Ich bin so stolz auf euch Leser! Vor paar Wochen hatte ich im Blog den Artikel „Die sechs Nachteile von Exklusivität für Fotografen in Bildagenturen“ geschrieben und im Anschluss daran entstand eine sehr ausführliche Diskussion der Leser, die trotz ihrer Länge und gegensätzlichen Meinungen sehr sachlich blieb.
Das gefällt mir und es zeigt, dass gut geführte Diskussionen auch zum Nachdenken anregen. Mir stellten sich beim Lesen zwei Fragen, von denen ich heute einer nachgehen will.
Einer der Diskussionsstränge in den Kommentaren war die Frage: Brauchen Microstock-Bildagenturen Profi-Fotografen als Lieferanten oder könnten sie genauso gut nur von den Bildern der Hobby-Fotografen leben?
Hier mal stellvertretend zwei der Kommentare, die einmal den Pro- und einmal den Kontra-Standpunkt vertreten:
„Keine 10% der Fotografen bei den Micros sind Profis. Das Bildangebot würde dramatisch sinken, sollten die Amateure aussteigen. Speziell istock bewegt sich auf einer kritischen Linie. Nur mit dem Angebot der Exklusiven wäre istock mit der zusätzlichen Vetta und Gettylinie viel zu teuer. […] Ich glaube, dass bei den exklusiven Profis die Umsatzentwicklung in den nächsten Jahren abflacht. Der qualitative Unterschied zwischen Profis und Amateuren wird sichtbar kleiner. Zudem werden teure Produktionen für Profis immer riskanter. Die Gruppe der Top-Producer wird aber nicht wesentlich größer werden. Weil das in der Regel ganze Teams sind, weniger Einzelfotografen. Bei abflachender Umsatzentwicklung wird das für Teams aber immer schwieriger. “
Dagegen meint Walter:
„ ‚Keine 10% der Fotografen bei den Micros sind Profis.‘ Sicher richtig – aber von denen kommen wahrscheinlich die Hälfte der verkauften Bilder. Bei Shutterstock gibt es derzeit 15 Millionen Bilder von rund 300.000 Fotografen. Ergibt 50 Bilder pro Fotografen. Wenn man bedenkt, wie viele Fotografen aber mehr als 1000 Bilder haben, bleiben für viele Fotografen nur mehr 30 Bilder im Durchschnitt über. Und diese Bilder sind wahrscheinlich auch nicht die Topseller.
Ich glaube, dass auch in der Stockfotografie von 20% Fotografen 80% Umsatz erwirtschaftet wird. Und das sind dann eben die 10% Profis und 10% ‚Semiprofis‘.“
Beide Argumente klingen erst mal plausibel. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Ich kann natürlich nicht die Umsätze der Top-Fotografen mit den Gesamteinnahmen der Bildagenturen vergleichen, aber zumindest eine Annäherung ist über einen Vergleich möglich.
Meine Vorgehensweise
Dazu habe ich zuerst bei den drei Agenturen istockphoto, Fotolia und Dreamstime geschaut, welches die Fotografen mit den meisten Verkäufen sind. Bei Fotolia konnte ich die 17 Top-Fotografen durch die Ranking-Liste identifizieren, zusätzlich habe ich die Daten der drei größten Infinite-Kollektionen berücksichtigt. Bei Dreamstime gibt es eine Liste der 15 Top-Fotografen zu sehen. Bei istockphoto war die Identifizierung der 20 Top-Fotografen etwas schwieriger. Ich habe mit etwas Recherche jedoch diese Liste zusammenstellen können. Bei Shutterstock gibt es meines Wissens leider keine Möglichkeit, die Top-Fotografen zu erkennen. Falls jemand eine Idee hat, bitte melden.
Ich habe dann geschaut, wie viele Bilder die Agenturen zu gut verkäuflichen Keywords wie „woman“ oder „business“ insgesamt im Angebot haben. Danach habe ich gezählt, wie viele Bilder die Top-Fotografen zusammen zu diesem Stichwort im Portfolio haben und wie viel Prozent des gesamten Bildbestands zu diesem Thema das ausmacht. Zum Schluss konnte ich diese Zahlen in Relation zur Gesamtmenge der aktiven Fotografen der Bildagentur setzen. Damit würde ich die Frage beantworten können, welchen Anteil am Gesamtbestand einer Agentur die Profi-Fotografen einbringen.
Die Auswertung
Schauen wir uns zuerst Fotolia an:
Insgesamt hat die Agentur ca. 120.000 aktive Kontributoren. Beim Stichwort „woman“ hat Fotolia ca. 1.497.000 Dateien im Angebot und ca. 1.229.000 mit dem Suchbegriff „business“. Die 20 Top-Fotografen bei Fotolia haben ca. 129.000 Fotos mit dem Keyword „woman“ und 77.000 mit „business“.
Damit sind allein die 20 Top-Fotografen für 8,6% (woman) bzw. 6,3% (business) des gesamten Bildbestands verantwortlich. Diese 20 Fotografen machen jedoch nur 0,017% der gesamten Fotografen aus. Das heißt vereinfacht formuliert: Bei den beiden untersuchten Begriffen liefern die Top-Fotografen ca. vierhundertmal so viel Bilder wie es ihrer Menge entsprechen würde (konkreter: 376x bis 514x so viel). Das übertrifft bei weitem die Pareto-Regel. Mehr dazu gleich.
Bei Dreamstime sieht es ähnlich aus:
Insgesamt beliefern ca. 115.000 Fotografen die Agentur. Zum Thema „woman“ hat Dreamstime ca. 1.463.000 Bilder, zum Thema „business“ ca. 854.000 Bilder im Angebot. Die Top-15-Fotografen entsprechen ca. 1,3% aller Fotografen, ihr Anteil am Suchbegriff „business“ jedoch 6,9% (11.820 Bilder) bzw. 16,6% beim Begriff „woman“ (22543 Bilder). Die Pareto-Regel wird hier sogar deutlich übererfüllt.
Auch istockphoto liefert ähnliche Werte: Die Agentur wird von ca. 100.000 Fotografen beliefert. Die Top-20 sind für 3–4% des Bildbestands bei den genannten Suchbegriffen verantwortlich, auch wenn ihr Anteil nur 0,02% aller Fotografen beträgt. Damit liefern sie 150–200x so viel Fotos wie es ihrer Menge entsprechen würde.
Wer nachrechnen will, kann mit einem Klick auf dieses Bild meine Kalkulation anschauen. Die Suchanfragen habe ich am 17. Juni 2011 gestellt:
Die Pareto-Regel besagt, dass 80 % der Ergebnisse in 20 % der Gesamtzeit eines Projekts erreicht werden. Vielfach wird diese Regel auf ganz unterschiedliche Bereiche angewandt. Im Falle der Stockfotografie würde die abgewandelte Pareto-Regel lauten: Ca. 80% des Umsatzes werden von 20% der Fotografen erwirtschaftet.
Das Ergebnis
Gehen wir davon aus, dass ein Profi-Fotograf bei einer Microstock-Agentur im Durchschnitt mindestens genauso pro Bild verdient wie ein durchschnittlicher Fotografen. Diese Annahme ist sehr wahrscheinlich, da die Profi-Bilder häufig aufwändiger und teurer inszeniert sind und damit Bildkäufer häufiger ansprechen.
Mit dieser Annahme und der eben errechneten Erfüllung der Pareto-Regel gemessen am Bildbestand können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen: Ja, die 20% der bestverkaufenden Fotografen in einer Bildagentur erwirtschaften auch mindestens 80% des Umsatzes.
Auf die eingangs erwähnte Diskussion bezogen, bedeutet das: Bildagenturen können es sich – mittlerweile – eher leisten, auf die Amateure zu verzichten als auf die Profis. In der Praxis sichtbar wird das gut an den Honoraränderungen. Die letzten Honoraränderungen sowohl von istockphoto und Fotolia benachteiligten diejenigen, welche wenig Umsätze erzielen und belohnen (bzw. bestrafen zumindest nicht) diejenigen, welche viel verdienen.
Was sagt ihr? Teilt ihr meine Einschätzung oder seid ihr anderer Meinung? Oder habe ich nur viele Rechenfehler auf einmal begangen?