Vor paar Wochen hielt ich einen Vortrag auf der Frühjahrstagung “Mediale Werte” des Vereins für Medieninformation und Mediendokumentation (vfm) in Dresden. Mit dabei war auch Dr. Oliver Sander, der als Leiter des Bundesarchivs über die Zusammenarbeit seines Archivs mit Wikimedia Deutschland berichtete.
Kernpunkt dieser Kooperation war folgender „Deal“, den ich selbst nicht so knackig zusammenfassen könnte wie es in der Tagungsbeschreibung stand:
„Im Dezember 2008 hat das Bundesarchiv – als erstes Staatsarchiv weltweit – eine Kooperation mit Wikimedia bekannt gegeben. Knapp 90 000 Fotos wurden für Wikimedia Commons unter der Lizenz CC-BY-SA kostenfrei bereit gestellt. Im Gegenzug haben viele „Wikipedianer“ mit Hilfe eines ebenfalls von Wikipedia-Mitarbeitern entwickelten Werkzeugs die Personenliste des Bundesarchivs mit der so genannten Personennamendatei (PND) verknüpft.“

Diese Fotos können beispielsweise hier eingesehen werden. Warum berichte ich an dieser Stelle über das Bundesarchiv und Wikimedia? Was hat das mit kommerzieller Fotografie zu tun?
Im Vortrag kamen einige Punkte zur Sprache, die für Fotografen sehr interessant sind.
Vor einer Weile hatte ich im Blog einen Artikel namens „Acht Gründe, warum Fotografen kostenlose Fotos anbieten“ geschrieben. Einer dieser Gründe war, dass man auch mit kostenlosen Fotos Geld verdienen könne. Das Bundesarchiv hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Durch die Bereitstellung der knapp 90.000 kostenlosen Fotos gab es:
- 2–5 neue Nutzer am Tag
- 9 Bestellungen am Tag, davon 81,45% kostenfrei
- eine Verdoppelung der Besucherzahlen (49.000 Visits pro Monat)
- 230%ige Zunahme von schriftlichen Anfragen
- 193%ige Zunahme der Einnahmen
Auf die Einnahmen und Kritik an der Höhe der verlangten Nutzungsgebühren ging Dr. Sander in der schriftlichen Fassung seines Vortrags genauer ein:
„Infolge der erhöhten Zugriffe und Bestellungen wurden erstaunlicherweise auch die Einnahmen um 193% gesteigert. Und das obwohl 81% der Bild-Downloads kostenfrei sind, da für amtliche Zwecke, Ausstellungen, bestimmte Veröffentlichungen unter 500 Exemplare und „LowRes“-Bildern für private Zwecke keine Gebühren erhoben werden und die Nutzung von Bundesarchiv-Bildern via Wikimedia Commons prinzipiell kostenfrei ist. Während gerade nach der Onlinestellung des Digitalen Bildarchivs von vielen Internetusern Kritik an den angeblich unangemessen hohen Gebühren geübt wurde, kritisierte der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA) hingegen die „niedrigen Beträge“ als „erheblich wettbewerbsverzerrend“. Allerdings war, ist und wird das Bundesarchiv keine Bildagentur und ist zuallererst dem Bundesarchivgesetz und dessen Zielen verpflichtet und nicht der Steigerung von Einnahmen!“
Ebenfalls interessant, aber eher bedenklich fand ich eine weitere Zahl, die während des Vortrags fiel. Es gab viel Bildmissbrauch, das heißt zahlreiche unerlaubte Verkäufe von Fotos bei Ebay, Probleme für das Bundesarchivs mit Fotografen oder anderen Rechteinhabern wegen fehlender Urheberrechtsnachweise und zahlreiche Verstöße gegen die Creative Commons-BY-SA-Lizenz. Bei fast 95% der Nutzungen wurden die Lizenzvereinbarungen nicht korrekt eingehalten:
„Bei Nutzungen von Bundesarchiv-Fotos via Wikimedia Commons halten schätzungsweise 5% der Nutzer die Bedingungen der Lizenz CC-BY-SA inklusive Nennung des Urhebers ein oder anders formuliert: bei ca. 95% der Nutzungen sind Verstöße gegen die Lizenz und das Urheberrechtsgesetz festzustellen! Zwar hat das Bundesarchiv alle Fotos mit einem weißen „Quellenstreifen“ versehen, in dem die Quelle Bundesarchiv, die Bildsignatur und der Urheber genannt sind, doch ermöglicht es die Lizenz CC-BY-SA diesen Quellennachweis zu entfernen. Bei den Fotos auf Wikimedia Commons ist das insofern unproblematisch, weil hier alle notwendigen Angaben vorhanden sind. Sobald ein Foto aber (mit rechter Maustaste) herunter geladen wird, sind diese Angaben jedoch nicht mehr vorhanden und werden von Wikimedia-Nutzern – wie oben dargestellt – so gut wie nie angegeben.
Dementsprechend sieht sich das Bundesarchiv mittlerweile außerstande weitere Bilder auf Wikimedia Commons freizugeben, da dies bedeuteten würde, dass das Bundesarchiv wissentlich Lizenz- und Rechtsbrüchen Vorschub leisten würde.“
95%! Das heißt, nur eine verschwindend geringe Anzahl von Leuten hat die kostenfreien Fotos wirklich legal genutzt. Das war einer von mehren Gründen, warum sich das Bundesarchiv schweren Herzens entschieden hat, die Kooperation nicht fortzuführen. Die bisherigen Bilder bleiben jedoch im Bestand von Wikimedia.
Frei aus dem Gedächtnis zitiert meinte Dr. Sander: „Es gab einige Probleme mit der Kooperation, aber unser Schatzmeister war nach anfänglichen Vorbehalten später derjenige, der als Erster uneingeschränkt für eine Fortsetzung der Kooperation war“.
Die Präsentation seines Vortrags stelle ich mit der freundlichen Erlaubnis von Dr. Oliver Sander hier zum Nachlesen zur Verfügung.
Sagt sagt ihr zu den Zahlen und Erfahrungen?
Der Schluss ist leider etwas vage. Erst einmal lässt sich in Deutschland immer und überall eine Urheberrechtsverletzung feststellen. Das realtitätsferne Gesetz kann nicht unser Maßstab sein.
Daher wüsste ich gerne, wie ernst zu nehmen die Zahl 95% ist. Wikipedia-Artikel gehören wohl nicht dazu, denn sie linken immer auf die Beschreibung bei Commons, und das scheint dem Archiv zu genügen.
Vielleicht wurden die Bilder in Stichproben gegoogelt. Dabei stellte das Archiv mit Sicherheit fest, dass Zeitungen, Firmenwebseiten, Blogs und Soziale Netzwerke die Bilder unter vollständigem Ignorieren des Gesetzes verwenden. Was für ein Wunder, denn das ist immer so und hat mit CreativeCommons gar nichts zu tun. Da hilft nur eines: Wegschließen. Veröffentlichungen vermeiden, und wenn dann gut versteckt.
Aber vielleicht sind die 95% auch Verstöße ganz anderer Art: Das Archiv merkte, dass es gar keine Rechte an seinen eigenen Fotos hatte, als die von dir erwähnten Fotografen protestierten. Und damit war die Nutzung in der Wikipedia bereits eine Urheberrechtsverletzung.
Wer legal handeln will, muss wohl das Gesetz als Maßstab nehmen, so realitätsfern es auch ist.