Wie ein Stockfoto fast die US-​Präsidentschaftswahl beeinflusste

Als ich vor knapp zwei Wochen an einem Freitagabend von einem Shooting nach Hause kam, blink­te mein Anrufbeantworter wie wild. Drei Journalisten aus den USA hat­ten mir aufs Band gespro­chen und alle hat­ten parell­el eben­falls Emails geschickt, um mit mir spre­chen zu kön­nen. Was war passiert?

Kurz vor­her hat­te der us-​amerikanische Präsidentschaftskandidat Herman Cain (tritt für die Republikaner an) eine Kampagne namens „Women for Cain“ ins Leben geru­fen. Grund waren Vorwürfe gegen Cain wegen sexu­el­ler Belästigung und Sexaffären. Diese Kampagne soll­te sei­nen weib­li­chen Unterstützern ein Forum bie­ten, die Vorwürfe gegen ihn – in teils vul­gä­rer Sprache – zu ent­kräf­ten. Zur Kampagne gehör­te auch ein Stockfoto von mir mit vier jun­gen Mädchen, wel­che die Daumen hochhalten.


Als stu­dier­ter Politologe weiß ich, dass der Wahlkampf in den USA mit deut­lich här­te­ren Bandagen als hier aus­ge­foch­ten wird. Deshalb war die Nutzung mei­nes Stockfotos ein gefun­de­nes Fressen für die Journalisten. Der viel­ge­le­se­ne US-​Blog Talking Points Memo stürz­te sich als ers­tes auf die Geschichte und rief zu einer Suche nach den Models auf, um die­se nach ihrer Meinung zu fra­gen. Daraufhin mel­de­ten sich bei mir Journalisten von der New York Post, der Huffington Post und eini­gen ande­ren US-​Medien bei mir. Selbst eine Kölner Schwulenzeitschrift woll­te über die Sache berichten.

Ich habe etwas Erfahrung mit Medienpolitik, des­halb ver­zich­te­te ich auf vor­ei­li­ge Aussagen und bat ich die Journalisten, mir einen Tag Zeit zu geben, bis ich die Angelegenheit näher unter­sucht habe. Ich kon­tak­tier­te die bei­den Bildagenturen, bei denen die Wahrscheinlichkeit am größ­ten war, dass das Foto dar­über lizen­ziert wor­den war: Fotolia und Shutterstock. Außerdem schrieb ich eine Mail an die Kampagnenleitung mit der direk­ten Frage, wo Herman Cain das Foto lizen­ziert habe. Auf die letz­te Mail habe ich bis heu­te kei­ne Antwort erhal­ten, aber Shutterstock mel­de­te sich von zwei Stunden bei mir und bestä­tig­te, dass jemand des Wahlkampfteams von Cain das Bild dort run­ter­ge­la­den habe.

Jetzt wird es span­nend: Der Bildnutzungsvertrag von Shutterstock ver­bie­tet aus­drück­lich in Teil II.9. die Nutzung der Fotos für „poli­ti­sche Unterstützung:

PART II – RESTRICTIONS

YOU MAY NOT:
[…]
9.
Use an Image in a way that places any per­son depic­ted in the Image in a bad light or in a way that they may find offen­si­ve – this includes, but is not limi­t­ed to the use of Images: […] d) in con­nec­tion with poli­ti­cal endorsements“

Das ist sehr ein­deu­tig for­mu­liert. Die Nutzung in der Cain-​Kampagne sug­giert deut­lich, dass die gezeig­ten Frauen den Präsidentschaftskandidaten unter­stüt­zen wür­den. Deshalb sorg­te Shutterstock auch sofort dafür, dass das Foto von der Kampagnenwebseite ent­fernt wird. Das wie­der­um führ­te in den Kommentarspalten der berich­ten­ten US-​Medien zu hämi­schen Kommentaren, weil eine Zeitlang nur „Women Cain“ im Titel stand, bis das Bild durch ein unver­fäng­li­ches Foto von Cain mit sei­ner Ehefrau ersetzt wurde.

Die Journalisten, die bei mir anfrag­ten, woll­ten natür­lich wis­sen, was ich von der Bildnutzung hal­te, wie ich zu Cains Politik stün­de und ich ich den Kontakt zu den abge­bil­de­ten Frauen her­stel­len kön­ne. Letzteres ver­wei­ger­te ich mit einem Hinweis auf den Datenschutz. Ich infor­mier­te die Models jedoch selbst über die Nutzung und das Medieninteresse und ver­si­cher­te, mich um den Fall zu kümmern.

Den Journalisten ant­wor­te­te ich:

The pho­to was taken in April 2010 and the women in the pic­tu­re are models living in or near Cologne, Germany.
I infor­med the models about the usa­ge and told them that I will pass on their cont­act infor­ma­ti­on if they want me to, but so far nobo­dy of them has responed.

The image was taken in my stu­dio in Cologne, Germany for stock pho­to libra­ri­es like Shutterstock and Fotolia.
I wro­te about the pho­to­ses­si­on here in my blog:
http://www.alltageinesfotoproduzenten.de/2010/07/04/vier-maedchen-auf-einem-haufen-beim-shooting/

I also cont­ac­ted the agen­cy that sold the image and had them remo­ve the image from the Cain cam­paign, becau­se it was a clear breach of the licence agree­ment from Shutterstock which for­bids „poli­ti­cal endors­ments“ with the images: http://www.shutterstock.com/licensing.mhtml (sec­tion Part II, 9.d)

I cer­tain­ly dis­agree with Mr. Cain using the image in a way that is not con­form with the licence agree­ment. If you run for pre­si­dent, you should know your legal terms.

I, howe­ver, did not fol­low the pre­si­den­ti­al cam­paign in the USA clo­se­ly enough to make a jud­ge­ment about Mr. Cain or his poli­ti­cal positions.

If you have fur­ther ques­ti­ons, let me know.“

Noch am sel­ben Tag trat Herman Cain von sei­ner Kandidatur zurück. Die fal­sche Verwendung des Stockfotos war sicher nicht der Auslöser für die­se Entscheidung, aber wenn er wei­ter­hin kan­di­diert hät­te, hät­ten vor allem die libe­ra­len US-​Medien das Thema ger­ne brei­ter aus­ge­walzt, um Cain an den Karren zu fah­ren. So berich­te­te die Huffington Post sicht­lich ent­täuscht über den Fall, weil das Interesse an Cain-​Nachrichten nach sei­nem Rücktritt ver­ständ­li­cher­wei­se abge­nom­men hat. Selbst die­se ver­spä­te­te Meldung wur­de zig­fach zitiert und schon die ers­te Meldung von Talking Points Memo wur­de oft get­wit­tert und auf­ge­grif­fen. Hätte Cain an sei­ner Kandidatur fest­ge­hal­ten, bin ich mir sicher, dass auch die New York Post und in Folge vie­le ande­re Zeitungen dar­über berich­tet hät­ten und der Tenor wäre sicher nicht posi­tiv gewesen.

Die Moral von der Geschichte?

Wer Stockfotos ver­wen­den will, soll­te sich an die Lizenzbedingungen hal­ten. Vor allem dann, wenn man stark im Rampenlicht steht.

Wie hät­tet ihr an mei­ner Stelle reagiert?

20 Gedanken zu „Wie ein Stockfoto fast die US-​Präsidentschaftswahl beeinflusste“

  1. wahn­sinn wel­ches hick hack wegen einem Foto . Darf man Fragen was du dafür bekom­men hast ? Hoffe nicht im abo bei shut­ter . So oder so die Kunden heut­zu­ta­ge machen sich ein­fach kei­ne Gedanken über Bildverwendungen und die Agenturen haben sowie­so kei­nen Einblick mehr wie auch bei tau­sen­den von down­loads am Tag …

  2. Ich ver­fol­ge die­ses gan­ze Theater um die Vorwahlen recht genau und hät­te mich an Deiner Stelle daher wohl schwer getan, neu­tral und sach­lich zu blei­ben. Cain ist schon ein… sagen wir, ganz eige­ner Typ.

  3. Mich wuer­de eher mal inter­es­sie­ren, wie man sich als Fotograf fuehlt, wenn man weiß, dass das eige­ne Werk in einer wahr­schein­lich mil­lio­nen­schwe­ren Kampagne fuer poli­ti­sche Zwecke miss­braucht und man dafuer mit ein paar Cents abge­speist wird. Kommt man da nicht in’s grue­beln ob man sich fuer das fal­sche Geschaeftsmodell ent­schie­den hat?

  4. @Andre: Angesichts der ange­spann­ten Haushaltslage in den USA wür­de Cain sicher eher Pluspunkte bekom­men, wenn er bei den Wahlkampfkosten spart. Und da am Monatsende auf mei­nem Konto deut­lich mehr als nur Centbeträge lan­den, bin ich momen­tan mit mei­nem Geschäft ganz zufrieden.

  5. Eines habe ich von mei­nem ers­ten Chefredakteur am Anfang gelernt: bevor man sich ein Urteil bil­det, immer erst alle betei­lig­ten Seiten anhö­ren und die Möglichkeit ein­räu­men, sich zu äussern.

    So gese­hen fin­de ich Dein Verhalten abso­lut rich­tig und fin­de, auch in der Angelegenheit mit den Daten Deiner Modells hast Du per­fekt gehandelt. 

    Es hat mich aller­dings echt erstaunt, dass Shutterstock selbst reagiert hat und die Initiative zum Entfernen des Bildes ergrif­fen hat. So stel­le ich mich die Arbeit einer guten Agentur vor. Respekt.

    Wie fühlt man sich denn eigent­lich, wenn man plötz­lich so im Fokus der aus­län­di­schen Presse steht? 😉

  6. Sicher genau so (hab Ihnen eine Email geschrie­ben). Politische Verwendung von erkenn­ba­ren Personen ist kein Kavaliersdelikt. Vor allem da den Frauen dadurch eine viel­leicht unge­woll­te Einstellung zuge­spo­chen wird … Ich hat­te mal Anfragen von der Piratenpartei, die ich ablehn­te. Ich kann nur jeden mal raten fol­gen­des ins Google Suchfenster ein­zu­ge­ben: Fotografenname und Partei. Auch bei issuu.com oder cal­a­meo. Da scheint bei den Parteien gene­rell sehr viel Unwissenheit zu herschen …
    Vor allem bei den Rechten …

  7. Ich fin­de, Du hast sou­ve­rän reagiert. Die Huffington Post hat Deine Meinung sogar wört­lich zitiert und mit einem „Amen“ ver­se­hen. Wie cool ist das denn 🙂

  8. Weiterhin viel Erfolg mit dem Foto!
    Es ist ein­fach gut und zu ver­füh­re­risch für die Cain-​Propaganda-​Truppe gewe­sen. Auch von mir dickes Kompliment, wie du als Fotograf reagiert hast.

  9. Hat sich das Foto im Rahmen der Geschichte eigent­lich noch häu­fi­ger ver­kauft? Zum Beispiel durch Käufe der bericht­erstat­ten­den Medien?

  10. So schnell kann man berühmt werden 🙂
    (Muss übri­gens statt „in a way that is not con­form with the licence agree­ment“ bes­ser „in a way that DOES not con­form TO the licence agree­ment“ oder „is for­bidden by“ oder „is not cover­ed by“ heis­sen – das brau­chen Sie natür­lich nicht im Kommentar ver­öf­fent­li­chen). „kon­form“ im Deutschen ist adjektivisch/​adverbial, im Englischen ist „to con­form“ ein Verb.

  11. Oh Mann. Das ist defi­nitv eine mei­ner Lieblingsgeschichten, die das Netz 2011 so schrieb. Sie ist ein biss­chen cool, unglaub­lich, dreist und wie­der wit­zig. Sehr sach­lich reagiert, aber bestimmt hast du dich auch ein wenig gefreut, oder? 😉 Ich mein, dass ein Stockfoto den Weg in den ame­ri­ka­ni­schen Wahlkampf findet! 😉
    Liebe Grüße,
    Heike

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