initiative über Kickstarter o.ä. aus unserem Kreis/Stockanbieter erfolgen sollte. Wir können hier kompetent Input liefern, was benötigt wird – wir sind schließlich die Stakeholder (wie man so sagt). Jetzt bräuchte man noch eine Initiave, die aus Blockchain-Nerds ohne richtige Anwendungsidee besteht – dann könnten die und wir mit „Stock 4.0“ loslegen.
Tatsächlich grübele ich da nicht ganz grundlos drüber – ich habe da vielleicht eine Gruppe, die etwas könnte und eine Idee für einen Innovationstopf.
Wärst Du (und auch andere – ist ja für alle) interessiert?
@Michael: Ich würde erst mal einige Monate warten und schauen, was konkret aus den Konzepten von Kodak, Photochain etc. wird.