Das Alter der Models in der Stockfotografie

Jedes Mal, wenn ich beim Zahnarzt auf dem Stuhl sit­ze und mich die Zahnärztin lächelnd begrüßt, bin ich kurz irri­tiert. Wenn ich sie beschrei­ben müss­te, wür­de ich sagen, dass sie eine attrak­ti­ve, jun­ge Frau mit lan­gen, schwar­zen Haaren ist, schät­zungs­wei­se Mitte 20, in einem engen wei­ßen Top und mit einem Pferdeschwanz.

Erkennt ihr den Fehler?  Die Wahrscheinlichkeit, dass eine jun­ge Frau Mitte 20 noch in der Lernphase für ihre Abschlussprüfung steckt, ist sehr hoch. Normalerweise fan­gen die jüngs­ten Zahnärzte mit ca. 25–27 Jahren ihre Arbeit an.

Es kann natür­lich sein, dass mei­ne Zahnärztin schon älter ist, aber immer noch jung aus­sieht, doch in der Stockfotografie geht es eben um den „Schein“ nicht das „Sein“. Niemand inter­es­siert sich dafür, was mei­ne Models außer­halb eines Fotoshootings machen (wenn sie nicht gera­de Erotikstars sind), wenn sie die Rolle, die sie auf den Stockfotos ver­kör­pern sol­len, glaub­wür­dig dar­stel­len können.

Diese Glaubwürdigkeit eines Models ent­steht haupt­säch­lich durch drei Faktoren: Geschlecht, Alter und Requisiten. Die Requisiten sind ein eige­nes Thema und wer Interesse dar­an hat, dem emp­feh­le ich das Kapitel 10 in mei­nem „Stockfotografie“-Buch*. Auch beim Geschlecht gibt es meist nur zwei Möglichkeiten. Beim Alter gibt es deut­lich mehr Variationen.

Es ist aber nicht schwer, das rich­ti­ge Alter eines Models für ein bestimm­tes Fotomotiv fest­zu­le­gen, wenn ihr in Wahrscheinlichkeiten denkt. Wie häu­fig kommt die geplan­te Konstellation von Alter/​Geschlecht vor und wel­che ande­ren Konstellationen sind wahr­schein­li­cher? In die­sem Blogartikel hat­te ich beschrie­ben, wie mich die Chefin eines Fitnesscenters dar­auf hin­wies, was die typi­sche Zielgruppe ihres Sportstudios sei. Daran habe ich mich bei der Modellauswahl gehalten.

Jemanden zu fra­gen, der Ahnung von der zu foto­gra­fie­ren­den Branche hat, ist eine ein­fa­che und unfehl­ba­re Methode, die rich­ti­ge Altersspanne der Models herauszufinden.

Trotzdem sehe ich stän­dig Stockfotos, die unfrei­wil­lig komisch wir­ken, weil das Model nicht passt.  Ein typi­sches Beispiel ist die jun­ge, ger­ten­schlan­ke Blondine im Blaumann und Schutzhelm, die Anfang 20 ist. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine attrak­ti­ve jun­ge Frau, die aus­sieht, als kön­ne sie kei­ne fünf­zehn Kilo stem­men, einen Beruf ergreift, der es erfor­dert, einen Blaumann anzu­zie­hen? Sehr gering. Viel rea­lis­ti­scher ist ein unra­sier­ter, mus­ku­lö­ser, braun­ge­brann­ter Mann ab Ende 20.

Ebenfalls berüch­tigt in den Microstock-​Portfolios sind die halb­nack­ten jun­gen Frauen mit gro­ßer Oberweite im Nikolauskostüm, die mehr Haut als Stoff zei­gen. Das mag oft die Fantasien der älte­ren, männ­li­chen Fotografen bedie­nen. Aber wenn ihr Kinder – immer­hin die größ­te Zielgruppe für Fotos mit Weihnachtsmännern – bit­tet, ein Bild vom Nikolaus oder Weihnachtsmann zu malen, wer­den die Bilder kaum wie die der beschrie­be­nen Weihnachtsbunnies aus­se­hen. Und ver­gesst Klebebart und Kopfkissen: Nehmt gleich einen dicke­ren älte­ren Herren mit ergrau­tem Vollbart.

Ich gebe zu, dass ich in mei­ner Anfangszeit auch oft den Fehler gemacht habe, das Alter der Modelle zu igno­rie­ren. Jetzt im Nachhinein fra­ge ich mich, was ich mir dabei gedacht habe, eine Siebzehnjährige im Anzug zu foto­gra­fie­ren? Das wür­de höchs­tens zu einer Konfirmation pas­sen und auch nur, wenn die Requisiten und das Umfeld stim­men. Ein Mann Anfang 40 im Anzug hin­ge­gen kann alles sein: Rechtsanwalt, Manager, Lehrer, Berater, Chef, Politiker, Beamter und so wei­ter. Das heißt für den Fotografen: Deutlich höhe­re Chancen, mit die­sen Fotos Geld zu verdienen.

Für das Motiv nicht ganz geeig­net vom Alter.

Meine Erfahrung zeigt, dass es im Zweifel sinn­vol­ler ist, eher Models zu wäh­len, die etwas älter als etwas zu jung sind. In die­sem Blogartikel hat­te ich über ein Shooting von mir in einer Universität geschrie­ben. Als Models hat­te ich Leute Anfang bis Mitte 20 gewählt. Es kam der Kommentar, dass im Zuge der Bologna-​Reform und der Bachelor-​Studiengänge die Studierenden heu­te immer jün­ger wür­den und ich jün­ge­re Models hät­te wäh­len sol­len. Dem kann ich zustim­men. Kürzlich habe ich aber fest­ge­stellt, dass die Motive mei­nes Uni-​Shootings auch ger­ne  in der Werbung für Erwachsenenbildung oder für Weiterbildungsmaßnahmen benutzt wer­den.  Wären die Models alle eini­ge Jahre jün­ger gewe­sen, hät­te es bes­ser zum Thema Studium gepasst, aber die zusätz­li­che Zielgruppe der Erwachsenenbildung hät­te ich dann mit mei­nen Bildern viel­leicht nicht erreicht.

Übrigens: Ich habe ges­tern mei­ne Zahnärztin nach ihrem Alter gefragt. Sie mein­te, sie sei 32, füh­le sich aber geschmei­chelt, dass ich sie auf Mitte 20 schätze.

Nach wel­chen Kriterien ent­schei­det ihr euch beim Alter eurer Models?

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7 Gedanken zu „Das Alter der Models in der Stockfotografie“

  1. Hi Robert 🙂

    sehr guter Beitrag. In einem Punkt möch­te ich aber wid­der­spre­chen. Schlankes blon­des Model im Blaumann mit oder ohne Helm. Bilder wer­den sogar in gro­ßen Größen ver­kauft und unter ande­rem in Handwerkerzeitungen als Titel platziert. 

    Ich den­ke das in den Köpfen der Werbeindustrie alles mög­lich ist und gera­de so absur­de Bilder als Eyecatcher genom­men wer­den. Im Moment sind sogar jun­ge Männer 20–30 mit ziem­lich dich­tem Vollbart im Bereich Business gefragt. Wenn man aber mal so durch die Straßen spa­ziert oder in den Einkaufszentren sich tum­melt, dann sieht man nie­man­den in der Altersklasse mit die­sem Look. Auch nicht in Freizeitkleidung. 

    Ich den­ke, alles was eine posi­ti­ve Ausstrahlung hat und JA zum Leben sagt lässt sich in jeder Rolle ver­kau­fen. Ob dann auch eine gro­ße Stückzahl dabei rum­kommt steht auf einem ande­ren Blatt. Aber wenn man das Beispiel „Schlanke Blondie im Blaumann mit und ohne Helm z.B. bei uns nimmt, dann las­sen sich die Downloads schon bei einem Shooting von über 500 Verkäufen zäh­len. damit hat sich das Shooting mehr als bezahlt gemacht.

    @Robert
    Der Tip mit dem Weihnachtsmann neh­me ich mal fürs nächs­te Jahr auf. Den Bauch habe ich, die grau­en Haare auch und bis August schaf­fe ich bestimmt 8cm grau­en Bart 🙂 Bitte aber jetzt keine
    Reservierungen für Shootings ein­rei­chen. Ich arbei­te nur exklusiv 😉

    Viele Grüße und schon mal an alle ein schö­nes Weihnachtsfest
    Jörg

  2. Guter Artikel. Allerdings muss man immer Theorie mit Praxis in Einklang bringen.
    Junge, gut aus­se­hen­de Maedchen/​Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren sind nun mal die foto-​affinsten Personen, die am ehes­ten als Models zur Verfuegung ste­hen. Wer nicht gera­de eine Modelagentur vor der Haustuer oder aber ein dickes Budget hat, kann Schwierigkeiten haben, Models außer­halb der gera­de genann­ten Gruppe zu verpflichten.

  3. Robert ist fin­de dein Arbeit super. Ich ken­ne per­sön­lich – und auch nicht per­sön­lich – kei­ner der sich in der Branche soviel Mühe macht um „die ganz Welt“ (deutsch­spra­chig 😉 ) zu erklä­ren wor­auf man ach­ten soll­te beim Fotografieren. Großartig von Dir. Danke! 

    Das passt nicht gera­de hier, aber ein Fotoshooting in der UNI zu machen mit nur einem Blitz, fin­de ich ein­fach cool.
    Das glei­che mache ich auch für alle mei­ner Shooting on location.

  4. Guter Artikel. Trifft’s genau.
    Obwohl mir per­sön­lich natür­lich Weihnachtsblondinen lie­ber sind als voll­bär­ti­ge Nikoläuse, ich bin aber auch fern der eigent­li­chen Zielgruppe 😉

    Auffällig an den drei Bildern ist, dass jedes Modell Blickkontakt zur Kamera sucht, selbst die im Sportstudio-​Hintergrund. Gibt es da Erfahrung bei dir, was sich bes­ser ver­kauft, direk­ter Blickkontakt oder außen­ste­hen­de Fotosituation?
    Wir ver­wen­den immer unter­schied­li­che Bildtypen. Poster und Werbedrucke fast aus­schließ­lich mit Blickkontakt. Bei Websites eher gestell­te Situationen, aber Blickkontakt…je nach Seite.

  5. @freezer: Das mit dem Blickkontakt habe ich nicht bewußt so aus­ge­wählt, ich foto­gra­fie­re meist auch bei­de Varianten, aber die Tendenz geht gefühlt schon in Richtung Blickkontakt.

  6. Die Vollbartträger zwi­schen 20 und 30 fin­den sich in den Innenstadtbezirken Berlins reich­lich. Ich ken­ne selbst eini­ge. Die sind auch nicht so schwer zu fin­den, geht zu den ein­schlä­gi­gen Parties, Galerien, Redaktionen, Bars, usw.
    Eine Perle des Sexismus ist übri­gens die Zeitschrift, die über die Mitgliederurlaubsreisen der IGBau infor­miert. Wäre ich Bauarbeiter_​in, ich wür­de mich gekränkt fühlen.

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