In der letzten Zeit wurde in Stockfotografie-Kreisen gerne über „the long tail“ gesprochen. Heute möchte ich dieses Phänomen etwas erklären, sowohl aus Kunden‑, als auch aus Fotografensicht.
Der „lange Schwanz“, wie der Begriff „the long tail“ wörtlich übersetzt werden kann, wurde 2004 in einem Wired-Artikel von Chris Anderson geprägt. Eine Kurzversion des Buches kann kostenlos hier heruntergeladen werden.
Im Buch beschreibt Anderson, wie durch das Internet viele Unternehmen Geld damit verdienen, dass sie ganz viele Nischenprodukte selten verkaufen, statt wenige beliebte Produkte ganz oft.
Ein gutes Beispiel ist Amazon im Vergleich zum klassischen Buchhändler an der Ecke. Der Buchladen hat nur begrenzten Platz, weil die Mieten in Einkaufsstraßen der Innenstadt teuer sind. Deshalb wird er vor allem die Bücher anbieten, die populär sind und sich oft verkaufen. Auch wenn man sich heute meist jedes Buch bestellen lassen kann, ist es bequemer, sich das Buch direkt von Amazon zum gleichen Preis nach Hause schicken zu lassen. In dem Artikel schreibt Anderson, dass die us-amerikanische Buchhandelskette „Barnes & Nobles“ nur 130.000 Titel anbietet. Ungefähr ein Viertel des Umsatzes des Internet-Buchhändlers Amazon entsteht jedoch durch Bücher, die nicht zu diesen Titeln gehören.
Dieses Prinzip lässt sich auch auf Musik und andere Medien anwenden. Womit wir bei den Fotos wären.
Einige Microstock-Blogs haben z.B. hier oder hier herausgearbeitet, dass es sich auch für Fotografen lohnen kann, jedes Foto anzubieten, was Verkaufchancen hat und sich nicht nur auf die Topseller zu konzentrieren. Das ist so lage sinnvoll, solange es keine Ausrede wird, keine super verkäuflichen Fotos mehr zu machen.
Am anderen Ende des Tischs ist bei den Bildkäufern das Prinzip ebenso gültig. Ganz viele Kunden haben wenig Geld für Fotolizenzen und wenige viel Geld. Die Microstock-Agenturen haben es ausgenutzt, dass die alten Bildagenturen sich nur auf die wenigen finanzstarken Kunden konzentriert haben und den anderen Menschen keine Möglichkeit gegeben haben, Fotos kaufen zu können. Mit billigen Fotos ab einem Euro kann sich jeder Fotos leisten. Der Haken ist nur, dass auch die reichen Kunden auf das Angebot zurückgreifen können und so Umsätze wegbrechen, die auch mit vielen kleinen Kunden kaum zu erzielen sind.
Ich möchte jedoch auf etwas anderes hinaus. Vor einer Woche wurde mir von sehe vielen Bildagenturen ein Foto abgelehnt, auf dem ein großer Haufen Pferdemist auf einer Staße liegt. Bei istockphoto gibt es von über vier Millionen Bildern nicht mal zehn Fotos, die diesem ähnlich sehen. Die Verkaufschancen sind gering, aber vor allem bei Microstock-Anbietern sollte sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass „es die Masse macht“.
Viele Fotos werden mittlerweile abgelehnt mit dem Hinweis auf „geringe Verkaufschancen“ des Motivs. Das mag stimmen, doch bringen sich die Bildagenturen damit zusammengerechnet um einen großen Teil des Umsatzes, wenn die Kunden mit ausgefallenen Bildwünschen nicht fündig werden. Die Schwierigkeit ist nur, die regulären Suchergebnisse der „Mainstream-Kunden“ nicht mit unrelevanten Suchergebnissen zu belasten. Einige Bildagentuen argumentieren auch, dass selten gekaufte Fotos nur Speicherplatz wegnehmen und die Datenbank belasten. Auch richtig. Aber wer es schafft, diese Probleme elegant zu lösen, wird es auch in Zukunft im Bildermarkt schaffen, ganz oben mit dabei zu sein.
Dass (in meinen Augen) gute Bilder abgelehnt werden, ist ein Punkt, der mich auch ständig ärgert.
Ich habe über 20 Jahre Erfahrung als Pressefotograf und erkenne eigentlich auch ein Bild, das gute Verkaufschancen im Pressebereich oder eventuell auch in der Werbung hat.
Die Ideen, in welchem Zusammenhang ein Bild für einen Käufer interessent sein könnte, lasse ich in die Stichwörter oder Beschreibung mit einfliessen. Leider sitzen dann am anderen Ende Leute, die damit nichts anfangen können, weil sie meinen Gedanken nicht folgen können. Vielleicht auch verständlich – aber sehr schade.
Manchmal habe ich den Eindruck, die Redakte… Selektoren lehnen ein Bild lieber ab, als dass sie sich vor ihrem Chef rechtfertigen müssen, warum sie ausgerechnet DAS Bild durchgewunken haben.
Ralf
Ob sich ein Bild verkauft oder nicht, kann doch nur der Kunde entscheiden. Und zwar nur dann, wenn er es auch angeboten bekommt. Wenn weiterhin so etwas wie Tiefenunschärfe oder eigenwillige Farbgebung, von den Selektoren als technischer Mangel interpretiert wird, kann man ein Stockbild immer öfter am Motiv erkennen. Eine eigene fotografische Handschrift, ist von den Microstock Agenturen zwar angeblich erwünscht, wird von den eingesetzten Selektoren aber nicht respektiert. Wie wiele, sehr eigenwillige, und vielleicht gerade deshalb, besondere Bilder, dürften über Microstock wohl nicht zu finden sein, weil sie aus dem Raster gefallen sind?. Es ist klar, dass der Schnappschuss von Oma und den Kindern mit abgeschnittenen Köpfen, nichts im Portfolio zu suchen hat. Aber Kunst ist ein weit zu fassender Begriff. Es darf bezweifelt werden, ob die Macht anonymer Selektoren-Willkür, für den möglichen Umsatz mit Bildern, genug kreativen Freiraum lässt. Matthias
Die Begründungen, warum z.B. bei istockphoto.com Fotos abgelehnt werden, sind teilweise haarsträubend. Habe ich es früher noch eingesehen, da ich „nur“ mit einer 8‑Megapixel-Kompakten (Olympus 8080) tätig war, sehe ich die Gründe mittlerweile nicht mehr ein, da ich mit einer Canon 50D oder Sony 350 mit ertsklassigen Objektiven unterwegs bin und auch nur schonend nachbearbeite – wie gefordert. Da werden Bilder wegen angeblichen Artefakten oder Rauschen abgelehnt, die ausgedruckt keinerlei Mängel aufweisen. Anscheinend gibt es Druck intern oder die Leute kleben wirklich mit íhren Nasen an der Lupe und lernen Ablehnungsgründe auswendig, die unbedingt abzuhaken sind. Bei letzterer Agentur werde ich jetzt kündigen um mich auf meine 2 anderen (deutschen) Agenturen zu konzentrieren bei denen meine Bilder in der Mehrzahl willkommen sind und auch regelmäßig verkauft werden. Das „Willkommensein“ trägt ja nebenbei auch zur Kreativität bei…)