Schade, dass dieser Mann tot ist. Knapp 20 Jahre arbeitete der geborene Franzose Andreas Feininger in den USA für das legendäre Life-Magazin. Dank Google können seine Fotos für das Heft auch online gefunden werden. Neben zahlreichen Bildbänden veröffentlichte Feininger auch zahlreiche Sachbücher über die Fotografie, von denen sich viele zu Standardwerken entwickelten. Eines dieser Standardwerke ist „Andreas Feiningers große Fotolehre“ (ISBN 3–453-17975–7).
Das Buch erschien zuerst 1978 und wird mittlerweile seit 2001 in der 7. Auflage verkauft. Von außen sieht es unscheinbar aus, aber das Buch hat es in sich. Auf fast 500 Seiten (mit kleiner Schrift) legt Feininger die Grundlagen der Fotografie dar. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Ausrüstung, zum Beispiel, wie eine Kamera aufgebaut ist oder wie bestimmte Objektive funktionieren. Dabei geht es weniger um konkrete Modelle, sondern um die physikalischen und technischen Grundlagen, die jeder Fotos unterscheiden können sollte. Der nächste Teil erklärt, wie ein Foto technisch korrekt belichtet wird. Nicht die Komposition wird erklärt, sondern wann ein Foto scharf und weder über- noch unterbelichtet wird. Der dritte Teil mit knapp 100 Seiten dreht sich nur um die Film- und Bildentwicklung in der Dunkelkammer. Im letzten sehr ausführlichen Teil geht es um die Bildgestaltung, um die psychologischen Elemente vor einer Aufnahme und Aspekte wie Licht, Farbe, Kontrast, Tiefe und Bewegung, die berücksichtigt werden sollten.
Der Grund, warum Feiningers Bücher zu Klassikern wurden, wird beim Lesen schnell klar. Der Mann hat eine Meinung, die er auch begründen kann, er weigert sich, ins Detail zu gehen, bevor nicht die notwendigsten Basisinformationen geklärt sind, erklärt zu jedem Vorteil auch dessen Nachteile und er besteht darauf, dass die Technik immer nur Mittel zum Zweck bleiben wird. Das wichtigste eines guten Fotografen ist immer noch seine Sichtweise, sein Gefühl und sein Sachverstand beim Fotografieren.
Das Ganze packt er auch noch in nette, zitierfähige Sätze wie:
„Das Bild eines schönen Mädchens ist nicht unbedingt ein schönes Bild“ (S. 271)
oder
„Im Grund genommen ist eine Kamera ebensowenig schöpferisch wie ein Klumpen Ton. Aber ein Tonklumpen wie auch eine Kamera kann in der Hand des Künstlers zu einem Mittel schöpferischer Offenbarung werden“ (S. 437).
Leider ist Feininger schon 1999 in New York gestorben und kann leider nicht mehr den Staub seines veralteten Buches abpusten. Das Kapitel über die Dunkelkammer ist für digital arbeitende Fotografen sinnlos geworden, ebenso lange Abschnitte über die Unterschiede verschiedener Filme oder die Verwendung von Kolbenblitzen. Mindestens die Hälfte des Buches ist für moderne Profis obsolet. Auch der Fototeil mit Beispielbildern sieht deutlich nach den 1970er Jahren aus, erfüllt immerhin trotzdem den Demonstrationszweck. Dafür ist die andere Häfte weiterhin zeitlos gültig und durch das ausführliche Stichwortverzeichnis auch als Nachschlagewerk zu gebrauchen. Dazu motiviert es, sich statt mit der Kamera wieder mehr mit den Motiven zu beschäftigen. Könnte Feininger noch etwas sagen, würde mich seine Meinung zu Digitalkameras, Bildsensoren und Photoshop sehr interessieren.
Für knappe 13 Euro ist das Taschenbuch auch bei vielleicht nur 200 noch aktuellen Seiten lohnend.
Bisherige Rezensionen:
“Rezension: “Porträts gekonnt retuschieren mit Photoshop” von Matthias Matthai
“Food Styling For Photographers” von Linda Bellingham und Jean Ann Bybee
“Microstock Photography. How To Make Money From Your Digital Images” von Douglas Freer
“Wie sie mit eigenen Fotos Geld verdienen” von Helma Spona
“Fotos sehen, verstehen, gestalten” von Martin Schuster
“Mit eigenen Fotos Geld verdienen” von Lee Frost