Wenn es um Fotografie geht, bin ich eher der Praxis-Typ. Ausprobieren und gucken, so habe ich fotografieren gelernt.
Manchmal ist es mit dem Fotografieren jedoch wie mit dem Gitarre spielen. Wer sich – wie ich – selbst das Gitarrenspiel ohne fachkundige Anleitung beibringt, begeht – wie ich – manchmal den Fehler, bestimmte Griffe so zu greifen, dass der Wechsel zu anderen Akkorden viel schwieriger ist. Solche Gewohnheiten müssen dann später umständlich abtrainiert werden.
Auch bei der Fotografie ist es sinnvoll, manchmal einen Schritt zurückzugehen und sich etwas Theorie anzulesen, um die Praxis besser verstehen und beherrschen zu können. Das Buch „Porträtfotografie“* von Glenn Rand und Tim Meyer (ISBN 978–3898646659) mit dem Untertitel „Professionelle Porträts durch gekonnte Lichtführung und Inszenierung“ bot sich dafür an, da ich fast ausschließlich Personen im Studio fotografiere.
„Theorie anlesen“ trifft es auch am besten, was Leser von diesem Buch erwarten können. Die erste Hälfte der 14 Kapitel beschäftigt sich mit wichtigen Beleuchtungsgrundlagen wie Lichtdynamik, Lichtquellen, Lichtmodifikation, Belichtungsmessung, Kontrastverhältnis und Lichtmustern im Gesicht. Klingt spannend? Genauso aufregend wie diese Aufzählung lesen sich die Kapitel selbst.
Ein exemplarischer Absatz aus dem Buch zum Thema „Beleuchtungsmethoden“:
„Beginnt man damit, die Beleuchtung eines Porträts zu beschreiben, wird sehr bald deutlich, dass der Beleuchtung der Gesichtsflächen mehrere Aspekte zugrunde liegen, die in Wechselbeziehung zueinander stehen. Die Art des Lichts wird durch das Verhältnis zwischen Gesichtsachse und der Achse des Hauptlichts definiert. Gleichzeitig wird die grundlegende Beleuchtungsmethode durch die Beleuchtung des Teils des Gesichts bestimmt, das sich in geringstem Abstand zur Kamera befindet. Daher beschreiben wir die Beleuchtung, indem wir sowohl die Art des Lichts als auch die Beleuchtungsmethode nennen.“ (S. 94)
Das Buch liest sich in großen Teilen wie ein trockenes Schulbuch. Der Vergleich drängt sich vielleicht auf, weil beide Autoren auch Dozenten an der US-Fotoschule Brooks Institute sind. Merkmal des Buches sind viele umständliche Textformulierungen, wo oft ein Bildbeispiel mit kurzer Erklärung schneller den Stoff vermittelt hätte. Und Stoff wird viel vermittelt. Das Buch legt wirklich die Grundlagen, auf welche Lichtaspekte bei Porträts zu achten sind.
Gestern – nach der Lektüre des Buches – hatte ich ein Porträt bearbeitet und musste unweigerlich denken: „Oh, da habe ich eine ‚Open Loop‘-Beleuchtung verwendet“. Oder anders formuliert: Ich hätte das Foto nicht anders gemacht, aber ich kann die Beleuchtungselemente, den Schattenwurf, den Kontrast, die Lichtkante etc. besser in ihren Kontext einordnen. Diese Kategorien erlauben es, einfacher Portraits nach gewünschten Prinzipien zu ordnen, zu vergleichen und eben auch zu machen.
Im zweiten Teil des Buches geht es um den Aufbau des Lichts, Hintergründe für Porträts, Umgang mit Mischlicht, Model-Posen, Grundlagen der Bildkomposition, Gesichtsanalyse und der Umgang mit dem Model. Das klingt nach einem stärkeren Praxisbezug, im Buch jedoch werden auch diese Bereiche vor allem theoretisch beschrieben. Welche Varianten gibt es, welche werden häufig angewendet und so weiter. Hilfreich fand ich vor allem die Analyse der Gesichtsformen (rundes, schmales, eckiges Gesicht usw.) und wie diese jeweils am besten auf Fotos wirken.
Trotzdem ist das Buch kein Praxisbuch. Wer „How To“-Anleitungen oder Skizzen zum Lichtaufbau der gezeigten Beispielfotos sucht, wird hier nicht fündig werden. Das Buch richtet sie an Fotografen, welche ernsthaft die Grundlagen der Porträt-Beleuchtung lernen wollen. In aller Tiefe, dafür mit so komplizierten theoretischen Abhandlungen, dass ich als Dummy Stellen mehrmals lesen musste, um mir bildlich vorstellen zu können, was mir die Autoren sagen wollen.
Eindeutig kein Urlaubsschmöker, sondern schwer verdauliche Kost, die dafür lange nahrhaft bleibt.
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